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Fachartikel, 03.05.2006
Emotionen beeinflussen
Was Manager von Leistungssportlern lernen können
In Deutschland gibt es mittlerweile 26 Professoren für Sportpsychologie. Am aktuellen Beispiel des frisch gebackenen Siebenkampf-Weltmeisters André Niklaus zeigen wir, wie sich die Erfolge des Mentaltrainings von Sportlern auch auf Führungskräfte übertragen lassen.
„Ich bin Weltmeister, der beste der Welt“, jubelte André Niklaus. „Das war ein berauschender Tag heute.“ Die Sensation von Moskau war perfekt. Dem sympathischen Berliner Mehrkämpfer gelang etwas, womit weder er, noch der Deutsche Leichtathletik Verband ernsthaft rechneten. Niklaus gewann am 12. März die Hallen-Weltmeisterschaften im Siebenkampf in Moskau. Es ist das erste deutsche Mehrkampf-Gold seit 1988. „Wir hatten alles auf die Olympischen Spiele 2008 in Peking ausgerichtet“, erklärte der 24-Jährige, der sich in Moskau eigentlich nur „die Zwiebeltürmchen ankucken“ wollte.

Was Niklaus zum Hoffnungsträger für die angeschlagene deutsche Leichtathletik macht: Er wirkt nicht nur gelassen, sondern ist es in Stresssituationen auch tatsächlich. Er ließ sich nicht aus dem Konzept bringen, als ihm die Kampfrichter beim Hochsprung aus Versehen die Kegel in den Weg stellten. Er verfügt über eine schnelle Auffassungsgabe. Als der Zehnkampf-Weltmeister Bryan Clay (USA) Schwäche beim Stabhochsprung zeigte (4,60 Meter gegenüber 5,30 von Niklaus), setzte der Berliner alles daran diese Chance beim Schopf zu packen. Und Niklaus ist ein „Wettkampftyp“, der sich unter Stress an seine eigenen Leistungsgrenze heranbewegt. In Moskau stellte er vier persönliche Bestleistungen auf. Niklaus lernte vor vier Jahren den Diplom-Psychologen Walter Wölfle aus Ottobeuren kennen, als dieser für das Zehnkampf-Juniorteam der Leichtathleten ein Seminar über mentales Training abhielt. Seit damals ist Wölfle der sportpsychologische Coach von Niklaus. Für „wirtschaft +weiterbildung“ hat Wölfle, der seit 1991 auch im Business als Persönlichkeitstrainer und Coach aktiv ist, fünf zentrale Punkte zusammengefasst, die beschreiben, was sich Führungskräfte von erfolgreichen Leistungssportlern abschauen können:

1. Lernen, den eigenen Körper wahrzunehmen

Bei professionellen Sportlern ist die Wahrnehmung der Prozesse, die im eigenen Körper ablaufen, sehr gut ausgeprägt. Der Körper ist ein wichtiges Mittel, um auf höchstem Niveau erfolgreich zu sein. Das gilt auch für Manager. Aber sie achten zu wenig darauf, was ihr Körper ihnen zu sagen hat. Eine schnelle und differenzierte Körperwahrnehmung ist eine wichtige Voraussetzung dafür, das eigene Befinden in den Griff zu kriegen und insbesondere seine Emotionen zu steuern.

Wenn ich über eine gute Körperwahrnehmung verfüge, bekomme ich früh mit, wenn sich Spannungszustände verändern und Gefühle wie zum Beispiel Angst oder Ärger entwickeln, was mir die Möglichkeit gibt, diese Gefühle noch rechtzeitig zu lenken, bevor sie übermächtig geworden sind. Körpersignale sind ein wesentliches Frühwarnsystem. Überhaupt keine Gefühle zuzulassen, ist nicht die Lösung, da man Gefühle braucht, um zu Höchstleistungen zu kommen. Die neueren Erkenntnisse der Gehirnforschung belegen den Einfluss biochemischer Prozesse im Gehirn auf die eigene Stimmung und umgekehrt. Komplexe körperliche Veränderungen sind unmittelbar daran gekoppelt.

