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Fachartikel, 12.02.2009
Self-PR und -Branding
Auf den Putz hauen und Spuren hinterlassen
Wer schon einmal umgezogen ist, weiß, wovon ich rede. Der Nachttisch, die Kiste mit den Schnapsgläsern und das Beauty-Case haben keine Spuren im Treppenaufgang hinterlassen, denn sie sind klein und unauffällig. Das massive Bettgestell aber und der überdimensionierte Kleiderschrank zeigen noch heute und immer wieder, wo sie aneckten, auffielen und sich verewigten.
Jüngst bewies ein Mann, wie man trotz körperlicher Nicht-Höhe gemächlichen Schrittes durch ein Treppenhaus wandelt und selbiges fast zum Einsturz bringt. Indem er rempelt, ramponiert und umreißt. Und letzten Endes seinem Image neuen und lang anhaltenden Glanz verleiht.

Wiederholen, bestätigen und überraschen

Anfangs sieht man sie noch ungerührt und gelangweilt dreinschauen – all die Fernsehgrößen und -kleinen, die zur Verleihung des Deutschen Fernsehpreises nach Köln gereist sind. Dann jedoch gucken sie ungläubig, bedeppert, belustigt oder erstaunt. Stehen sie anfangs noch und applaudieren dem zur Bühne schreitenden Redner, so können sie nicht fassen, was hier vor sich geht. Der selbst- und ehrerbietig-fremdernannte „Literatur-Papst“ und zumeist arrrrrrogant daherkommende Wichtigtuer nimmt den Preis nicht an. Dabei deutet zu Beginn seiner Rede nichts auf den Eklat hin: Der Herr mit dem Doppelnamen und dem so markanten und darum imageträchtig rollenden R macht Selbst-PR vom Feinsten, nicht nur explizit und sprachlich ausgedrückt, sondern ebenso unterschwellig und hintersinnig. Ganz so, wie sein Vorbild Goethe es gutgeheißen hätte:

„Meine Damen und Herren, ich habe in meinem Leben, in den 50 Jahren, die ich in Deutschland bin, ein bisschen mehr als 50, hintereinander weg, meine Jugend habe ich auch in Deutschland, in Berlin erlebt, ich habe in diesen vielen Jahren vieeele Literaturpreise bekommen, sehr viele, darunter auch die höchsten, wie den Goethe-Preis, den Thomas-Mann-Preis und einige andere.“

Dieser Einstieg ist nicht aufgrund des konfus anmutenden Satzbaus interessant (das ist ganz grrrässlich, keine Litterrratur, ganz abscheulich), sondern wegen seiner unterschwelligen Information, die da lautet: Ich habe die höchsten Literatur-Preise erhalten. Ganz nebenbei gefragt: Sollten Littterrratur-Preise nicht Littterrraten vorbehalten sein? Also Menschen, die wirklich schreiben können? Oder dürfen Littterrratur-Preise auch jene erhalten, die an anderen mehr oder weniger kompetent herumkrrrritteln?

Doch weiter im Text. Dieser Einstieg ist interrrressant, weil sich der Redner gleich zu Beginn positioniert, indem er sein Image, von dem er – natürrrrlich – weiß, noch einmal kurz umreißt: Ich, Marcel Reich-Ranicki, habe die höchsten Literatur-Preise erhalten. Der Redner macht also sofort und ohne Umschweife auch dem letzten Zuhörer klar, mit wem man es hier zu tun hat. Zugleich bereitet er damit auch den kommenden Eklat vor: Wenn eine Person dieses Ranges ablehnt, fallen die Reaktionen gewaltiger aus, als wenn dies Lieschen Müller getan hätte. Die Hörer werden also in ihrem Bild, welches sie vom Redner besitzen, bestätigt. Interessant daran ist, dass mit Sicherheit nur ein Bruchteil der Hörer dieses Bild aus eigener Anschauung bestätigen kann, denn nur die wenigsten haben sich die boshaften Ausfälle aus dem „Literarischen Quartett“ je angetan. Das Image, welches Reich-Ranicki besitzt, wurde und wird vor allem medial übermittelt.

Kleine Erzählungen erzeugen komplexe Bildwelten

Nachdem der Redner auf die wichtigen Preise hinweist, die ihm verliehen wurden, ist die Selbstvermarktung jedoch noch nicht abgeschlossen. Nach einigen Sätzen festigt eine Anekdote das Bild, welches die Hörer vom Redner besitzen. Genüsslich gibt der kleine Mann eine noch kleinere Bemerkung wieder, mit deren Hilfe der Intendant des ZDF Schlimmes verhindern will:
„Und der Intendant Schächter sagte mir: ‚Bitte, bitte, bitte nicht zu hart.’ Ja, in der Tat, ich möchte niemanden kränken, niemanden beleidigen oder verletzen, nein, das möchte ich nicht.“ Weil der Redner als ein harter und oft ungerechter Kritiker bekannt ist, der kränkt, beleidigt und verletzt, bestätigt diese Passage das Image des Redners indirekt. Sie deutet zugleich darauf hin, dass Reich-Ranicki sich seines Bildes in den Köpfen der Menschen bewusst ist.

