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Fachartikel, 03.03.2009
Ostdeutschland
Lichtblick Industrie
Ostdeutschland tritt vielerorts zwar nach wie vor auf der Stelle – immer noch gibt es nicht genügend Arbeitsplätze und die Arbeitslosigkeit ist entsprechend hoch. Die Menschen wandern deshalb weiter ab. Manches läuft im Osten allerdings auch gut. Die Industrie ist zügig gewachsen. Ihr Anteil an der Bruttowertschöpfung ist in den neuen Ländern sogar höher als in Großbritannien oder Frankreich.*)
Oft hat man den Eindruck, in Ostdeutschland gehe es auch 20 Jahre nach dem Mauerfall nicht richtig voran. Das hängt wohl damit zusammen, dass es dort keine großen Erfolgserlebnisse zu melden gibt. So gelang es den neuen Ländern zuletzt im Jahr 1997, Westdeutschland beim Wirtschaftswachstum zu übertreffen. Die geringere Schlagzahl sorgt dafür, dass es weiter an Jobs mangelt. Folglich ist die Arbeitslosenquote im Osten der Republik doppelt so hoch wie im Westen:

Im Jahresdurchschnitt 2008 waren in Ostdeutschland 13,1 Prozent der Erwerbspersonen arbeitslos gemeldet, im Westen dagegen nur 6,4 Prozent. Noch immer pendeln fast 300.000 Menschen zur Arbeit in die alten Länder.

Viele Erwachsene ziehen daher in den Westen um. Zwischen Zinnowitz und Zittau lebten 2008 noch 16,6 Millionen Menschen, davon 3,4 Millionen in Berlin. Das ist im Vergleich zu 1990 ein Minus von 8 Prozent. Damit ist aktuell nur ein Fünftel der deutschen Bevölkerung auf dem Gebiet der früheren DDR heimisch. Im Jahr 1991 wohnte noch jeder vierte Deutsche in den neuen Bundesländern.

Ebenfalls zurückgefallen sind die Ostländer inzwischen bei einer anderen Kennziffer – die Ausrüstungsinvestitionen, die in den neunziger Jahren zu den Wachstumstreibern zählten, erreichen pro Kopf nur noch 86 Prozent des westdeutschen Niveaus. Trotzdem sollte man den Wirtschaftsstandort Ost nicht schlechtreden. Hinter den Kulissen regt sich nämlich einiges:

::: Unternehmensgründungen

In den Regionen zwischen Ostsee und Erzgebirge werden inzwischen genauso oft Firmen gegründet – und geschlossen – wie in Westdeutschland. Auch der Anteil der Selbstständigen an allen Arbeitskräften hat mittlerweile Weststandard. Kurz nach der Wende war die Selbstständigenquote erst halb so hoch. Im Osten wird der Mittelstand ebenfalls peu à peu zum Rückgrat der Wirtschaft. Nicht mehr die Neuansiedlung großer Werke bestimmen das Bild in den Industrieregionen des Ostens; vielmehr sind nach der Wende gegründete Kleinbetriebe inzwischen zu größeren Mittelständlern geworden.

::: Aufschwung der Industrie

Wie ein Phönix aus der Asche ist die ostdeutsche Industrie auferstanden. Nach dem Zusammenbruch der DDR-Kombinate war der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung im Jahr 1992 nicht einmal mehr halb so hoch wie in Westdeutschland. Seitdem geht es jedoch nahezu kontinuierlich aufwärts. Getrieben durch hohe Investitionen sind inzwischen mehr als 80 Prozent des Westniveaus erreicht. Dementsprechend sind nach 15 Jahren Aufschwung im Verarbeitenden Gewerbe zahlreiche Regionen Ostdeutschlands nicht mehr als de-industrialisierte Zonen anzusehen:

Das Verarbeitende Gewerbe trägt 19,3 Prozent zur Bruttowertschöpfung bei – und damit mehr als in Industrieländern wie Großbritannien, Frankreich oder den USA.

Setzt sich der Trend fort, könnte 2015 ein ähnlicher Industrieanteil an der Wirtschaftsleistung wie in den alten Ländern erreicht sein, sofern die aktuelle Krise die ostdeutsche Industrie nicht härter trifft als die westdeutsche. Die geringere Exportintensität im Osten spricht aber gegen einen überproportionalen Einbruch der dortigen Industrie. Und die Investitionspläne sind in den meist jungen ostdeutschen Werken offenbar noch nicht dramatisch zusammengestrichen worden, wie das Institut für Wirtschaftsforschung Halle im Februar meldete.

::: Gebremster Lohnanstieg

In den neunziger Jahren wurde die Parole ausgegeben, Löhne und Gehälter möglichst schnell ans Westniveau anzugleichen. Viele Unternehmen konnten die zusätzlichen Kosten nicht stemmen und mussten Mitarbeiter entlassen – oder sie haben erst gar keine neuen Leute eingestellt. Erst im Jahr 2000 kam es auch hier zu einer Wende.

