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Fachartikel, 21.12.2006
Projektmanagement
Wenn Standards heilige Kühe werden
Viele Projekte scheitern, weil sie Youngstern ohne Erfahrung im Projektmanagement übertragen werden, als Chance sich zu bewähren. Hinzu kommt: Viele Unternehmen postulieren zwar, wir wollen flexibel auf Veränderungen reagieren. Beim Managen von Projekten pochen sie aber auf das Einhalten starrer Standards.
Alltag in vielen Unternehmen: Mehrere Großprojekte, die sich wechselseitig beeinflussen, laufen parallel. Bei einem soll eine neue IT-Infrastruktur in der Organisation geschaffen, bei einem anderen die Zusammenarbeit mehrerer Bereiche optimiert werden. Und beim dritten lautet das Ziel: Die Zufriedenheit unserer Kunden soll steigen. Gemeinsam ist solchen Projekten, dass sie neben den Arbeitsinhalten vieler Mitarbeiter auch die Arbeitsstrukturen und -beziehungen verändern; außerdem, dass ihr Erfolg oft über die Zukunft des Unternehmens entscheidet.

Dass mehrere strategische Projekte in ihrer Organisation zugleich stattfinden, ist heute in den meisten Unternehmen gang und gäbe. Also müssen sie koordiniert werden. Das haben die Entscheider in fast allen größeren Unternehmen bereits vor Jahren erkannt. Deshalb etablierten sie in ihrer Organisation ein Projektmanagementsystem, das Fragen beantwortet wie:

::: Was ist überhaupt ein Projekt (und was nur eine Sonderaufgabe)?
::: Wie sollten Projekte geplant, durchgeführt und gesteuert werden? Und:
::: Welche Instrumente nutzen wir hierfür?

Außerdem hat sich das Ausbilden der Mitarbeiter im Bereich Projektmanagement zu einem festen Bestandteil der betrieblichen Weiterbildung entwickelt. In fast allen größeren Unternehmen werden Mitarbeiter heute ebenso selbstverständlich in Sachen Projektmanagement geschult wie in den Bereichen Führung und Verkauf.

Also könnte man annehmen: Das Managen von Projekten bereitet den Unternehmen keine Schwierigkeiten. Schließlich existieren die notwendigen Strukturen und haben die Mitarbeiter das erforderliche Know-how. Die betriebliche Realität sieht anders aus. In ihr werden die Ziele von Projekten oft nicht oder nur teilweise erreicht. Das belegen zahlreiche Studien. Und noch häufiger werden die Ziele zwar auf dem Papier erreicht – doch nur zu dem Preis, dass Folgeprobleme in Kauf genommen werden. Etwa, weil das Projektteam ab irgendeinem Zeitpunkt nur noch nach der Maxime agiert: Wir müssen, koste es, was es wolle, den gesteckten Zeit- und Kostenrahmen einhalten (sonst werden wir sanktioniert). Das bedeutet: Qualitätsmängel werden bewusst akzeptiert, was letztlich zu einem Mehraufwand wie zum Beispiel zu Rückrufaktionen führt. Oder dazu, dass das neue Management-System von den Mitarbeitern nicht akzeptiert wird.

Projektmanager fehlt Verankerung im Betrieb

Eine Ursache hierfür ist: In vielen Unternehmen besteht zwar ein Konsens darüber, dass in den großen Changeprojekten die Basis für den künftigen Erfolg gelegt wird. Bei der Entscheidung, wer die Verantwortung für die Projekte übernimmt, fällt die Wahl aber oft auf Mitarbeiter, die zwar ein großes (Entwicklungs-)Potenzial haben, aber noch keine gereiften Führungskräfte und Projektmanager mit starkem Rückgrat und fester Verankerung in der Organisation sind. „Das soll der Maier machen. Dann kann er zeigen, was in ihm steckt ....“. Die Projekte werden also so besetzt, dass sie für die Projektleiter eine Chance sind, sich zu bewähren. Nur selten wird die Leitung einem mit allen Wassern gewaschenen Projektmanagement-Profi übertragen. Hieraus ergeben sich Folgeprobleme – zum Beispiel, weil die Youngster von den Bereichsleitern und den Spezialisten nicht als gleichrangige Gesprächspartner akzeptiert werden. Oft sehen die „Bereichsfürsten“ in den hochmotivierten und nach oben strebenden Projektmanagern auch Konkurrenten. Also versuchen sie, diese klein zu halten.

