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Fachartikel, 24.04.2009
Finanzmarkt
Das Fieber sinkt
Zahlreiche Indikatoren signalisieren, dass an den Finanzmärkten das Schlimmste wohl vorüber ist. So leihen sich die Banken wieder zu etwas günstigeren Bedingungen untereinander Geld. Bezahlt haben für die Krise nicht zuletzt die Bankangestellten – weltweit verloren seit Juli 2007 knapp 300.000 ihren Job.
Inzwischen mehren sich die Zeichen, dass die Finanzkrise ihren Höhepunkt überschritten hat. An den Geldmärkten jedenfalls nimmt die Anspannung etwas ab. So lag zum Beispiel der Zinssatz für unbesicherte Interbankenkredite mit dreimonatiger Laufzeit Anfang April nur noch um knapp 70 Basispunkte (100 Basispunkte sind 1 Prozentpunkt) über dem entsprechenden Zinssatz für besicherte Kredite. Damit ist dieses Fieberthermometer der Finanzmärkte immerhin auf rund ein Drittel des Maximalwerts gefallen, der im Herbst 2008 erreicht wurde.

Ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Lage entspannt: Geldinstitute nutzen momentan das „Diskontfenster“ bei der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht mehr so intensiv wie früher. Auf dieses Konto können Banken überschüssige Liquidität einzahlen. Der Zins, den sie von der EZB bekommen, ist jedoch geringer als der, den sie für Kredite einheimsen, die sie an andere Banken vergeben. Deshalb wurde überschüssiges Geld vor der Krise gerne anderen Instituten ausgeliehen. Aufgrund des Zusammenbruchs und der Beinahepleiten vieler Banken traute man den Kollegen im vergangenen Jahr nicht mehr über den Weg:

Die Kreditinstitute bunkerten zu Beginn des Jahres 2009 zeitweise über 300 Milliarden Euro bei der EZB – vor der Finanzmarktkrise waren Werte von mehr als 10 Milliarden Euro eine Ausnahme.

Nunmehr kehrt ein Teil des Vertrauens zurück, wenngleich der Weg zur Normalität noch weit ist. Mitte April lagen gut 20 Milliarden Euro auf dem EZB-Konto. Endgültige Entwarnung kann auch aus drei weiteren Gründen nicht gegeben werden:

Zum Ersten ist die Nervosität, die nach der Lehman-Brothers-Insolvenz vorherrschte, nur gesunken, weil sich die Regierungen offen dazu bekannt haben, große Banken nicht mehr in die Insolvenz zu schicken.

Zum Zweiten sollte man nicht von einer schnellen, gänzlichen Gesundung der Banken ausgehen, denn Kreditausfälle wegen der Rezession werden zu weiteren Wertberichtigungen führen.

Zum Dritten ist ein wichtiger Player im Finanzsektor längst nicht aus dem Schneider. Die bisher erfolgsverwöhnte Gruppe der Hedgefonds hat sich nicht von ihren herben Rückschlägen erholt. Die von ihnen verwalteten Mittel gingen im Jahr 2008 um 30 Prozent auf 1.500 Milliarden Dollar zurück. Ein weiterer Rückschlag ist wahrscheinlich, da einige Anlagegesellschaften Kapitalabzüge bisher nur mittels Abzugssperren verhindern konnten.

Angesichts dieser Voraussetzungen dürfte auch die Beschäftigungssituation in der Branche schwierig bleiben, selbst wenn der Höhepunkt des Jobabbaus überschritten scheint:

Im 4. Quartal 2008 gingen weltweit mehr als 110.000 Stellen in Banken verloren; im ersten Vierteljahr 2009 waren es 35.000.

Während der Finanzmarkt mithin im Reparaturmodus arbeitet und die Spannungen langsam weichen, beschäftigen sich die Regulierungsinstitutionen sowie die große Politik – insbesondere die G20 – mit dem Design der neuen Finanzarchitektur. Vor allem die Experten in Basel und in London haben sich bereits den Kopf zerbrochen:

  • Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht: Zu Jahresbeginn hat das Gremium, dem unter anderem leitende Vertreter der nationalen Bankenaufsichtsbehörden und der Zentralbanken großer Industriestaaten angehören, Vorschläge für eine stärkere Bankenregulierung publiziert.
  • Financial Service Authority (FSA): In London fürchtet man um die Vormachtstellung der britischen Hauptstadt für die globalen Finanzmärkte. Deshalb hat man dort intensiv gebrütet, wie man mit einem soliden Ordnungsrahmen und dem damit geschaffenen Vertrauen die Finanzbranche in England halten kann. Im März hat Adair Turner – Chef der englischen Finanzaufsicht FSA – einen viel beachteten Bericht vorgelegt.
  • Forum für Finanzstabilität: Diese Institution mit Sitz bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel hat Mitte März mehrere Papiere veröffentlicht. Alle Publikationen weisen ganz offensichtlich Gemeinsamkeiten auf – daher kann man von einem weithin abgestimmten Prozess sprechen. Zusammen mit den Memoranden der G20, die Anfang April beim Treffen der Regierungschefs in London erarbeitet wurden, ergeben die Dokumente ansatzweise ein Bild vom Finanzsystem der Zukunft:

