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Fachartikel, 18.06.2008
Kundenservice
Warum so viele Unternehmen beim Beschwerdemanagement versagen
Viele Firmen glauben: Je effizienter das Beschwerdemanagement, umso geringer ist die Anzahl der Beschwerden - und umso geringer die Beschwerdenquote, desto höher ist die Kundenzufriedenheit. Ein folgenschwerer Irrglaube, der sich nicht selten rächt. Lesen Sie nachfolgend über häufige Vorurteile und Fehleinschätzungen im Umgang mit Beschwerden.
Nehmen wir einmal an, Sie sitzen in einem Restaurant und haben gerade gespeist. Der Kellner räumt die leeren Teller ab. Dann fragt er Sie: „Hat es Ihnen geschmeckt?“ Was antworten Sie? Wenn Sie mit dem Essen zufrieden waren, äußern Sie sich vermutlich lobend. Doch wenn Sie unzufrieden sind, weil zum Beispiel die Suppe leicht versalzen war, was sagen Sie dann? Artikulieren Sie dann stets Ihre Kritik?

Vermutlich reagieren Sie wie die meisten Bundesbürger. Selbst wenn sie nicht restlos zufrieden waren, antworten sie in der Regel auf die Frage „Hat es Ihnen geschmeckt?“ entweder mit einem knappen „Ja“ oder der Aussage „Ganz gut“. Meist äußern sie Kritik nur, wenn sie mit dem Essen absolut unzufrieden waren oder Stammgast des Hauses sind. Dann sagen sie zum Beispiel „Na ja, heute war's nicht ganz so gut“.

Dass viele Personen in Restaurants ihre Kritik selten äußern, hat zahlreiche Gründe. Häufig wollen sie sich zum Beispiel nicht mit dem Kellner auseinandersetzen. Oder sie denken: „Was soll ich hier 'rummäkeln; in dieses Restaurant gehe ich ohnehin nicht mehr.“

Die Frage „Waren Sie zufrieden?“ - oft nur eine Floskel

Ein Grund, warum Gäste häufig ihre Kritik nicht äußern, ist, dass sie die Nachfrage des Kellners „Hat es Ihnen geschmeckt?“ als Floskel empfinden. Denn zu dem Zeitpunkt, da der Kellner ihnen diese Frage stellt, haben sie ihr Essen meist schon verspeist. Welchen Nutzen hat dann für sie noch seine Nachfrage? Keinen! Selbst wenn der Kellner ihnen ein anderes Gericht anbieten würde, könnte sie dieses nicht mehr verzehren, da ihre Mägen mittlerweile voll gefüllt sind. Was nützte es also, den Kellner auf die Mängel hinzuweisen? Nichts!

Anders wäre dies, wenn der Kellner die Frage „Schmeckt es Ihnen?“ stellen würde, wenn der Gast erst zwei, drei Happen verzehrt hat. Dann könnte er bei Bedarf noch intervenieren. Fragt der Kellner aber erst kurz vor dem Bezahlen, dann muss der Gast das Gefühl haben: Eigentlich interessiert es den Kellner und das Restaurant nicht, ob ich zufrieden bin.

Derselbe Eindruck drängt sich Kunden auch bei vielen Befragungen zum Ermitteln der Kundenzufriedenheit auf. Bei ihnen stellen die Befragten oft fest:

  • Der Interviewer kennt das Unternehmen, über dessen Leistungen er sie befragt, gar nicht. Warum? Der Auftrag, die Zufriedenheit der Kunden zu erheben, wurde an ein externes Marktforschungsinstitut vergeben, und dieses beauftragte wiederum irgendwelche Studenten die Interviews durchzuführen.
  • Der Interviewer ist an der Meinung des Interviewten gar nicht interessiert. Berichtet der Kunde wirklich von seinen Erfahrungen, gerät er ins Schwitzen. Denn der Interviewer weiß nicht, wo er im vorgegebenen Ja/Nein-Schema oder in der ihm vorliegenden 4er- oder 5er-Skala die Antwort notieren soll. Deshalb stört jede (Detail-)Info, die vom vorgegebenen Schwarz-Weiß-Schema abweicht.

So kann es denn auch kaum verwundern, dass viele Kunden, die schon mehrfach solche Erfahrungen gesammelt haben, auf die Frage „Sind Sie zufrieden?“ entweder nicht mehr oder nur noch mit einem kurzen „Ja“ antworten – und (mögliche) Kritik hinunterschlucken. Wenn Kunden jedoch schon auf direkte Nachfrage ihre Unzufriedenheit nur selten äußern, wie häufig äußern sie dann wohl ungefragt ihre Unzufriedenheit? Zumeist wechseln sie schlicht den Anbieter, ohne je ein Wort der Kritik zu äußern. Und ihr bisheriger Dienstleister oder Lieferant? Er wiegt sich in der falschen Illusion: Wir haben keine (oder kaum) Beschwerden; also sind unsere Kunden zufrieden.