Der entscheidende Nachteil eines solchen Vorgehens ist: Wenn die jungen Stars ein-zwei Großprojekte mit Erfolg gemanagt haben, erwarten sie die (zumindest zwischen den Zeilen) versprochene Belohnung: eine exponierte Führungsposition in der Linie, da diese meist besser do-tiert und mit einem höheren Ansehen verbunden ist. Das bedeutet: Die nun erfahrenen Projektmanager stehen nicht mehr als Leiter von Großprojekten zur Verfügung. An ihre Stelle treten erneut junge, unerfahrene Projektmanager, die oft dieselben Fehler wie ihre Vorgänger machen.

Projektmanagern fehlt Führungserfahrung

Ein weiterer Knackpunkt ist: Das Leiten von Projekten wird in vielen Unternehmen primär als Management- und weniger als Führungs- oder gar Leadership-Aufgabe betrachtet. Dabei kommen reine Macher beim Planen und Durchführen größerer Projekte meist nicht weit. Da diese Projekte das Unternehmen meist fit für die Zukunft machen sollen, sind mit ihnen viele Änderungen verbunden. Entsprechend skeptisch und abwartend stehen die Mitarbeiter ihnen anfangs gegenüber. Und sei es nur aus Angst, dass bestimmte Arbeitsroutinen hinfällig werden.

Deshalb ist es eine zentrale Aufgabe von Projektmanagern, für die geplanten Veränderungen zu werben. Und zwar primär dadurch, dass sie die Betroffenen so früh und umfassend wie möglich über die Ziele des Projekts und dessen Verlauf informieren; außerdem, indem sie die Betroffenen, soweit möglich, in das Projekt integrieren. Diese Aufgabe überfordert viele Projektmanager – unter anderem, weil sie meist keine erfahrenen Führungskräfte sind. Hinzu kommt: Der Fokus der meisten Projektmanagement-Ausbildungen liegt auf den harten Erfolgsfaktoren. In ihnen lernen die Teilnehmer zwar „Wie erstelle ich einen Projektplan?“ und „Wie kontrolliere ich, ob die Zeit- und Kostenpläne eingehalten werden?“. Nur gestreift werden aber Themen wie „Wie analysiere ich, wer betroffen ist?“ und „Wie erkenne ich Widerstände und wie gehe ich mit ihnen um?“ Und werden solche Themen doch behandelt, so wird den angehenden Projektmanagern oft nur Faktenwissen vermittelt. Selten sind in die Ausbildungen Projekte integriert, in denen die Teilnehmer zum Beispiel ihr Gespür schärfen für: „Wo braut sich in der Organisation ein Unwetter zusammen?“ und „Wann sollten wir als Projektteam intervenieren?“

Projektmanager müssen sensible Antennen haben

Dies ist wichtig, da eine Person, nur weil sie die möglichen Störfaktoren kennt, diese noch lange nicht rechtzeitig wahrnehmen und adäquat darauf reagieren kann. Hinzu kommt: Bei jedem Changeprojekt gibt es Gewinner und Verlierer – auch wenn dies viele Unternehmen negieren. Zumindest gibt es Personen, die sich als Verlierer fühlen, oder befürchten: Wenn ich nicht aufpasse, zähle ich zu ihnen. Zum Beispiel, weil mir Privilegien gestrichen werden oder mein Einfluss sinkt. Deshalb gibt es bei jedem Changeprojekt Widerstände. Die Frage ist nur: Wie groß sind beziehungsweise werden sie? Und: Werden Bedenken, aus denen sich Widerstände entwickeln könnten, rechtzeitig erkannt?

Mit solchen Fragen adäquat umzugehen, überfordert viele Projektmanager – auch weil die Betroffenen ihren Widerstand selten offen zeigen. Doch plötzlich brodelt die Gerüchteküche und werden Aufgaben nicht mehr so zuverlässig wie zuvor erledigt. Und treten die emotionalen Widerstände doch offen zutage, dann meist in der Form, dass die Betroffenen sachliche Einwände gegen die geplanten Änderungen vortragen und Kleinigkeiten zu Schicksalsfragen hochstilisieren. Oft geschieht dies nicht unmittelbar, wenn das Projekt verkündet wird, sondern erst, wenn die Umsetzung beginnt und die Betroffenen allmählich die Folgen der Veränderung spüren. Dann kochen plötzlich – für das Projektteam völlig unerwartet – die Emotionen dermaßen hoch und die Diskussion über scheinbare Kleinigkeiten gewinnt eine solche Eigendynamik, dass der Erfolg des gesamten Projekts gefährdet wird.


