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Fachartikel, 22.07.2008
Vorruhestand
Altersteilzeit & Co. – ein teurer Abschied
Ob Altersteilzeit, 58er-Regelung oder zwei Jahre Arbeitslosengeld I für Ältere – das vorzeitige Ausscheiden aus dem Erwerbsleben kommt Steuer- und Beitragszahler teuer zu stehen. Der Verzicht auf diese Förderinstrumente würde dem Staat nicht nur Kosten von bis zu 3,7 Milliarden Euro pro Jahr einsparen. Der Wohlstand in Deutschland wäre auch höher: Mit einer besseren Integration der Älteren in den Arbeitsmarkt hätte das Bruttoinlandsprodukt 2006 um mindestens 0,8 Prozent höher ausfallen können.*)
Widersprüchlicher kann Politik nicht sein: Auf der einen Seite hat der Bundestag die Rente ab 67 beschlossen – mit der Begründung, sonst sei die gesetzliche Rentenversicherung künftig nicht zu finanzieren. Auf der anderen Seite öffnet der Staat Schlupflöcher, um vorzeitig aus dem Erwerbsleben auszuscheiden.

Ob geförderte Altersteilzeit oder verlängerter Arbeitslosengeldbezug für Ältere – all diese Maßnahmen mindern den Anreiz, bis zur Regelaltersgrenze nach Arbeit zu suchen. Nicht zuletzt deshalb schieden die Männer hierzulande 2006 im Schnitt bereits mit 62,1 Jahren aus dem Erwerbsleben aus, die Frauen sogar schon mit 61,6 Jahren. Der frühe Abschied vom Job kostet die Steuer- und Beitragszahler viel Geld.

Altersteilzeit

Sie sollte eigentlich älteren Mitarbeitern einen gleitenden Übergang in den Ruhestand ermöglichen, indem die Arbeitszeit peu à peu zurückgefahren wird. Tatsächlich aber endet für Altersteilzeiter das Arbeitsleben abrupt: Denn über 90 Prozent der von der Bundesagentur für Arbeit (BA) geförderten Personen wählen das Blockzeitmodell. Sie arbeiten zunächst Vollzeit, um sich in der verbleibenden Zeit bis zum eigentlichen Renteneintritt nur noch dem Garten und anderen Hobbys zu widmen.

Auch ein weiteres Ziel, das man mit der Regelung verfolgte, wurde am Ende nicht erreicht: Der ursprüngliche Zweck der Übung war, dass Arbeitnehmer in Altersteilzeit Stellen frei machen und diese mit Arbeitslosen besetzt werden. Dafür zahlt die Bundesagentur für Arbeit einen kräftigen Zuschuss – sie erhoffte sich entsprechende Einsparungen beim Arbeitslosengeld.

So ersetzt die BA den Arbeitgebern die gesetzlich vorgeschriebenen Aufstockungsbeträge, wenn sie einen Arbeitslosen einstellen. Der Aufstockungsbetrag hat sicherzustellen, dass ein Altersteilzeiter, der nur noch mit halber Kraft schafft, mindestens 70 Prozent seines ursprünglichen Nettosalärs in der Tasche hat. Die Rentenversicherungsbeiträge müssen sogar 80 Prozent des vorherigen Niveaus erreichen. Weil aber auch die Einstellung von Auszubildenden und die Übernahme von frisch Ausgebildeten das Recht auf einen Zuschuss der Bundesagentur begründet, kam, was kommen musste:

Nur für ein Fünftel der direkt geförderten Altersteilzeitstellen konnte die Bundesagentur 2007 auch einen Arbeitslosengeldempfänger aus ihrer Statistik streichen.

Fast zwei Drittel der Stellen besetzen dagegen neue und übernommene Azubis, die eventuell auch ohne Altersteilzeitförderung eine Lehrstelle bzw. einen Arbeitsplatz gefunden hätten. Das Ganze ist also ein schlechtes Geschäft für die Nürnberger Behörde:

Insgesamt muss die BA für die Förderung von Altersteilzeit 1,3 Milliarden Euro im Jahr ausgeben.

Damit sind jedoch längst nicht alle Kosten für den Staat und die Beitragszahler der Sozialversicherung abgedeckt. Denn sämtliche Aufstockungsbeträge sind steuer- und beitragsfrei, unabhängig davon, ob die frei werdende Stelle wieder besetzt werden kann. Das bedeutet, dass die Altersteilzeiter aufgrund ihrer offiziell halben Stelle nur die Hälfte der ursprünglichen Sozialbeiträge zahlen – obwohl sie mindestens 70 Prozent ihres früheren Nettogehalts beziehen und nahezu ihre vollen Leistungsansprüche an die Sozialversicherungen behalten. Die finanzielle Lücke müssen die übrigen Beitragszahler schließen.

