VOLLTEXTSUCHE
Fachartikel, 07.09.2012
Eurokrise
Wenn die Politik versagt
Die Regierungen in Griechenland, Spanien und Italien müssen umfangreiche Reformen umsetzen, um das Vertrauen der Finanzmärkte wiederzugewinnen und um an neue Kredite zu kommen – allen Protesten der eigenen Bevölkerung zum Trotz.

Die Krise fordert in den betroffenen Euroländern Opfer – zum Beispiel in Form niedrigerer Gehälter für  Staatsbedienstete,  geringerer Sozialleistungen und höherer Steuern. Das ruft Kritiker auf den Plan. Die Politik müsse sich durchsetzen und sich gegen die unbändigen Finanzmärkte wehren, schließlich hätten sie die Krise eingebrockt.

Doch so einfach ist die Situation nicht.  Wer  das  Primat  der  Politik einfordert, darf nicht vergessen, dass nicht nur der Markt versagen kann, sondern auch der Staat und somit die  Politik.  Denn  in  parlamentarischen Demokratien ist es keineswegs sichergestellt, dass die staatliche  Wirtschaftspolitik  garantiert gesamtgesellschaftlich sinnvolle Entscheidungen trifft.

Einerseits gibt es gut verdrahtete Lobbygruppen, die versuchen, ihre Interessen durchzusetzen, und Wähler, die oft nur an ihr kurzfristiges Wohl denken. Andererseits sind da Politiker,  die  gern  wiedergewählt werden wollen und dafür so manch langfristig problematische Entscheidung vertagen und die Lasten in die Zukunft verschieben. Genau das ist nämlich vor der Eurokrise passiert, schon  lange  bevor  Griechenland oder Spanien öffentlich in die Bredouille kamen:

Staatsverschuldung


Politiker sind besonders  dann  populär,  wenn  sie Steuern senken und Sozialleistungen schaffen bzw. erhöhen – schließlich sorgt  das  für  mehr  Geld  bei  den Wählern. Doch diese verkennen dabei  –  bewusst  oder  unbewusst  – eines: Kurzfristige Steuersenkungen und höhere Staatsausgaben bedeuten meist höhere Schulden. Solche Wahlgeschenke fallen den Beschenkten also irgendwann auf die Füße, wenn auch oft erst den Kindern in der nächsten Generation. Doch die Wähler von morgen haben noch kein Mitspracherecht. Wie verbreitet dieser kurzsichtige Handel  ist,  zeigt  ein  Blick  in  die Vergangenheit:

Lag die öffentliche Schuldenquote Anfang der 1970er Jahre in den meisten  europäischen  Staaten  noch  bei unter 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, ist sie seitdem fast überall sehr deutlich angestiegen, beim Spitzenreiter  Griechenland  hat  sie  sich sogar verachtfacht.

Wie sich bestimmte Gruppen auf Kosten  der  Allgemeinheit  bereichern, kann man am Beispiel Griechenland  ablesen.  Dort  wurden  in der Vergangenheit Staatsposten als Wahlgeschenke verteilt; und Beamte verdienten in Hellas sehr viel mehr als  Beschäftigte  in  der  Privatwirtschaft.  Dass  sich  nun  Widerstand gegen den Abbau solch lieb gewonnener Besitzstände regt, ist zwar aus Sicht  der  Betroffenen  verständlich – der Allgemeinheit zuliebe muss die Zahl der staatlichen Jobs trotzdem auf ein  vernünftiges  Maß  gekappt werden.

Marktabschottung und Arbeitslosigkeit

Ein typisches Versagen der Politik besteht darin,  das  Richtige zu wollen – aber das Falsche dafür zu  tun.  Manche Regulierungen schützen zwar die Arbeitsplatzbesitzer (die sogenannten Insider), schaden aber den Arbeitslosen (den sogenannten Outsidern). Zwar sind die Outsider  eigentlich  schutzbedürftiger  als  die  Insider,  doch  weil  die Arbeitslosen in der Minderheit sind, spielen ihre Interessen im politischen Prozess nur eine untergeordnete Rolle. Die Insider dagegen sind in der Mehrheit, sei es im Staat oder auch in den Gewerkschaften, die für ihre Mitglieder die Löhne verhandeln.