Changeprozesse sind nur begrenzt planbar

Dass dies immer wieder geschieht, liegt auch daran, dass viele Projektmanager nicht ausreichend sensibel für die Dynamik sozialer Systeme wie Unternehmen sind. Und schon gar nicht beherrschen sie das Instrumentarium, um auf Turbulenzen angemessen zu reagieren. Eine Ursache hierfür: Oft wird angehenden Projektmanagern in ihren Ausbildungen – gerade wegen deren Fixierung auf Methoden und Standards – das Gefühl vermittelt, Changeprozesse ließen sich wie der Bau einer Maschine planen und steuern. Dies ist nicht möglich, weil soziale Systeme lebende Gebilde sind. Außerdem nimmt jeder Projektentwurf die gedachte Zukunft vorweg. Entsprechend viele Annahmen fließen in ihn ein, die sich als falsch erweisen können.

Eine weitere Ursache für das Scheitern von Projekten: Oft werden die Projektpläne so erstellt, als fände deren Umsetzung in hermetisch geschlossenen Labors ohne externe Einflüsse statt. Im betrieblichen Alltag ist dies nie der Fall. Hier ändern sich die Rahmenbedingungen kontinuierlich. Zwei Mitbewerber fusionieren. Neue technische Lösungen kommen auf den Markt. Der alte Vorstand wird durch einen neuen ersetzt. Die Erträge entwickeln sich nicht wie geplant. Dies sind nur einige der möglichen Faktoren, die neben dem Projektplan auch die Projektziele in Frage stellen können. Deshalb dürfen größere Projekte, die teils Jahre dauern, nicht mechanistisch geplant werden. Es genügt nicht, vor Projektbeginn einen Projektplan zu erstellen, der blind abgearbeitet wird. Vielmehr muss regelmäßig geprüft werden: Ist das geplante Vorgehen noch geeignet, die definierten Ziele zu erreichen oder müssen wir es modifizieren? In den Projektverlauf müssen also Reflektionselemente integriert werden, bei denen analysiert wird: Was hat sich in der Organisation und deren Umfeld geändert? Was bedeutet das für das Projekt? Welche Konsequenzen hat dies für das Vorgehen? Thematisiert werden sollte in den Reflektionsrunden auch: Fördern/behindern uns die geltenden Projektmanagement-Standards und genutzten Instrumente am Erreichen der Ziele oder nicht?

Definierte Standards sind Werkzeuge

Solche Fragen stellen sich die Projektverantwortlichen jedoch selten. Sie halten sich zuweilen sklavisch an die definierten Standards, weil sie wissen: Ein Abweichen von ihnen wird sanktioniert. In Vergessenheit gerät, dass jeder Standard ebenso wie jedes Projektmanagement-Tool nur ein Werkzeug ist. Ein begründetes Abweichen von den Standards sollte in der Organisation also nicht nur erlaubt, sondern sogar erwünscht sein. Dies setzt eine Unternehmenskultur voraus, die dem Erreichen der Ziele eine höhere Priorität beimisst als dem Festhalten an starren Regeln.

Gerade bei langfristigen Projekten werden oft, weil sich die Rahmenbedingungen ändern, im Verlaufe des Projekts die definierten Ziele zum Teil obsolet. Das heißt, sie und damit auch das Vorgehen müssen dem veränderten Umfeld angepasst werden. Dies setzt voraus, dass im Projektteam und in der Organisation offen darüber kommuniziert wird, inwieweit die Ziele noch relevant sind oder modifiziert werden sollten. Ein solche Kommunikation findet in vielen Unternehmen nicht statt – vor allem, weil das Aufgeben beziehungsweise Anpassen nicht nur inhaltlicher Ziele, sondern auch des gesteckten Zeit- und Kostenrahmens oft als Versagen interpretiert wird. Also halten alle so lange daran fest, bis auch der Letzte erkannt hat: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erreichen wir die Ziele nicht.

Doch selbst dann werden in der Regel nicht die Ziele und das Vorgehen hinterfragt. Vielmehr wird das Projekt stärker an die Kandare genommen. Statt alle zwei Wochen sollen die Projektverantwortlichen nun alle drei Tage einen Report für den Vorstand über den Stand des Projekts schreiben. Statt zu fragen, „Ist unser Vorgehen noch richtig?“, wird noch stärker auf das Einhalten der Pläne und Vorgaben gepocht. Und alle spielen aus Angst „Sonst stehe ich am Pranger“ dieses Spiel mit. Sinnvoller wäre es, wenn sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen und gemeinsam überlegen würden: Wie können wir die Weichen neu stellen?
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Dr. Georg Kraus ist Inhaber der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner und Autor des „Change Management Handbuch" sowie zahlreicher Projektmanagement-Bücher. Die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, unterstützt ...
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