Für die Unternehmen ist das Instrument ebenfalls attraktiv. Im Falle von Umstrukturierungen bietet man den betroffenen Mitarbeitern an, in Altersteilzeit zu wechseln. Das ist allemal humaner und billiger als die Alternative einer betriebsbedingten Kündigung. Diese kommt die Firma oftmals teurer, weil der gesetzliche Kündigungsschutz hohe Abfindungszahlungen oder kostenintensive Sozialplanregelungen nach sich zieht. Die Aufstockungsbeträge im Altersteilzeitmodell sind dagegen auch für die Arbeitgeber abgabenfrei – selbst, wenn sie keinen Mitarbeiter neu einstellen. Nicht zuletzt deshalb machen die von der Bundesagentur geförderten Stellen nur ein Viertel aller Altersteilzeitstellen aus.

Die übrigen 300.000 Arbeitnehmer in Altersteilzeit werden von den Unternehmen finanziert. Das kostete diese im Jahr 2006 rund 3,9 Milliarden Euro. Der Staat will sich aus der Förderung zurückziehen – noch können bis Ende 2009 Altersteilzeitregelungen mit BA-Zuschuss vereinbart werden. Doch selbst wenn die Arbeitsagentur im Jahr 2015 den letzten Altersteilzeiter verabschiedet, kann sie den eingesparten Zuschuss nicht komplett auf der Habenseite buchen. Denn dann haben die Arbeitslosen nicht mehr die Chance, als „Wiederbesetzer“ ins
Berufsleben zurückzukehren; sie liegen der Arbeitslosenversicherung weiter auf der Tasche und beziehen ALG I. Das Gleiche gilt für ALG-II-Empfänger, die dem Bund zur Last fallen. Unterm Strich hätte das zuletzt bedeutet: Ohne die geförderte Altersteilzeit wären Steuer- und Beitragszahler 2006 um 0,5 Milliarden Euro entlastet worden.

Arbeitslosengeld-I-Bezug für Ältere

Hier stehen zwei Sonderwege offen: Die sogenannte 58er-Regelung wurde zwar im Rahmen der Arbeitsmarktreformen abgeschafft, Altfälle aber haben Bestandsschutz. Demnach müssen sich über 58-jährige Arbeitslose nicht mehr bei ihrem Vermittler blicken lassen – sie bekommen trotzdem ALG I. So wird auch die Arbeitslosenstatistik geschönt, denn wer nicht vermittelt werden muss, zählt auch nicht als arbeitslos.

Die zweite Regelung, die verlängerte Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I für Ältere, mindert ebenfalls den Druck, sich um eine neue Beschäftigung zu bemühen. Seit Anfang des Jahres 2008 können 55- bis 57-Jährige bis zu 18 Monate, 58-Jährige und Ältere bis zu zwei Jahre ALG I beziehen. Zuvor war für alle nach 12 bis 18 Monaten Schluss.

Vielen Arbeitslosen reichen die zwei Jahre, um danach direkt in Rente zu gehen. Finanzielle Einbußen werden lieber in Kauf genommen, als Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen zu besuchen, um beruflich wieder fit zu werden. Sicherlich bekommen nicht alle der von den beiden Regelungen betroffenen 410.000 Personen eine Stelle, wenn man ihnen die Altersprivilegien zusammenstreicht. Staat und Beitragszahler könnten gleichwohl Milliarden sparen:

  • Wenn nur 10 bis 30 Prozent der Bezieher des verlängerten ALG I arbeiten, wären die BA-Ausgaben pro Jahr um 0,6 bis 1,1 Milliarden Euro niedriger.
  • Wenn 15 bis 40 Prozent der „58er“ eine ihnen angebotene Stelle antreten müssten, hätte die BA nochmals 1,6 bis 2,2 Milliarden Euro mehr in der Kasse.

Der Verzicht auf alle Formen des Vorruhestands würde die Beitrags- und Steuerzahler um 2,6 bis 3,7 Milliarden Euro jährlich entlasten.

Die Vorruhestandsregelungen kosten darüber hinaus Wachstum. Selbst wenn nur ein Fünftel der Frührentner wieder Arbeit bekäme und auch nicht mehr ganz so leistungsfähig wäre wie früher, so könnte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) doch um ein halbes Prozent höher ausfallen. Gelänge es, ein wenig zur schwedischen Erwerbstätigenquote aufzuschließen, wo noch sieben von zehn Älteren arbeiten, ließe sich zusätzlich ein BIP von 0,8 Prozent
erwirtschaften.

Vgl. Jochen Pimpertz, Holger Schäfer: Was der vorzeitige Ausstieg aus dem Erwerbsleben kostet, in: IW-Trends, erscheint demnächst*)

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