1. Neue Institution

Das Forum für Finanzstabilität (FSF = Financial Stability Forum) wird zum Rat für Finanzstabilität (Financial Stability Board = FSB) aufgewertet. Bisher wurde das FSF von der Politik nur eingeschaltet, wenn Gefahr im Verzug war. Kompetenzen besaß es kaum, es diente der Beratung. Das Forum hat sich deshalb eher als Papiertiger erwiesen.

Das Nachfolgegremium dagegen bekommt zwei Aufgaben. Zum einen soll es Empfehlungen geben, wie man den Finanzmarkt so reguliert, dass Risiken verringert werden. Zum anderen soll es die Regierungen überwachen und prüfen, ob sie in Sachen Regulierung ihre Hausaufgaben
machen. Das Board wird praktisch zu einer Aufsicht der Aufsicht.

Die Gretchenfrage jedoch ist, ob sich der Rat bei Meinungsverschiedenheiten durchsetzen kann. Dazu benötigt er politische Unabhängigkeit und ein entsprechendes Standing.

Die Chancen, dass er sich tatsächlich emanzipiert, stehen nicht allzu schlecht. Denn der Rat wird getragen von den G20-Ländern, Spanien, der Europäischen Kommission sowie den Schwellenländern. Das FSB wird seinen Sitz in der Schweiz bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel haben – ist also in unmittelbarer Nachbarschaft der Baseler Kommission für Bankenaufsicht angesiedelt. Damit dürfte der kleine Dienstweg gesichert sein.

2. Neue Regeln

Das Finanzsystem soll stabilisiert werden durch mehr und „besseres“ Eigenkapital, eine zusätzlich in guten Zeiten zu bildende Rücklage und optimierte sogenannte Stresstests. Dabei wird überprüft, ob die Geldhäuser auch extreme Veränderungen der Geschäftssituation überstehen können, ohne beispielsweise in unüberwindbare Liquiditätsprobleme zu geraten.

In der aktuellen Krise hat sich auch gezeigt, dass Eigenkapital nicht gleich Eigenkapital ist. Das Kreditwesengesetz rechnet dazu auch Mittel, die der Bank zwar langfristig zu Verfügung stehen, die aber beispielsweise feste Zinszahlungen vorsehen. Unabhängig von den aktuellen Gewinnen wird dieser Eigenkapitalgeber in der Regel bedient, selbst wenn sich die garantierten Zinsen gar nicht erwirtschaften
lassen.

Die Vorschläge, wie man Risiken besser absichern kann, sind zwar noch nicht sehr präzise. Aber die englische Aufsicht hat sich dezidiert für eine bessere Qualität des Eigenkapitals ausgesprochen. Bisher müssen Banken 4 Prozent Kernkapital vorweisen. Zu diesem Eigenkapital im klassischen Sinne zählen eingezahltes Kapital und Rücklagen. Die FSA plädiert für eine Verdoppelung dieser Quote.

Eine weitere Erkenntnis ist, dass nicht nur die Qualität der Investments einer Bank ihre Krisenanfälligkeit bestimmt. Vielmehr spielte in der jüngsten Krise die Art der Finanzierung, die ein Geldhaus wählte, eine herausragende Rolle. Denn anders als früher sind nicht die Otto-Normalsparer in Panik geraten und haben ihr Geld abgezogen – hauptsächlich, weil es ein Einlagensicherungssystem gibt.

Dagegen versiegte zuletzt die kurzfristige Refinanzierung der Banken am sogenannten Wholesale Markt – auf deutsch: dem Finanzgroßmarkt. Dort bieten institutionelle Investoren und Banken insbesondere kurzfristige Finanzierungen an. Da sich viele Institute in den Jahren vor der Krise gerade hier stärker refinanzierten, kam es zu einem flächendeckenden Liquiditätsproblem, als dieser Markt austrocknete.

Wie man das Problem in den Griff bekommen will, ist noch nicht in Gänze klar. Bisher zeichnet sich ab, dass den Banken detaillierte Stresstests abverlangt werden. Allerdings sind die Aufseher bei diesen Tests auf die Mitwirkung der Geldhäuser angewiesen. Diese haben jedoch einen Anreiz, ihre Situation zu beschönigen. Deshalb sollte die Aufsicht vergleichsweise detaillierte Vorgaben für die Stresstests machen, sodass Banken das Ausweichen erschwert wird.

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