Durch ein kontinuierliches Training von innerer Achtsamkeit (als Basis für alle weiteren Lernschritte hin zu einer guten Selbstführung) schaffe ich es, früh Körpersignale mitzubekommen. Gerade wenn Manager in ihrem Alltag zu fast 90 Prozent in ihrer Außenwelt gefordert sind, benötigen sie den Zugang zur Innenwelt, als eine vertiefte Selbstbeobachtung. Die jeweilige Aufmerksamkeit wird ausgerichtet auf den Atem und die Wahrnehmung des Körpers, auf gegenwärtige Gedanken und Bilder inklusive der Selbstgespräche) und auf den wahrnehmbaren Gefühlszustand. Diese Form der Körperwahrnehmung und der Beobachtung innerer Prozesse ist unter Anleitung leicht erlernbar. Innere Achtsamkeit als tägliches 10-Minuten-Training führt nach wenigen Wochen zu Erfolgen.

2. Lernen, sich anstrebenswerte Ziele zu vergegenwärtigen

Eine gesunde Zielorientierung erkennt man daran, dass sich jemand immer wieder selbst motivieren kann, weil er an sein Ziel mit einer inneren Überzeugung glaubt. Im Spitzensport ist es selbstverständlich, dass jemand sehr zielorientiert ist und eine körperliche Vorstellung von seinem Zielzustand abrufen kann. Im Businessbereich erleben wir in Zeiten des Shareholder Value eine Überfrachtung mit fremdbestimmten Zielvorgaben. Für motivierende Ziele gilt:

::: Die Betroffenen visualisieren ihre Ziele und halten sie für erstrebenswert

::: Sie nehmen selbst Einfluss auf die Zielformulierung

::: Sie gestalten die Art und Weise mit, wie die Ziele erreicht werden.

Sowohl im Sport als auch im Business sollten Nachwuchskräfte mittel und langfristig aufgebaut und an Höchstleistung herangeführt werden. Vor diesem Hintergrund ist es fragwürdig, diese Hoffnungsträger über Quartalsziele motivieren und steuern zu wollen. Oft sind Quartalszahlen, die sich aus dem Shareholder-Value-Ansatz ableiten, nur eine Weitergabe des Drucks der Aktienmärkte an die Angestellten. Das hat mit einer langfristigen Ausrichtung und Leistungsentwicklung nichts zu tun. Im Sport gilt: Man braucht Jahre, um echte Spitzenleistungen zu zeigen und zu bestätigen. Das kann man gerade im Zehnkampf sehr gut ablesen, wo die Höchstleistungen erst jenseits der 25 Jahre erreicht werden. Überzogene Ziele sorgen eher für eine Verkrampfung und verhindern eine gesunde Entwicklung der Leistungsfähigkeit.

Die Frage bei der Zielvereinbarung sollte immer sein, was ist ein realistisches und vor allem überprüfbares Ziel, das auch tatsächlich mit Anstrengung erreicht werden kann. Der Ansatz, ich muss jemanden mit überhöhten Zielen aus der Reserve locken, hat sich im Leistungssport als falsch erwiesen. Das kann höchstens nur eine konfrontative Strategie sein, wenn man jemanden „aufwecken“ will. Leider ist es auch im Leistungssport so, dass viele Athleten früh verheizt werden und das sie zu früh Belastungen trainieren, die man erst in einem ausgereiften Zustand trainieren sollte. Gerade im Fußball kann man feststellen, dass seit ein paar Jahren zunehmend junge Spieler sehr schwere Verletzungen haben. Führungskräfte könnten sich zum Thema „Zielorientierung“ fragen wie – unabhängig von den Vorgaben anderer – ihre eigenen Ziele aussähen.