Seitdem tritt man bei den Lohnsteigerungen auf die Bremse. Die Arbeitskosten verharren deshalb bei drei Vierteln des Westniveaus. Weil gleichzeitig die Arbeitsproduktivität im Osten etwas stärker als im Westen gestiegen ist, sind die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten in den jungen Ländern erstmals überhaupt nicht mehr höher als in den alten. Im Verarbeitenden Gewerbe betragen sie sogar nur 87 Prozent des Westniveaus.

::: Regionale Cluster

Die Industriestandorte konzentrieren sich im Osten Deutschlands ebenso wie im Westen auf bestimmte Regionen. Vor allem Thüringen ist beliebt. Dort beträgt der Anteil der Industrie an der gesamten Wertschöpfung des Landes fast 24 Prozent, was dem westdeutschen Durchschnitt entspricht. Auf Platz zwei folgt Sachsen-Anhalt, das sich mit 21 Prozent inzwischen an Sachsen vorbeigeschoben hat.

Auch als Arbeitgeber hat die thüringische Industrie ein gewisses Gewicht: Sie stellt jeden fünften Arbeitsplatz in diesem Bundesland. In Westdeutschland ist der Anteil nicht höher. Die Bildung von Clustern ist in Ostdeutschland ebenso an der Tagesordnung wie in Westdeutschland. Denn räumlich eng gestaffelte Lieferketten wie etwa im Maschinenbau rund um Stuttgart haben sich als sehr vorteilhaft erwiesen – sie garantieren kurze Kommunikations- und Transportwege sowie den Austausch von Wissen.

Ein traditionelles ostdeutsches Cluster knüpft inzwischen wieder an seine frühere Stärke an: die Chemische Industrie im Süden von Sachsen-Anhalt. In derselben Region entsteht zudem das größte deutsche Cluster der Solarindustrie. Weitere starke Standorte für die Photovoltaikbranche sind die Region Freiberg/Dresden in Sachsen sowie Erfurt und Umgebung in Thüringen. Insgesamt zählte die Solarindustrie in Ostdeutschland 2008 schon 14.000 Beschäftigte – 4.000 mehr als im Jahr zuvor.

Dass sich vor allem junge, wachstumsstarke Branchen gerne in einer bestimmten Region zusammenballen, zeigen auch zwei Cluster der Windenergietechnik in Magdeburg und Rostock. Der Wermutstropfen: Die erneuerbaren Energien sind ohne Subventionen noch nicht wettbewerbsfähig; die Förderkulisse in Deutschland und anderswo entscheidet darüber, wie es hier weitergeht. Ob es weitere 20 Jahre dauert, bis die einstmals versprochenen blühenden Landschaften im ganzen Osten Wirklichkeit werden, hängt von zwei Faktoren ab:

1. Standortbedingungen

Als Investitionsstandort für deutsche wie ausländische Unternehmen ist die zentral in der Mitte Europas gelegene Wirtschaftsregion mit ihrer nagelneuen Infrastruktur und ihren vergleichsweise niedrigen Arbeitskosten eigentlich ideal. Die Landesregierungen und die Kommunen könnten jedoch noch stärker Bürokratie abbauen – und damit viel für die Wirtschaftsfreundlichkeit der Verwaltungen tun. Hierzu gehören One-Stop-Anlaufstellen, die Investoren betreuen und Genehmigungsverfahren bündeln, sowie eine zügige Bearbeitung – was etwa bei den Solarinvestitionen in Sachsen-Anhalt hervorragend gelungen ist.

Außerdem lässt sich bereits ein anderer Trend absehen: Trotz der hohen Arbeitslosigkeit wird der Fachkräftemangel angesichts der demografischen Entwicklung in wenigen Jahren zum großen Thema im Osten. Auch auf diesem Gebiet sind die Landtage gefordert – sie müssen mehr für die Ausbildung tun. Trotz aktuell noch gutem Betreuungsverhältnis müssen junge Lehrer eingestellt werden, um eine Überalterung der Lehrerkollegien zu verhindern. Die technischen Unis und Hochschulen sollten im In- und Ausland um Studenten werben.

2. Unternehmensnahe Dienstleistungen

Dazu gehören Finanzdienstleistungen, Vermietung und Verpachtung, EDV, Forschung und Entwicklung, Kanzleien etc. In diesem Bereich stockt der Aufbau Ost seit Mitte der neunziger Jahre. Gemessen an der gesamten Wertschöpfung beträgt der Anteil der unternehmensnahen Dienste im Osten 25 Prozent, im Westen aber 30 Prozent.

Die Gründe für den Rückstand liegen auf der Hand: Viele Unternehmenszentralen, Finanzinstitute und Versicherungen konzentrieren sich in westdeutschen Ballungszentren. Sie werden kaum umziehen. In der aktuellen Krise könnte sich die geringe Dichte der Bankenzentralen allerdings geradezu als Glücksfall für den Osten erweisen.

*) Vgl. Klaus-Heiner Röhl: Strukturelle Konvergenz der ostdeutschen Wirtschaft, in: IW-Trends 1/2009

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