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Fachartikel, 18.06.2009
Einkommensmobilität
Ohne Arbeit wenig Chancen
Wer in Deutschland ein geringes Einkommen bezieht, hat es einigermaßen schwer, seine wirtschaftliche Lage zu verbessern. Das zeigt eine Auswertung der Einkommensmobilität in Deutschland. Danach sah es nur für ein Drittel der Menschen, die im Jahr 2003 zur untersten Einkommensschicht gehörten, 2007 besser aus. Meistens hatten diese einen Job gefunden. Von jenen, die keiner Arbeit hatten, schaffte dagegen nur eine Minderheit den Aufstieg.*)
Die Frage, ob es in Deutschland in wirtschaftlicher Hinsicht gerecht zugeht, wird meist anhand der Einkommensverteilung beantwortet. Je größer der Anteil wird, den die Reichen vom gesamten Topf bekommen, und je kleiner der Anteil der Armen, desto lauter ertönt der Ruf nach Umverteilung.

Doch es gibt noch einen zweiten Faktor, der das Gerechtigkeitsgefühl beeinflusst, aber weniger offensichtlich ist: die sogenannte Einkommensmobilität. Denn Menschen nehmen Ungleichheit eher hin, wenn wenigstens theoretisch alle eine Chance haben, selbst reich zu werden, sich also eigenhändig aus ihrer Lage befreien zu können. Wenn dagegen gilt „Einmal arm, immer arm“, steigen der Druck zur Umverteilung und die Unzufriedenheit. Und genau hier hat Deutschland ein Problem:

Rund 63 Prozent der Personen, die im Jahr 2003 zur ersten, also untersten Einkommensschicht zählten, waren auch 2007 noch dort zu finden.

Bedenklich ist vor allem eines: Der Anteil derer, die „unten“ bleiben, wird offenbar größer – von 1999 bis 2003 konnte mit 46 Prozent noch fast die Hälfte der Betroffenen aufsteigen.

Wer es schafft, mehr Einkommen als in der Vergangenheit zu beziehen, macht zudem oft keine Riesensprünge. Die meisten, die sich bis 2007 verbesserten, stiegen in die zweite Schicht auf – Alleinstehende z.B. hatten 2003 in der untersten Schicht maximal 866 Euro monatlich, im Jahr 2007 in der zweiten Schicht aber 894 bis 1.156 Euro pro Monat in der Haushaltskasse. Der Anteil derer, die die höchste Stufe erreichten und damit mehr als 1.895 Euro Einkommen bezogen, war mit 2 Prozent äußerst gering. Besonders chancenlos waren jene, die 2003 keinen Job hatten:

Von den Arbeitslosen schafften nur 28 Prozent den Aufstieg in eine höhere Einkommensschicht, bei den Vollzeiterwerbstätigen waren es 35 Prozent.

Unter Berücksichtigung aller Einflussfaktoren sind die Aufstiegschancen für Menschen ohne Job nur etwa halb so groß wie für Vollzeitbeschäftigte. Der soziale Abstieg ist für Erstere gut 2,5-mal wahrscheinlicher.

Noch schlechter sieht es aus, wenn man nur die Menschen aus der untersten Einkommensschicht betrachtet, die arbeitslos sind – immerhin ein Viertel aller Einkommensschwachen ab 15 Jahren. Vor allem für jene, die ihre Stelle zwischenzeitlich verloren haben, bleibt der „Boden klebrig“ – gut 80 Prozent verharrten in der untersten Einkommensschicht.

Hoffnung macht allerdings, dass fast die Hälfte derer, die im Jahr 2003 arbeitslos oder nicht erwerbstätig waren, aber bis 2007 einen Job fanden, eine oder mehrere Schichten vorankamen. Welcher Art die gefundene Stelle ist, spielt offenbar keine große Rolle: Geringverdiener stiegen genauso häufig auf wie Arbeitnehmer mit höheren Stundenlöhnen.

Vor allem Personen aus der untersten Einkommensschicht können sich durch einen Job sprichwörtlich hocharbeiten. Wer zuvor nicht erwerbstätig war oder arbeitslos und dann in einen Beruf wechselte, konnte auf der Einkommensleiter recht behände nach oben klettern:

Ergatterte ein Arbeitsloser der untersten Einkommensschicht eine Vollzeitstelle, hatte er fast immer einen Grund zum Jubeln: Seine Aufstiegschance stieg um etwa das Elffache im Vergleich zu Personen, deren Erwerbsstatus sich nicht geändert hatte.