3. Lernen, Selbstgespräche konstruktiv zu führen

Das was jemand denkt, hat unmittelbaren Einfluss auf sein emotionales Gleichgewicht und auf seinen Körperzustand. Wenn Stress entsteht und Situationen heikel werden, kippt oft das Selbstgespräch eines Menschen ins Negative. Er ist verzweifelt, er glaubt nicht mehr, dass er es schafft und beschäftigt sich mit dem drohenden Versagen. Er redet sich selbst klein und schlecht. Und das hat Auswirkungen auf den körperlichen Zustand. Sportler wissen: Wie ich Stress bewältige, hängt sehr davon ab, wie ich selber mit mir rede. Eine gute Selbstansprache auch unter Windstärke fünf bringt den Sportler raus aus dem Stress und hinein in eine leistungsförderliche Anspannung.

Solche Selbstgespräche laufen oft sehr individuell ab. Gemeinsam ist ihnen, dass sie unter Frust irgendwann „kippen“. Eine konstruktive Selbstansprache basiert auf positiven Erfahrungen, die man gemacht hat, auf realistischen, motivierenden Erwartungen, die man an sich richtet, und auf einer Bewertung des eigenen Handelns, das frei von Selbstherabsetzungen ist.

Wichtig ist, folgende Abgrenzung zum Positiven Denken zu beachten: Positives Denken in Form von Autosuggestionen ist wirkungslos, wenn es nicht durch eine innere Überzeugung gespeist ist. Optimistisches Denken allein kann nicht mangelndes Wissen und mangelnde Erfahrung bei einer Tätigkeit ausgleichen.

4. Lernen, sich angemessen selbst zu regulieren

Erfolgreiche Wettkämpfer haben es alle schon erlebt: Es ist möglich und manchmal nötig, unmittelbar Einfluss zu nehmen auf seinen mentalen und körperlichen Zustand. Die Fähigkeit, sich angemessen zu regulieren, sorgt dafür, dass man handlungsfähig bleibt – auch wenn es schwierig wird. Auch Manager sind gefordert, sich mental zu regulieren. Das ist eine Fähigkeit, die man systematisch trainieren kann: „Ich weiß, was ich tun will und rücke das in den Vordergrund meines Denkens und verweise hinderliche Gedanken in den Hintergrund.“

Was macht ein Hochspringer der Weltklasse, der in einem wichtigen Wettkampf bei einer Anfangshöhe von 2.14 Meter zweimal die Latte gerissen hat – obwohl er gewohnt ist, Höhen jenseits der 2.24 Meter zu überspringen ? Er ist verzweifelt, ärgerlich und frustriert und fühlt sich „total neben sich“! Er hat nur wenige Minuten Zeit für seinen dritten und letzten Versuch. Wir wissen, dass Verzweiflung im Kopf beginnt. Daher haben sich verschiedene Schritte bewährt, um den körperlichen und den emotionalen Zustand zu regulieren:


::: Eine kurze, körperliche Entladung kann gut tun (zum Beispiel aufstampfen oder kurz schreien).

::: Es gilt anschließend, den sich verselbstständigenden, negativen Gedanken ein Stoppsignal entgegen zu setzen: „Jetzt kann ich mich darum nicht kümmern!“.

::: Der Athlet prüft kurz: Was brauche ich jetzt, um erfolgreich zu sein?

::: Er beginnt, sein Selbstgespräch zu steuern und ihm eine aufmunternde Form zu geben. „Ich bin in der Lage, jetzt alles richtig zu machen“. „Ich bleibe im Wettkampf, das wäre doch gelacht!“

::: Der Athlet ruft eine positive Erinnerung an ein erfolgreiches Handeln in einer ähnlichen Engpasssituation hervor. Er erlebt den gesamten Ablauf seiner nächsten Handlung (des nächsten Sprungs) aus der körperlichen Perspektive, in der er mitkriegt, wie sich alles anfühlt.

