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Fachartikel, 13.04.2010
Lohnpolitik
Mehr Arbeitsplätze beflügeln Kaufkraft
In den vergangenen zehn Jahren haben die Tarifpartner mit einer gemäßigten Lohnpolitik dazu beigetragen, die Beschäftigung in Deutschland deutlich zu erhöhen. So stiegen die Arbeitskosten je Stunde im Zeitraum 2000 bis 2008 fast im Gleichschritt mit der Produktivität. Die Folge: Die Lohnstückkosten blieben nahezu stabil.*)

Nix bliev, wie et wor! Unter dieses kölsche Motto könnte man auch die tarifpolitischen Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre einreihen:

Bündnis für Arbeit


Im Januar 2000 einigten sich Gewerkschaften und Arbeitgeber im Rahmen des von Bundeskanzler Gerhard Schröder moderierten Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit darauf, „den sich amProduktivitätszuwachs orientierenden, zur Verfügung stehenden Verteilungsspielraum für beschäftigungswirksame Vereinbarungen zu nutzen und notwendige branchenbezogene Differenzierungen vorzunehmen“.

Weil die Bündnisgespräche jedoch ohne konkrete Folgen blieben, drohte Schröder in seiner im März 2003 abgegebenen Regierungserklärung zur Agenda 2010: Der Gesetzgeber werde handeln, wenn sich die Tarifpartner nicht endlich in weit größerem Umfang als bisher auf betriebliche Bündnisse einigten.

Die Androhung gesetzlicher Öffnungsklauseln zeigte dann Wirkung. In einigen wichtigen Branchen wie im Bankensektor oder in der Metall- und Elektro-Industrie einigten sich die Tarifparteien darauf, dass Firmen und Betriebsräte vom Flächentarif abweichende Lohnvereinbarungen treffen können. Am weitesten ging die M+E-Industrie. Dort stimmte die IG Metall im Februar 2004 sogar einer Präventivklausel zu:

Per Ergänzungstarifvertrag sind in der M+E-Industrie Abweichungen vom Flächentarifvertrag auch dann möglich, wenn dadurch die Wettbewerbsfähigkeit, die Innovationsfähigkeit und die Investitionsbedingungen verbessert werden.

In anderen Wirtschaftszweigen dagegen sind die neu beschlossenen Öffnungsklauseln häufig nur für wirtschaftliche Notsituationen vorgesehen.

Arbeitgeberforderungen


Die Unternehmensverbände beschränken sich neuerdings immer weniger darauf, tarifpolitische Ansprüche der Gewerkschaften einfach nur abzuwehren. Zunehmend stellen sie eigene Forderungen – in denen sie z.B. auf längere Wochenarbeitszeiten (Baugewerbe, Öffentlicher Dienst) drängen oder – wie im Einzelhandel – reduzierte Zuschläge für Samstagsarbeit durchsetzen wollen.

Konkurrenz im Tarifsystem

Zwei Trends kennzeichnen die Veränderungen im deutschen Tarifgefüge: Zum einen konkurrieren christliche Gewerkschaften zunehmend mit den DGB-Gewerkschaften – etwa im Bankgewerbe, in der Zeitarbeit oder im Kfz-Handwerk. Weil die christlichen Vereinigungen konzessionsbereiter sind als die DGB-Branchengewerkschaften, müssen auch IG Metall, ver.di und Co. in Tarifverhandlungen mehr Kompromisse eingehen.

Zum anderen haben sich im Verkehrs- und Gesundheitssektor Spartengewerkschaften gebildet – wie die Pilotenvereinigung Cockpit oder die Lokführergewerkschaft GDL. Diese berufsgruppenbezogenen Organisationen sind sehr schlagkräftig und heizen den Wettbewerb um die besten Arbeitsbedingungen an.

Unterm Strich haben die strukturellen Veränderungen jedoch eher dafür gesorgt, dass die Lohnpolitik der vergangenen zehn Jahre das Prädikat „moderat“ verdient. Dies zeigt die Entwicklung wichtiger Lohnindikatoren:

1. Gesamtwirtschaftliche Lohnstückkosten


Die Arbeitskosten je Produktionseinheit sind zwischen 2000 und 2008 kaum gestiegen. Denn Arbeitskosten und Produktivität (das Verhältnis von Output und Arbeitseinsatz) legten fast im Gleichschritt zu. Deshalb verteuerte der Faktor Arbeit Güter und Dienstleistungen nicht.

Im Jahr 2009 stoppte dieser Trend wegen des massiven Einsatzes von Kurzarbeit. Es wurde weniger produziert,während die Beschäftigung aber weitgehend stabil blieb – als Folge stiegen die Lohnstückkosten 2009 um 5,6 Prozent.

Auf den Zeitraum 2000 bis 2009 bezogen ergibt sich daher ein nominaler Lohnstückkostenanstieg von 7,0 Prozent.

Wenn sich die Kapazitätsauslastung im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs wieder verbessert und die Löhne weiter nur moderat steigen, dürfte sich diese Entwicklung umkehren – dann sinken die Lohnstückkosten und die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe verbessert sich.

2. Lohndrift

Der Begriff steht für die unterschiedliche Entwicklung von Tariflöhnen und Effektivlöhnen. Letztere sind die von den Unternehmen tatsächlich gezahlten Bruttoentgelte – einschließlich übertariflicher Zulagen. Ist die Lohndrift stark negativ, sind die tariflichen Lohnerhöhungen für die Unternehmen nur schwer verkraftbar – freiwillige Lohnkomponenten werden dann auf das tarifliche Plus angerechnet.

Seit 2000 stiegen die Tariflöhne im Durchschnitt aller Branchen je Stunde um 17 Prozent, die Effektivverdienste um 16,6 Prozent. Daraus ergibt sich eine leicht negative Lohndrift von minus 0,4 Prozent, was zeigt, dass die Betriebe mit den Tariflohnerhöhungen in diesem Jahrzehnt im Großen und Ganzen leben konnten. Hinzu kommt:

  • Zuletzt sind kaum noch Firmen aus den (insbesondere westdeutschen) Arbeitgeberverbänden ausgetreten. Die Zahl der Unternehmen, die einer Tarifbindung unterliegen, blieb damit weitgehend konstant.
  • Die Firmen nutzten die Öffnungsklauseln in den Boomjahren 2006 bis 2008 seltener und bezahlten in der Regel nach Tarif und nicht darunter.
Als Kehrseite moderater Lohnzuwächse wird immer wieder beklagt, dass die verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer wenig wachsen, was wiederum als Ursache für die schwache Entwicklung des privaten Konsums – und damit der Binnennachfrage – gesehen wird.

Wer so argumentiert, verkennt jedoch, dass die Beschäftigungsentwicklung den Konsum stärker beeinflusst als die Reallohnentwicklung:

Pro Prozentpunkt Reallohnanstieg wuchs der private Verbrauch in Deutschland im Zeitraum 1992 bis 2006 um 0,3 Prozent. Stieg die Beschäftigung um 1 Prozent, nahm der Konsum dagegen um 0,8 Prozent zu.

Außerdem schlagen sich Lohnerhöhungen zwar in höheren Arbeitskosten nieder, aber nicht unbedingt in einer entsprechenden Kaufkraft. Vor allem steigende Energiekosten und sinkende Arbeitszeiten haben zuletzt einen Keil zwischen Produzenten- und Konsumentenlohn getrieben.

*) Vgl. Hagen Lesch: Lohnpolitik 2000 bis 2009 – Ein informelles Bündnis für Arbeit
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