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Fachartikel, 02.04.2009
Weltwirtschaft
Wenn jetzt nicht reformieren, wann dann?
Die Finanzkrise hat die Weltwirtschaftsordnung durcheinandergeschüttelt und einige Schwächen im System offenbart. Für eine bessere Kontrolle wäre daher eine globale Finanzinstitution notwendig, die das Fehlverhalten einzelner Staaten auch sanktionieren kann. Doch ob sich die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) während ihres Treffens in London auf eine solche Einrichtung einigen, ist fraglich.*)
Es geht um nichts Geringeres als den Versuch, das internationale Finanzsystem wieder auf stabile Füße zu stellen. Auf dem Weltfinanzgipfel am 2. April bemühen sich die Vertreter der G20, eine neue Balance zwischen freiem Markt und staatlicher Kontrolle zu finden. Die Menschen müssen einerseits weiterhin ihre eigenen Ziele verfolgen können, doch dies darf andererseits nicht zulasten der Gesellschaft gehen. Denn die Finanzkrise hat gezeigt, dass Märkte an ihre Grenzen stoßen und verhängnisvolle Entwicklungen hervorbringen, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen. Die Fehler:

Niedrige Zinsen, faule Kredite

Vorallem die US-Notenbank hielt die Zinsen zu lange niedrig. Geld war billig und die meisten US-Banken interessierten sich – von der Aufsicht weitgehend unbehelligt – kaum für die Bonität ihrer Kunden. So konnte sich die Immobilienblase aufbauen, weil Kredite teilweise sogar an Arbeitslose vergeben wurden. Als die Hausbesitzer ihre Darlehen nicht mehr bedienen konnten, begann das Unheil.

Haftungs- und Regulierungslücken

Egal ob Manager, US-Hypothekenbanken, Rating-Agenturen oder deutsche Landesbanken – alle gingen zu hohe Risiken ein, weil sie wussten, dass sie die daraus möglicherweise resultierenden Verluste weitgehend auf andere – z. B. Kunden oder Steuerzahler – abwälzen konnten. Die Banken schlüpften zudem durch manches Loch in der nur locker geknüpften Finanzmarktregulierung – sie gründeten etwa sogenannte außerbilanzielle Zweckgesellschaften, um über diese gewinnträchtig mit Anleihen auf fragwürdige US-Immobilienhypotheken zu spekulieren.

Das Problem dabei war: Wenn eine Bank eine Lücke in den Vorschriften nutzte und dabei hohe Gewinne machte, mussten die übrigen Finanzinstitute dies auch tun, wenn sie im harten Renditewettbewerb nicht den Kürzeren ziehen wollten. Die jeweilige Landesfinanzaufsicht, die dies hätte erkennen und verhindern müssen, war dazu oft zu schwach besetzt, nicht qualifiziert genug oder hatte nicht die nötige politische Unterstützung.

Mangel an internationaler Koordination

Es gibt längst länderübergreifende Einrichtungen wie den Internationalen Währungsfonds (IWF). Dieser macht gute Analysen und hat auch immer wieder moderate Krisenwarnungen ausgesprochen. Aber seine Kritik an der Wirtschaftspolitik einzelner großer Staaten darf er oft nicht äußern, weil diese ihr Veto einlegen. Das können diese Nationen, denn sie sind die Hauptkapitalgeber des IWF – und das Fondsmanagement ist nicht unabhängig. Viele Reformvorschläge liegen zwar inzwischen auf dem Tisch. Alle Staaten müssen sie allerdings gemeinsam umsetzen. Andernfalls könnte sich ein nicht kooperierendes Land auf Kosten der übrigen als Oase für all jene Geldhäuser profilieren, die sich um Regulierungsvorschriften herumdrücken wollen. Die Finanzinstitute und damit auch Wertschöpfung und Arbeitsplätze würden dorthin abwandern.

Genau das war lange Zeit das Problem. Deutschland etwa hat im Rahmen seiner G8-Präsidentschaft im Jahr 2007 versucht, die Regulierung der internationalen Finanzmärkte zu stärken und vorgeschlagen, Hedgefonds strenger an die Kandare zu nehmen. Doch damit biss die Bundesrepublik bei den USA und Großbritannien auf Granit.

