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Fachartikel, 25.08.2009
Arbeitskosten
Deutschland bleibt ein teurer Standort
Zwar hat sich die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie Dank des nur moderaten Anstiegs der Arbeitkosten in den vergangenen Jahren verbessert. Verglichen mit der internationalen Konkurrenz hat das Verarbeitende Gewerbe hierzulande dennoch weiterhin mit einem großen Handicap zu kämpfen: Mit Arbeitskosten von 35,22 Euro pro Arbeitsstunde hatte Westdeutschland 2008 die dritthöchste Belastung aller Industrienationen.*)

Auch wenn erste Meldungen ein Ende der Talfahrt in Aussicht stellen, macht die weltweite Krise der deutschen Wirtschaft immer noch schwer zu schaffen. Vielen Prognosen zufolge steht dem Arbeitsmarkt der eigentliche Abschwung sogar erst bevor.

Umso bemerkenswerter ist, dass viele Unternehmen versuchen, ihre Belegschaften trotz unausgelasteter Kapazitäten zu halten. So haben die Betriebe unter anderem die Kurzarbeit kräftig ausgeweitet. Auch deshalb ist die Zahl der Erwerbstätigen im Juni 2009 gegenüber dem Vorjahresmonat lediglich um 3 Prozent gesunken – verglichen mit dem durchschnittlichen Umsatzeinbruch von mehr als einem Fünftel haben die Firmen damit bislang nur recht wenige Stellen abgebaut.

Diese Strategie können die Betriebe aber nur so lange fahren, wie sie noch Gewinne erwirtschaften. Daher verwundert der immer wieder zu hörende Vorschlag, die Löhne gerade jetzt kräftig anzuheben und so dem Konsum mehr Schwung zu verleihen. Tatsächlich wäre jede übermäßige Steigerung der Arbeitskosten Gift für die Beschäftigungsentwicklung und damit letztlich auch für die Konjunktur. Zudem würden die deutschen Unternehmen durch üppige Lohnzuwächse einen Teil jener Wettbewerbsstärke verspielen, den sie in der Zeit seit der Jahrtausendwende durch eine hohe Kostendisziplin wiedererlangt hatten:

Die industriellen Arbeitskosten je Stunde stiegen in Westdeutschland von 2000 bis 2008 im Jahresschnitt lediglich um 2,3 Prozent, im Osten um 2,4 Prozent. International war der Zuwachs nur in Japan und der Schweiz geringer.

In Frankreich z.B. mussten die Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes in den vergangenen acht Jahren ein jährliches Kostenplus von 3,4 Prozent verkraften. In den USA belief sich der Anstieg auf 3,7 Prozent und in Großbritannien sogar auf 4,4 Prozent.

Allerdings hat Deutschland mit seinem Tritt auf die Kostenbremse bestenfalls die Sünden der Vergangenheit wettgemacht. Denn in der ersten Hälfte der 1990er Jahre waren die Arbeitskosten hierzulande noch um jährlich 6 Prozent in die Höhe geklettert – und das nicht nur aufgrund der schnellen Lohnanpassung in den damals neuen Bundesländern. Auch in Westdeutschland stiegen die Arbeitskosten zwischen 1991 und 1995 pro Jahr um fast 5 Prozent. Die Folgen lassen sich gleichermaßen an der Entwicklung des deutschen Kostenhandicaps ablesen:

Im Jahr 1991 lagen die deutschen Arbeitskosten im westdeutschen Verarbeitenden Gewerbe um 23 Prozent über dem durchschnittlichen Niveau der Industrieländer – im Jahr 2008 betrug der Kostennachteil sogar 31 Prozent.


Dass die moderate Arbeitskostenentwicklung seit dem Jahr 2000 die Differenz nicht verringern konnte, lag zuletzt am erstarkten Euro. Dies wird deutlich, wenn die deutsche Kostenposition mit der der übrigen EU- 15-Staaten verglichen wird, die zum großen Teil den Euro eingeführt haben. Gegenüber dieser Ländergruppe schrumpfte der Kostennachteil seit dem Jahr 2000 durchaus beträchtlich – von 27 auf knapp 19 Prozent.