Eine Ursache, warum Kunden sich oft scheuen, ihren Unmut zu äußern, ist, dass in vielen Unternehmen zahlreiche negative Vorurteile gegenüber „Beschwerdeführern“ existieren. Entsprechend reagieren sie und ihre Mitarbeiter auf Kunden, die Beschwerden artikulieren.

1. Vorurteil: Kunden, die sich beschweren, sind unsere Gegner.

Diese Vorstellung ist falsch, denn Kunden, die sich beschweren, geben dem Unternehmen das positive Signal. „Ich bin mit Eurer Leistung zwar jetzt nicht zufrieden. Ich traue Euch aber zu, dass Ihr bei mir Zufriedenheit erzeugen könnt. Deshalb räume ich Euch die Chance zum Nachbessern ein.“

Insofern ist eine Beschwerde auch ein Vertrauensbeweis. Deshalb besteht für Unternehmen und deren Mitarbeiter kein Anlass, gegenüber Beschwerdeführern eine Verteidigungs- oder Abwehrhaltung einzunehmen – insbesondere weil der Kunde dem Unternehmen mit seiner Beschwerde signalisiert: Ich bin an einer weiteren Zusammenarbeit interessiert.

2. Vorurteil: Kunden, die sich beschweren, sind Querulanten.

Auch dies ist falsch. Zwar gibt es auch unter den Kunden „Stinkstiefel“ – ebenso wie unter den Mitarbeitern eines Unternehmens. Das Querulantenproblem wird aber meist überschätzt. Hat ein Unternehmen überdurchschnittlich viele „Querulanten“ als Kunden, die aus Sicht der Mitarbeiter

  • „unberechtigte“ Beschwerden äußern und
  • ein unverschämtes Verhalten zeigen,

dann ist dies ein Indiz dafür, dass das Unternehmen bei seinen Kunden (unbewusst) Erwartungen weckt, die es nicht erfüllen kann.

Hat ein Unternehmen überdurchschnittlich viele wütende, aggressive oder pampige Beschwerdeführer, dann kann dies mehrere Ursachen haben:

  • Die Kunden haben schon mehrfach mit dem Unternehmen die Erfahrung gesammelt, dass dieses die Leistung, die es ihnen verspricht, nicht erbringt.
  • Die Kunden haben beim Vortragen oder Bearbeiten ihrer Beschwerden das Gefühl, sie werden nicht ernst genommen.
  • Die Beschwerde bezieht sich auf ein Problem, das einen für den Kunden sehr sensiblen Bereich tangiert. Dann erfüllt das Produkt oder die Leistung die Grundanforderungen des Kunden nicht.
  • Der Kunde hat das Gefühl, dass der Grund seiner Beschwerde zwar beseitigt wird, er aber unangemessen behandelt wird. Dies ist zum Beispiel oft der Fall, wenn Kunden (un-)bewusst das Gefühl vermittelt wird, sie seien Nörgler und das Unternehmen erweise ihnen eine Gunst, indem es ihre Beschwerde bearbeite. Dann liegt etwas mit dem Beschwerdemanagementsystem im Argen.

3. Vorurteil: Beschwerden verursachen nur Kosten.

Auch das ist falsch! Zwar entstehen beim Bearbeiten von Beschwerden ebenso Kosten wie beim Erfüllen der Forderungen, die Kunden in den Beschwerden erheben. Doch diese Kosten sind in Relation zu den erzielbaren Nutzeneffekten zu setzen. Die in Beschwerden enthaltenen kritischen Informationen geben dem Unternehmen die Chance, Fehler zu identifizieren und auszuräumen – also sich ständig zu verbessern und so Kosten zu sparen. Kunden, die sich beschweren, leisten also auch einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Unternehmens – und zwar zu einem äußerst günstigen Tarif.

Zu diesen Vorurteilen kommt noch hinzu, dass viele Unternehmen nicht erkennen: Wenige Beschwerden sind ein Alarmsignal – unter anderem, weil außer ihren Mitarbeitern, oft auch ihre Manager oben genannte Vorurteile haben. Deshalb gelangen sie zuweilen zu folgenden Fehleinschätzungen.

