Rund 22 Prozent der Beschäftigten arbeiteten 2010 für weniger als 9 Euro
brutto die Stunde – diese Niedriglohnschwelle entspricht zwei Dritteln
des mittleren Lohns in Deutschland. Auf den größten Anteil an
Niedriglöhnern kommen das Gastgewerbe sowie die Land- und
Forstwirtschaft, wo 60 beziehungsweise 37 Prozent der Beschäftigten
wenig verdienen. Die meisten – nahezu die Hälfte der
Niedriglohnbeschäftigten – arbeiten zudem in kleinen Betrieben mit
weniger als 20 Mitarbeitern.
Zwar ist der Anteil der Niedriglöhner an allen Arbeitnehmern seit dem
Jahr 2007 leicht rückläufig. Doch in den zehn Jahren davor haben die
Jobs mit der kleinen Bezahlung einen Höhenflug hingelegt: 1997
arbeiteten erst 17 Prozent der Beschäftigten zu Niedriglöhnen.
Aus der Zunahme der geringentlohnten Tätigkeiten schließen viele, dass
gleichzeitig auch die sozialen Probleme der Arbeitnehmer gewachsen seien
– und begründen damit die Forderung nach einem gesetzlichen
Mindestlohn. Dabei war und ist ein Niedriglohnjob für viele Menschen die
einzige Chance, überhaupt wieder eine Arbeit zu finden.
In den Boom-Zeiten des Niedriglohnsektors, also zwischen 1997 und
2007, ging der Anteil der inaktiven oder arbeitslosen Bevölkerung im
Erwerbsalter mindestens in dem Maße zurück, wie die Zahl der
Geringverdiener stieg.
Der Niedriglohnsektor ist daher nicht auf Kosten normal bezahlter
Arbeitsplätze gewachsen – der Anteil der Beschäftigten mit höheren
Löhnen blieb konstant. Auch die Behauptung, ein wachsender
Niedriglohnsektor sei ein Indiz für zunehmende soziale Probleme der
Beschäftigten, stimmt nicht. Denn nicht alle, die für ihre Arbeit nur
ein kleines Salär beziehen, müssen damit auch auskommen. Oft fließt noch
aus anderen Quellen Geld in die Haushaltskasse, meist handelt es sich
dabei um das Einkommen des Partners. Wenn es gar nicht anders geht,
hieven auch ergänzende Transferleistungen wie Hartz IV oder Wohngeld das
Haushaltseinkommen über die Armutsgrenze.
Oft reicht bereits ein kleiner Nebenverdienst, um die Armutsschwelle zu
überwinden. So erhält ein Alleinstehender je nach Wohnkosten rund 740
Euro Arbeitslosengeld II. Da seine Armutsgrenze bei rund 880 Euro liegt,
würde ihm schon ein Minijob genügen, um sie zu überschreiten – selbst
bei einem Stundenlohn von nur 7 Euro ist dieses Ziel schon nach zehn
Stunden Arbeit in der Woche erreicht. Unterm Strich sind die wenigsten
Geringverdiener arm – nur rund jeder Sechste ist von Armut bedroht:
Das größte Armutsrisiko tragen Arbeitslose: Rund 56 Prozent laufen Gefahr, in Armut zu leben.
Auch Schüler und Studenten sowie Nichterwerbstätige zählen
überdurchschnittlich häufig zu den armutsgefährdeten Personen. Dass
Arbeitnehmer, die eine Beschäftigung im Niedriglohnsektor beginnen, sich
sozial eher verbessern als verschlechtern, zeigt ein
Vorher-Nachher-Vergleich:
Knapp 59 Prozent der ehemals armutsgefährdeten Personen schaffen es durch einen Niedriglohnjob, aus ihrer Lage herauszukommen.
Und auch andersherum gilt: Die meisten Menschen, die vor ihrem Eintritt
in den Niedriglohnsektor nicht arm waren, werden das auch später mit dem
Job nicht. Über den gesamten Zeitraum von 1994 bis 2010 hinweg
gerechnet hatten lediglich gut 6 Prozent der zuvor nicht armen Personen
nach ihrer Arbeitsaufnahme mit Armutsproblemen zu kämpfen. In absoluten
Zahlen ausgedrückt heißt das:
Von 1994 bis 2010 wurden in gut 2,1 Millionen Fällen zuvor nicht
arme Arbeitnehmer mit der Aufnahme einer Niedriglohnbeschäftigung arm,
aber umgekehrt konnten in rund 4,2 Millionen Fällen Arme den Sprung über
die Armutsschwelle schaffen.
Allerdings steht und fällt das Armutsrisiko nicht nur mit einem Job,
sondern auch mit der privaten Situation. So kann es steigen, wenn
Familienzuwachs ansteht oder der Partner wegen einer Trennung auszieht.
Nichtsdestotrotz gilt: Ob man im Anschluss an einen Niedriglohnjob immer
noch armutsgefährdet ist, hängt stark vom weiteren beruflichen Weg ab:
Von 1994 bis 2010 gelang es rund 1 Million Menschen, mit einem Wechsel
in eine normal entlohnte Beschäftigung über die Armutsschwelle zu
springen. Umgekehrt gab es nur knapp halb so viele Beschäftigte, die
trotz eines Normalverdiener-Jobs plötzlich mit einem Armutsrisiko
konfrontiert waren.
Anders sieht es für Niedriglöhner aus, die nach ihrer Tätigkeit
arbeitslos wurden: Zwischen 1994 und 2010 rutschten 1,6 Millionen
Geringverdiener durch den Verlust ihres Jobs in die Armut – während sie
gearbeitet hatten, plagten sie diese Sorgen nicht.
Definition von Armutsgefährdung
Die Begriffe Armut
und Armutsgefährdung werden häufig synonym verwendet. Eine Person gilt
als armutsgefährdet, wenn ihr gewichtetes Haushaltseinkommen unter 60
Prozent des mittleren Einkommens liegt. Dabei wird das gesamte
Nettoeinkommen eines Haushalts mit einem Gewichtungsschema auf die
einzelnen Haushaltsmitglieder umgerechnet. Dieser Armutsbegriff ist
allerdings nur eine Kennzahl, wie das Einkommen verteilt ist – er deutet
nicht zwingend auf eine existenzielle Notlage hin.