5. Lernen, sich zu entspannen

Längerfristig leistungsstark zu sein, bedeutet, dass man Phasen der Anspannung mit Phasen der Entspannung abwechseln lässt. Permanente Anspannung führt zu Verkrampfungen. Spitzensportler können sich sehr gut entspannen und das in sehr kurzer Zeit. Atemtechniken und progressive Muskelentspannung sind sehr gute Methoden, um Entspannung zu lernen. Darüber hinaus kommt es aber auf einen sehr individuellen Zugang zu dem an, was man „Muße“ nennt.

Selbstgespräch ist erlernbar

Gefragt, ob sie regelmäßig mit sich selbst reden, würden Führungskräfte wohl eher „nein“ antworten – zu groß ist immer noch die Angst, als sonderbar zu gelten. Solange im Business alles in seinen gewohnten Bahnen verläuft, sind innere Dialoge auch nicht die Regel. Selbstgespräche treten aber mit Sicherheit immer dann auf, wenn es stressig wird. Sie gehen mit Bewertungen („Bedrohung oder Herausforderung?“) und letztlich mit einer (sehr oft ins Negative) veränderten Gefühlslage einher. Der Segler Hannes Lindemann berichtete, zuerst „kippe“ das Selbstgespräch („Jetzt schaffe ich es nicht mehr“), dann gebe man auf.

„Bewerten ist hilfreich, aber nicht immer“, kommentiert Deutschlands berühmtester Mentaltrainer, Professor Dr. Hans Eberspächer von der Universität Heidelberg, solche Berichte. „Vor und nach einer Aktion sind Bewertungen unabdingbar, während der Ausführung dagegen sind sie kontraproduktiv.“ Der Grund: Einschätzungen von der eigenen Unzulänglichkeit geraten schnell zur mentalen Zwangsjacke. Diese lasse die normalen Fähigkeiten saft- und kraftlos werden. „Wer Erfolg haben will, darf seine Gedanken nicht auf die Hindernisse richten, sondern auf die Schritte, diese zu überwinden“, so Eberspächer. „Karate bedeutet die Kunst der leeren Hand. Das heißt aber nicht leer von Waffen, sondern frei von störenden Gedanken.“

Für Eberspächer gibt es folgende positive Formen von Selbstgesprächen:

1. Selbstmotivierung. Mittels Selbstinstruktionen („Raff dich auf“ oder „Ich bin besser vorbereitet als der Gegner“) appellieren Sportler an ihren Siegeswillen und an ihre eigene Stärke.

2. Rationalisierung. Hier wird Druck abgebaut. Die Bedeutsamkeit eines Ereignisses wird verringert („Wenn ich diesen einen Wettkampf verliere, ist das nicht so schlimm. Nächste Woche ist schon der nächste.“).

3. Aufmerksamkeit. Der Sportler lenkt seine Aufmerksamkeit beispielsweise weg von der eigenen Müdigkeit hin zum Gegner oder einfach „nur“ auf die eigene Atmung.

4. Problemlösung. In Gedanken werden mehrere Lösungswege durchgespielt und deren Folgen durchdacht.

Positive Selbstgespräche zu führen, muss systematisch trainiert werden. Dabei geht es nicht darum, unrealistische Ziele per Autosuggestion herbeizuzaubern, sondern die eigenen realistischen Leistungsmöglichkeiten auszuspielen. Eberspächer empfiehlt eine schriftliche Analyse der eigenen Selbstgespräche vor, während und nach leichten, schwierigen sowie aussichtslosen Stresssituationen. Manager könnten sich zum Beispiel fragen: „Was habe ich vor Beginn, während und nach einer erfolgreichen beziehungsweise misslungenen Präsentation zu mir gesagt?“ Daraus gilt es jene Sätze herauszufiltern, die (in „Ich-Form“) am besten geeignet waren, sich erfolgreich zu beruhigen beziehungsweise zu aktivieren. Zum Schluss sollte eine individuelle, positive Formel übrig bleiben, die man vor, während und nach jeder Herausforderung zu sich selbst sagt. Eberspächer: „Der Kampf um den Sieg wird per Selbstgespräch geführt.“

*Quelle dieses Beitrages
Haufe-Akademie.de
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