Allerdings hatte sich der Abstand zwischen 1991 und 1995 mehr als verdoppelt, sodass die westdeutsche Industrie heute verglichen mit der Zeit nach der Wiedervereinigung immer noch nicht viel besser dasteht. Dies zeigt auch das Ranking der Arbeitskostenniveaus:

Das deutsche Verarbeitende Gewerbe schultert im internationalen Vergleich mit 33,58 Euro die sechshöchsten Arbeitskosten je Stunde – nur in Norwegen, Belgien, der Schweiz, Schweden und Dänemark ist die Industrie stärker mit Lohn- und Lohnzusatzkosten belastet.

Westdeutschland belegt mit 35,22 Euro je industrielle Arbeitnehmerstunde sogar einen unrühmlichen Treppchenplatz, während eine solche Arbeitsstunde in Ostdeutschland nur mit 20,75 Euro zu Buche schlägt – für die Betriebe zwischen Rostock und Riesa ein unverändert wichtiger Standortvorteil.

Die Bundesrepublik insgesamt kann in Sachen Arbeitskosten hingegen mit vielen anderen großen Industrieländern kaum konkurrieren. Frankreich spielt in etwa derselben Kostenliga, während die italienischen und britischen Industriefirmen um rund ein Viertel günstiger produzieren als ihre hiesigen Konkurrenten. Die USA haben gegenüber Deutschland einen Vorteil von gut 35 Prozent, Japan kommt sogar auf mehr als 40 Prozent.

Noch deutlich niedriger ist das Kostenniveau in den neuen EU-Mitgliedsländern des früheren Ostblocks. Selbst Tschechien als teuerstes Land dieser Gruppe produziert nicht einmal halb so teuer wie die Industrie in Ostdeutschland. In Bulgarien, das am Ende der Rangliste steht, schlägt eine Arbeitnehmerstunde sogar nur mit 2,18 Euro zu Buche – gerade einmal ein Zehntel des ostdeutschen Betrags.

Zwar sind die Arbeitskosten längst nicht der einzige Maßstab für die Wettbewerbsfähigkeit. Doch das Argument, Löhne, Sozialabgaben etc. würden keine Rolle spielen, wenn nur die Produktivität mithalten könnte, überzeugt nicht ganz. Gerade wenn es darum geht, in welchem Land ein Konzern eine neue Niederlassung baut, ist die Höhe der Arbeitskosten oft ausschlaggebend. Denn große Unternehmen bringen ihr Know-how sowie ihre Fertigungstechnik meist an den neuen Standort mit. Sie können so mögliche dortige Produktivitätsnachteile ausgleichen und von einem niedrigen Kostenlevel nahezu uneingeschränkt profitieren.

Häufig ist ein weiterer Einwand gegen die industrielle Arbeitskosten-„Hitliste“ zu hören: Die Spitzenposition Deutschlands sei gar nicht so tragisch, denn andere Branchen hierzulande würden dafür viel günstiger produzieren als die ausländische Konkurrenz. Diese Behauptung mag teilweise zutreffen, ist aber empirisch kaum relevant. Schließlich steht das Verarbeitende Gewerbe im Mittelpunkt des internationalen Wettbewerbs – im Jahr 2008 entfielen 86 Prozent der deutschen Exporte auf Industriewaren.

Zwar erbringen Dienstleistungsbereiche wie die Logistik, die Unternehmensberatung oder der Handel wichtige Vorleistungen für die Industriefirmen. Dennoch kaufen diese nur ein Fünftel der für die Produktion insgesamt benötigten Arbeitszeit zu.

Daher sind die Arbeitskosten der deutschen Industrie unter Berücksichtigung der günstigen Zulieferer mit 32,44 Euro je Stunde nur um rund 3,4 Prozent niedriger als im eng definierten Verarbeitenden Gewerbe.

Dieser Unterschied ist zu gering, um Deutschland im Arbeitskosten-Ranking auf eine deutlich günstigere Position zu hieven – zumal auch in den anderen eher teuren Ländern die Vorleister etwas günstiger arbeiten als der industrielle Kernbereich. Deshalb kann die Bundesrepublik im „erweiterten“ Kostenvergleich gerade mal Frankreich an sich vorbeiziehen lassen. Insgesamt ist es jedoch nahezu unerheblich, ob man die Industrie mit oder ohne Vorleistungsverbund betrachtet – Deutschland bleibt in jedem Fall in der Gruppe der kostspieligsten Standorte.

*) Vgl. Christoph Schröder: Arbeitskosten im internationalen Vergleich, in: IW-Trends 3/2009

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