Der G20-Gipfel bietet nun eine große Chance. Zwar ist die Länderzusammensetzung etwas willkürlich gewählt. Die Staaten repräsentieren dennoch das Gros der wichtigen globalen Finanzmarktakteure – und nicht nur die Industrieländer plus Russland wie die G8:

Insgesamt vereinen die Länder der G20 rund zwei Drittel der Weltbevölkerung und knapp neun Zehntel der Weltwirtschaftsleistung auf sich.

Die große Runde scheint offenbar an Bedeutung zu gewinnen. Am 15. November 2008 haben die G20 bereits einmal einen Weltfinanzgipfel abgehalten – dazu erschienen die Regierungschefs höchstpersönlich und nicht „nur“ ihre Finanzminister. Merkel und Co. hatten auch konkrete Pläne in petto: Etwa internationale Kollegien von Finanzaufsehern zu gründen, die global agierende Banken gemeinsam überwachen. Auch die Schaffung eines Registers für große Bankkredite und eines Frühwarnsystems für zukünftige Krisen waren sinnvolle Vorschläge.

Um wirtschaftliche Expertise und Bankennähe im Frühwarnsystem zu verquicken, sollen nach Vorstellung des G20-Gipfels im November der IWF und das sogenannte Financial Stability Forum (FSF) zusammenarbeiten. Das FSF war bislang ein Koordinationsgremium der wichtigsten Industriestaaten (einschließlich Hongkongs und Singapurs), dem internationale Finanzorganisationen wie die EZB angehören. Seit Mitte März sind auch die Schwellenländer der G20 vertreten. Darüber hinaus ist vorgesehen, die globale Finanzmarktregulierung deutlich umfassender als in der Vergangenheit zu gestalten. Sie soll auch auf neue Finanzprodukte, Hedgefonds, Ratingagenturen und Steueroasen ausgedehnt werden.

Doch dürften diese Schritte nicht ausreichen, um in Zukunft einen schädlichen Wettlauf um niedrige Regulierungshürden zu verhindern, weil der Anreiz dazu einfach zu groß ist. Nötig ist vielmehr eine schlagkräftige globale Finanzinstitution. Die wichtigen Finanznationen müssten sich dafür auf einen einheitlichen Verhandlungsrahmen einigen, der zunächst Mindeststandards vorsieht und später ausgebaut werden könnte. Die neue Finanzorganisation würde kontrollieren, ob sich die Staaten an die neuen gemeinsamen Regeln halten. Dazu müsste sie unabhängig sein und gegebenenfalls auch Sanktionen verhängen dürfen.

Ob die G20 dieser Tage in London solch weitreichende Reformen in Gang setzt, ist fraglich. Doch wenn nicht jetzt, wann dann?

*) Vgl. Jürgen Matthes: Die Rolle des Staates in einer neuen Weltwirtschaftsordnung – Eine ordnungspolitische Rückbesinnung, IW-Positionen Nr. 38, Köln 2009, 54 Seiten, 11,80 Euro. Bestellung über Fax: 0221 4981-445 oder unter: www.divkoeln.de


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Hintergrund
Die G20

Die Gruppe der 20 umfasst neben der Europäischen Union 19 Industrie- und Schwellenländer, die als wichtig für das internationale Finanzsystem erachtet werden. Die Staaten werden auf den Gipfeltreffen normalerweise durch ihre Finanzminister und Zentralbankchefs repräsentiert, im vergangenen Jahr auf dem Weltfinanzgipfel erstmals auch durch ihre Regierungschefs. Für die EU sind der jeweilige Ratspräsident und der Präsident der EZB dabei. Auch der Internationale Währungsfonds und die Weltbank sind bei den Sitzungen des Gremiums vertreten. Die G20 wurde nach der Asienkrise im Jahr 1999 gegründet und versteht sich als informelles Forum, das sich hauptsächlich mit der globalen Finanzmarktstabilität beschäftigt.

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