Der Mindestlohn ist in Deutschland hoffähig geworden – inzwischen
fordern ihn nicht mehr nur Gewerkschaften, SPD und „Die Linke“. Selbst
CDU und CSU haben 2011 beschlossen, künftig für Branchen ohne
allgemeingültigen Tarifvertrag eine Lohnuntergrenze einzuführen. Auf den
ersten Blick würden von einem generellen Mindestlohn viele
Arbeitnehmer profitieren:
Bei den von Sozialdemokraten und
DGB geforderten 8,50 Euro je Stunde hätten 19 Prozent der Beschäftigten
mehr Geld in der Tasche. Ein Mindestlohn von 7,50 Euro würde immerhin
14 Prozent begünstigen.
Bei den unter 25-Jährigen würde
ein Mindestlohn von 8,50 Euro je Stunde sogar für fast jeden zweiten
eine höhere Bezahlung bedeuten.
Ob jemand von einem staatlich
verordneten Mindestlohn profitiert, hängt auch von der Branche ab. In
der Industrie oder der Energiewirtschaft zum Beispiel würde sich der
Mindestlohn nur auf relativ wenige Arbeitsplätze auswirken. Von
denMitarbeitern in der Gastronomie verdienen dagegen 60 Prozent weniger
als 8,50 Euro. Das liegt vor allem daran, dass dort kleinere Betriebe
dominieren – diese zahlen im Schnitt niedrigere Löhne als große Firmen.
Diese
Fakten sagen allerdings wenig darüber aus, ob ein gesetzlicher
Mindestlohn sinnvoll wäre. Genau das muss aber aus zwei Gründen
bezweifelt werden:
1. Der geforderte Mindestlohnsatz ist zu hoch.
Eine
starre Lohnuntergrenze führt nur dann nicht zu größeren Jobverlusten,
wenn sich die betroffenen Arbeitsplätze für die Unternehmen auch
zum höheren Lohn noch rechnen. Ob dies jedoch bei einem Mindestlohn
von 8,50 Euro der Fall wäre, ist fraglich. Denn das wären immerhin 53
Prozent des durchschnittlichen Bruttostundenlohns eines
Vollzeitbeschäftigten. Das ist ein hoher Wert, vor allem
verglichen mit jenen Ländern, die von den Befürwortern des
Mindestlohns oft als Beleg für dessen Arbeitsmarktverträglichkeit
genannt werden.
In Frankreich zum Beispiel beträgt der
Mindestlohnsatz 48 Prozent des Durchschnittslohns; zudem federt die
Regierung die negativen Wirkungen auf den Arbeitsmarkt durch großzügige
Lohnsubventionen an die Betriebe ab. In Großbritannien liegt der 1999
eingeführte gesetzliche Mindestlohn nur bei 38 Prozent des
durchschnittlichen Entgelts – und hat deshalb auch kaum zu Jobverlusten
geführt.
2. Der Mindestlohn kann Armut nicht effizient bekämpfen.
Als
Argument für einen gesetzlichen Mindestlohn ist immer wieder zu hören,
dass er helfe, „Armut trotz Arbeit“ zu verhindern. Tatsächlich aber
lebt zum Beispiel fast die Hälfte all derjenigen Arbeitnehmer, die
weniger als 8,50 Euro je Stunde verdienen, mit einem Partner zusammen,
der ein höheres Einkommen bezieht. Die sogenannte Einkommensarmut ist
deshalb viel weniger verbreitet, als man vermuten mag.
Im
Jahr 2011 waren nur 18 Prozent aller Beschäftigten mit einem Stundenlohn
von maximal 8,50 Euro einkommensarm, verdienten also weniger als 60
Prozent des mittleren Einkommens.
Von den
Vollzeitbeschäftigten mit einem Stundenlohn von höchstens 8,50 Euro
fielen sogar nur 14 Prozent unter diese Armutsschwelle.
Dies
bedeutet umgekehrt, dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro sehr häufig
Personen begünstigen würde, die auf eine solche Unterstützung gar nicht
angewiesen sind. Wenn sich diese Arbeitsplätze allerdings nicht mehr
rentieren und die Beschäftigten deshalb entlassen würden, wären die
Folgen gravierend. Denn von den Arbeitslosen sind fast viermal so
viele einkommensarm wie von den Geringverdienern.
Besonders
problematisch wäre ein Mindestlohn wohl für Jugendliche. Sie starten nun
einmal mit wenig berufsbezogenen Kenntnissen und entsprechend geringem
Lohn ins Arbeitsleben, steigern aber mit zunehmender Erfahrung auch ihr
Einkommen. Verhindert ein zu hoher Mindestlohn jedoch den
Berufseinstieg, ist dem Nachwuchs der Weg nach oben von vornherein
verbaut.
*) aus IW-Trends 1/2013 - Moritz Heumer, Hagen Lesch, Christoph Schröder: Mindestlohn, Einkommensverteilung und Armutsrisiko