Unerwartetes katapultiert den Aufmerksamkeitspegel nach oben

Im weiteren Verlauf der Ansprache lässt der Redner dann die Bombe hochgehen: „Ich nehme diesen Preis nicht an. Ich hätte das, werden Sie denken und sagen, früher erklären sollen, natürlich. Aber ich habe nicht gewusst, was hier auf mich wartet, was ich hier erleben werde. Ich gehöre nicht in diese Reihe, der heute, vielleicht sehr zu Recht, preisgekrönten. Wäre der Preis mit Geld verbunden, hätte ich das Geld zurückgegeben. Aber er ist ja nicht mit Geld verbunden.“

Nachdem Reich-Ranicki mit nur wenigen Worten den Zünder betätigt, führt er einen stillen Dialog mit den Zuhörern, indem er ihre nun auftauchenden Fragen antizipiert („… werden sie denken und sagen…“). Danach verwendet er wieder verschiedene Elemente der Selbstvermarktung, diesmal aber etwas subtilere. Zweimal hintereinander beginnt er den Satz mit dem Pronomen ich. Entgegen einer alten Schulweisheit („Man beginnt einen Satz nicht mit ich.“) und entgegen anerzogener moralischer Bedenken („Stell Dich nicht in den Vordergrund!“) zeigt der Redner mit dieser Anapher auf sich – selbstbewusst und unbekümmert. Den Preis selbst bezeichnet er abwertend als „Gegenstand“, die Preisträger, ebenfalls abwertend, als „verschiedene Leute“.

Unterschwellig und trotzdem wirksam

Der Höhepunkt ist erreicht, wenn die Auszeichnung indirekt mit Müll oder Unrat bezeichnet wird, dessen man sich zu entledigen hat: „Ich kann nur diesen Gegenstand, der hier verschiedenen Leuten überreicht wurde, von mir werfen oder jemandem vor die Füße werfen. Ich kann das nicht annehmen. Und ich finde es auch schlimm, dass ich hier viele Stunden das erleben musste.“ Die impliziten Botschaften dieser Passage lauten: ‚Wenn ich Preisträger und einen Preis abwerte, muss ich zuerst einmal in der Lage sein, den Wert dieses Preises einschätzen zu können.’ Der zweite argumentative Schritt, der von den Hörern automatisch vollzogen wird, lautet: ‚Wer dazu in der Lage ist, eine solche Einschätzung vorzunehmen, steht automatisch über jenen, die den Preis annehmen.’ Hier wird auch deutlich, warum Reich-Ranicki zu Beginn explizit auf die hohen Literatur-Preise verweist, denn nur so werden diese implizierten Botschaften plausibel. Zugleich provozieren sie eine weitere Schlussfolgerung: ‚Wer diese hohen Preise erhalten hat, kann sich nicht in die Niederungen eines Fernseh-Preises begeben.’

Anhand dieses Auszugs wird auch eine text-linguistische Tatsache deutlich: Die Bedeutung einzelner Worte – hier geht es um die neutralen Oberbegriffe Gegenstand und Person – ist erst in einem ganz speziellen textlichen Zusammenhang in einer ganz speziellen Kommunikations-Situation zu klären. Reich-Ranicki verwendet zwei neutrale Begriffe abwertend, was aber erst durch den textlichen Zusammenhang und die Situation klar wird. In einem anderen Kontext können sie neutral oder positiv benutzt werden. Dies wiederum sollten sich all jene hinter die Ohren schreiben, die noch heute glauben, Sprache sei ein Manipulations-Instrument.

Selbstvermarkter handeln antizyklisch und unerwartet

Betrachtet man den Auftritt von Reich-Ranicki zusammenfassend unter dem Aspekt der Selbstvermarktung, wird folgendes klar: Er benutzt das Medium Fernsehen, welches ihm aus der Feuilleton-Ecke der FAZ heraushalf, um sein Image auf spektakuläre Weise zu festigen. Er macht das, was niemand erwartet oder erwarten konnte. Ob die Aktion geplant oder ungeplant ist, wird in dem Moment zweitrangig, in dem sie als spontan wahrgenommen wird.

Was lehrt uns dies? Wer sich wieder und wieder ins Gespräch bringen will, positioniere sich und scheue sich auch nicht anzuecken. Denn nur so bleiben Spuren jahrelang präsent. Im Treppenaufgang und in den Köpfen der Menschen.

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Publikationshinweis
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