Meist ist es also eine Arbeit, die das Weiterkommen in der Einkommenshierarchie ebnet. Für die Politik sollte dies ein deutliches Signal sein, Hindernisse beiseite zu räumen, um so viele Menschen wie möglich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Insbesondere muss die Politik bessere Anreize schaffen, die den Arbeitslosen eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit schmackhaft machen – und zwar möglichst in Vollzeit. So sollte beispielsweise die Anrechnung von Erwerbseinkommen auf den Arbeitslosengeld-II-Anspruch geändert werden. Bisher wird hier eine Teilzeitstelle besser behandelt als eine Vollzeitstelle.

Zweitrangig ist hingegen, welche Qualität die Beschäftigung hat. Es ist zuerst einmal wichtig für einen Arbeitslosen, einen Job beispielsweise an einer Supermarktkasse zu haben – denn sitzt er da, hat er letztendlich über Weiterbildungen eine größere Chance, zum Filialleiter aufzusteigen, als wenn er arbeitslos geblieben wäre.

Noch bessere Karten hat, wer einen hohen Bildungsabschluss vorweist. Fachhochschul- und Universitätsabgänger erklimmen viel häufiger die oberen Einkommensstufen und laufen zudem nur wenig Gefahr, abzusteigen, wenn sie zu den mittleren Einkommensklassen gehören:

Akademiker haben deutlich bessere Aufstiegschancen als Geringqualifizierte und nur ein halb so hohes Risiko, auf der Einkommensleiter abzusteigen.

So fielen bis 2007 lediglich 18 Prozent der Hochqualifizierten in eine niedrigere Einkommensschicht zurück, demgegenüber aber 37 Prozent der Menschen ohne Berufsausbildung.

Erhebliche Unterschiede in der Einkommensmobilität ergeben sich zudem im Hinblick auf den Haushaltstyp, in dem die betreffende Person lebt. So mussten im Jahr 2007 rund 71 Prozent der Alleinerziehenden, die 2003 noch in Paarhaushalten lebten, nach der Trennung große Einkommenseinbußen hinnehmen. Denn leben zwei unter einem Dach, können sie viele teure Konsumgüter wie z.B. die Waschmaschine gemeinsam nutzen, die sie sonst allein zahlen müssen.

Doch die günstigere gemeinsame Haushaltsführung allein ist noch keine ausreichende Begründung dafür, dass Personen in Paarhaushalten öfter den sozialen Aufstieg schaffen als Alleinerziehende. Deren beschwerlicherer Weg nach oben hängt zum Beispiel auch damit zusammen, dass sie aufgrund der Kinder weniger häufig erwerbstätig sind:

Wer nach einer Trennung allein lebt und ein Kind betreut, hat im Vergleich zu Paaren ein knapp achteinhalbmal so großes Risiko, in eine tiefere Einkommensschicht zu rutschen.

Umgekehrt ist Ähnliches zu beobachten: Fast die Hälfte der Alleinerziehenden konnte ihre Position auf der Einkommensleiter verbessern, nachdem sie mit ihrem Partner zusammengezogen war.

Unterm Strich haben Alleinerziehende also gute Aussichten, sobald sie sich zu einem Paarhaushalt zusammenschließen – selbst dann noch, wenn berücksichtigt wird, dass sie seltener einem Job nachgehen. Ihr Aufstieg wird knapp fünfmal wahrscheinlicher als vorher; das Abstiegsrisiko hingegen beträgt nur noch etwa ein Fünftel im Vergleich zu früher.

*) Vgl. Holger Schäfer, Jörg Schmidt: Einkommensmobilität in Deutschland – Entwicklung, Strukturen und Determinanten, in: IW-Trends 2/2009


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Zur Berechnung der Einkommensmobilität

Die Einkommensmobilität misst den Anteil der Personen, die in der Einkommenshierarchie auf- oder absteigen. Dazu werden in einem ersten Schritt die Haushaltsnettoeinkommen mit dem Bedarf der unterschiedlichen Haushalte gewichtet – vom Single- bis zum vielköpfigen Familienhaushalt. Dann wird das gesamte Haushaltseinkommen durch den jeweiligen Bedarfsfaktor des Haushaltes geteilt. Daraus resultiert ein gewichtetes Pro-Kopf-Einkommen, sodass man jeder Person eines Haushalts – also auch Kindern, die über kein eigenes Geld verfügen – ein Nettoeinkommen zuordnen kann. Diese sogenannten Nettoäquivalenzeinkommen werden dann der Größe nach geordnet und in fünf gleich große Teile geteilt. Jedes Fünftel steht für eine Einkommensschicht, und jede Person ist einer dieser Schichten zugeordnet. Betrachtet man nun diese Person über einen bestimmten Zeitraum hinweg, erhält man eine Auskunft darüber, ob sie in ihrer ursprünglichen Einkommensschicht verblieben, aufgestiegen oder abgestiegen ist. Von besonderem Interesse ist dabei die Mobilität aus der untersten Einkommensschicht heraus, weil dies ein Maß dafür ist, inwieweit Armen der soziale Aufstieg gelingt.

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