Höhere Löhne kommen zwar den Arbeitnehmern  zugute.  Doch  zu hohe  (Mindest­)Löhne  sind  auch eine  Barriere  für  Outsider,  die  zurück in den Job wollen – denn hohe Löhne schützen die Insider vor unerwünschter Konkurrenz. Auch ein zu  rigider  Kündigungsschutz  und restriktive  Zugangsbestimmungen für bestimmte Berufsgruppen, etwa für viele freie Berufe und Handwerker, haben eine solche abschottende Wirkung.

Ein Blick auf den Regulierungsindex  der  OECD  zeigt,  dass  sich  in  Südeuropa  bestimmte  Interessengruppen  in  der Politik  offenbar  besonders  gut durchgesetzt haben:

In  Spanien,  Portugal  und  Griechenland sind die Arbeitsmärkte stärker reguliert als im Durchschnitt der Industriestaaten.


Dabei hat jedes Land seine eigenen Schwächen. In Portugal etwa ist es besonders schwierig, unbefristete Arbeitsverträge  abzuschließen.  In Italien  dagegen  war  die  Arbeitsmarktregulierung vor der Schuldenkrise insgesamt sogar etwas weniger strikt als in Deutschland. Doch sind die Regeln für die gleichzeitige Entlassung von mehreren Personen hier wie dort besonders unflexibel.

Auch Jugendliche, die ihre erste Stelle  suchen,  haben  es  in  einem stark regulierten Markt schwer, Fuß zu fassen. Die Jugendarbeitslosigkeit lag  beispielsweise  in  Griechenland und Spanien selbst in guten Jahren von 2000 bis 2007 im Durchschnitt bei jeweils rund 9,5 Prozent. Gleichzeitig  schnitten  beide  Länder  im OECD­Arbeitsmarktregulierungsindex besonders schlecht ab.

Inzwischen ist der Druck auf Südeuropa  hoch,  sowohl  Reformen  in ihren Haushalten als auch auf dem Arbeitsmarkt anzugehen. Diese Reformen  werden  den  Arbeitslosen, den Jugendlichen und den künftigen Generationen helfen. Die Politik allein hat bisher zu wenig bewirkt – deshalb  ist  der  disziplinierende Druck des Finanzmarkts in Grenzen durchaus heilsam.

ZUM AUTOR
Über Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln e.V.
Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) ist das führende private Wirtschaftsforschungsinstitut in Deutschland. Das Institut vertritt eine klare marktwirtschaftliche Position und will das Verständnis wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse in Politik und Öffentlichkeit festigen und verbessern. Dazu analysiert das ...
Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln e.V.
Postfach 101942
50459 Köln

+49-221-49810
WEITERE ARTIKEL DIESES AUTORS
Studie zur gesellschaftlichen Mitte
Vom Facharbeiter bis zum Gymnasiallehrer – die Mittelschicht in Deutschland ist bunter und ... mehr

ANDERE ARTIKEL AUS DIESEM RESSORT
SUCHE
Volltextsuche





Profisuche
Anzeige
PRESSEFORUM MITTELSTAND
Pressedienst
LETZTE UNTERNEHMENSMELDUNGEN
Anzeige
BRANCHENVERZEICHNIS
Branchenverzeichnis
Kostenlose Corporate Showrooms inklusive Pressefach
Kostenloser Online-Dienst mit hochwertigen Corporate Showrooms (Microsites) - jetzt recherchieren und eintragen! Weitere Infos/kostenlos eintragen
EINTRÄGE
PR-DIENSTLEISTERVERZEICHNIS
PR-Dienstleisterverzeichnis
Kostenlos als PR-Agentur/-Dienstleister eintragen
Kostenfreies Verzeichnis für PR-Agenturen und sonstige PR-Dienstleister mit umfangreichen Microsites (inkl. Kunden-Pressefächern). zum PR-Dienstleisterverzeichnis
BUSINESS-SERVICES
© novo per motio KG