1. Fehleinschätzung: Wir haben kaum Beschwerden, also sind unsere Kunden zufrieden.

Diese (Fehl-)Einschätzung kann fatale Konsequenzen haben. Denn nur circa fünf Prozent aller unzufriedenen Kunden äußern ihre Unzufriedenheit in Form einer Beschwerde. Der Rest wandert ab und/oder schadet dem Unternehmen durch negative Mund-zu-Mund-Propaganda. Das belegen zahlreiche Studien. Oft beschweren sich Kunden zum Beispiel nicht, weil

  • der potentielle Nutzen in keiner Relation zur investierten Zeit, zum investierten Geld oder zur investierten Energie steht. So fragt sich mancher Kunde, der einen Kleinartikel gekauft hat und zu Hause Mängel feststellt, ob es sich lohnt, nochmals extra zum betreffenden Geschäft zu fahren, um den Artikel umzutauschen.
  • ein Unternehmen so hohe „Kommunikationshürden“ aufgebaut hat, dass es den Kunden schwer fällt, sich zu beschweren. So haben sich zum Beispiel schon viele Kunden von Telekommunikationsanbietern schwarz darüber geärgert, dass deren Servicenummern oft tagelang besetzt sind und sie dort nur vertröstet werden. Also verzichteten sie irgendwann resigniert auf weitere Beschwerden.
  • sie zur Überzeugung gelangt sind: Das Unternehmen ist entweder nicht bereit oder nicht fähig, meine Erwartungen noch zu erfüllen. Ein Beispiel: Gelingt es einem Unternehmen trotz mehrfacher Versuche nicht, die Erwartungen eines Kunden zu erfüllen, dann sagt dieser irgendwann „Lasst es mal gut sein“. Denn er zweifelt grundsätzlich an der Kompetenz des Unternehmens.

Eine niedrige Zahl von Beschwerden kann somit ein Indiz dafür sein, dass ein Unternehmen die Kommunikation mit seinen Kunden nicht angemessen gestaltet oder Kompetenzdefizite hat. Deshalb ist eine niedrige Beschwerdezahl oft ein Alarmsignal. Häufig lohnt es sich dann zu analysieren,

  • wie viele Kunden das Unternehmen in der zurückliegenden Zeit verloren hat und
  • warum diese die Geschäftsbeziehung abbrachen.

Außerdem ist es dann zuweilen sinnvoll, bei Kunden von Mitbewerbern nachzufragen, warum diese nicht beim eigenen Unternehmen kaufen.

2. Fehleinschätzung: Nur schriftlich und eindeutig formulierte Unmutsbekundungen sind Beschwerden.

Ein weiterer Punkt führt dazu, dass manche Unternehmen scheinbar hochzufriedene Kunden haben. Sie erfassen nur schriftliche Beschwerden. Unberücksichtigt bleiben die Beschwerden, die Kunden im Gespräch mit den Mitarbeitern äußern. Diese Unternehmen wissen nicht, wie zufrieden ihre Kunden sind. Deshalb sollte ein Beschwerdemanagementsystem neben den schriftlichen auch die im persönlichen und im telefonischen Kontakt geäußerten Beschwerden erfassen.

Hinzu kommt: Viele Kunden kennzeichnen ihre Kritik nicht ausdrücklich als Beschwerde. Oft sagen sie „Ich würde mich freuen, wenn ...“ oder „Ich hätte erwartet, dass ...“. Auch wenn Kunden ihre Unzufriedenheit so äußern, verbirgt sich dahinter der Wunsch, dass sich ein bestimmtes Ereignis nicht wiederholt.

3. Fehleinschätzung: Wir müssen die Anzahl der Beschwerden reduzieren.

Weil viele Unternehmen Beschwerden nicht als Chance, zum Verbessern ihrer Leistung und somit Wettbewerbsfähigkeit begreifen, gelangen sie oft zum Schluss: Wir müssen die Zahl der Beschwerden senken. Auch das ist falsch! Denn hier werden Ursache und Wirkung miteinander verwechselt.

Jedes Unternehmen kann sehr einfach die Zahl der Beschwerden reduzieren. Es muss nur alle Kontakte zu seiner Außenwelt kappen. Ist es telefonisch nicht mehr erreichbar, werden Briefe nicht geöffnet und weigern sich seine Mitarbeiter, sich mit den Kunden zu treffen, hat das Unternehmen „Null Beschwerden“. Das zeigt: Ziel eines Unternehmens darf es nicht sein, die Zahl der Beschwerden zu minimieren. Es muss vielmehr die Unzufriedenheit seiner Kunden minimieren.

Daraus folgt: Ein effektives Beschwerdemanagementsystem zeichnet sich gerade nicht dadurch aus, dass es die Zahl der Beschwerden soweit wie möglich reduziert. Im Gegenteil: Indem es den Kunden möglichst einfach macht, ihren Unzufriedenheit zu artikulieren, erhöht es (zumindest vorübergehend) die Zahl der Beschwerden. Zugleich eröffnet es dem Unternehmen aber die Chance, seine Leistung kontinuierlich zu verbessern und so seine Marktposition auszubauen. Warum? Weil es den Kunden die Möglichkeit bietet, wie externe Marktforscher ihre Anregungen für Verbesserungen in die Organisation einzubringen.

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Diplom-Kaufmann Christian Herlan ist seit 2002 als Management Coach, Berater und Trainer sowie als Geschäftsführer bei Dr. Kraus & Partner tätig. Er war seit 1991 in verschieden Verkaufsfunktionen tätig, bevor er 6 Jahre lang ...
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