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Fachartikel, 08.03.2010
Arbeitsmarkt
Flexible Beschäftigung – Sprungbrett in den Job
Wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt, wurden in den letzten zehn Jahren keineswegs massenhaft Vollzeitstellen in Billigjobs umgewandelt. Vielmehr sind im Aufschwung viele flexible Beschäftigungsverhältnisse entstanden, die unqualifizierte Arbeitslose von der Straße gebracht haben.*)
Wie eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft zeigt, wurden in den letzten zehn Jahren keineswegs massenhaft Vollzeitstellen in Billigjobs umgewandelt. Vielmehr sind im Aufschwung viele flexible Beschäftigungsverhältnisse entstanden, die unqualifizierte Arbeitslose von der Straße gebracht haben.*)

Auch wenn sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt eingetrübt hat – der wirtschaftliche Aufschwung der Jahre 2006 bis 2008 hat einen beispiellosen Beschäftigungsaufbau gebracht, der bis heute zu spüren ist. So entstanden bis 2008 über 1,4 Millionen neue Jobs. Dabei stieg – anders als im New-Economy-Boom von 1998 bis 2000 – die Erwerbstätigkeit nicht mehr überwiegend durch neue Minijobs:

Es gab vielmehr 1,3 Millionen neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Noch im Jahr 2005 war die Zahl der Arbeitslosen in manchen Monaten über die 5-Millionen-Marke geklettert.

Nicht wenige spekulierten seinerzeit darüber, wann die 6-Millionen-Grenze fallen würde. Doch nur drei Jahre mit einem einigermaßen passablen Wirtschaftswachstum reichten aus, um dieses Bild gründlich zu ändern. Im Herbst 2008 fiel die Arbeitslosigkeit erstmals seit 1992 wieder unter die 3-Millionen-Grenze.

Diese Erfolge hatten zwar nicht ausschließlich, aber auch mit den Reformen der Agenda 2010 zu tun. So wurde etwa die Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld I gekürzt. Dadurch stieg der Anreiz, sich schneller eine neue Stelle zu suchen.

Und doch steht das Reformwerk vielerorts in dem Ruf, die Lage auf dem Arbeitsmarkt verschlimmert zu haben. Eine häufig vorgebrachte Kritik lautet: Immer weniger Menschen finden eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle, immer mehr werden in Billigjobs und Armut gedrängt.

Ein Teil dieses offenkundigen Widerspruchs zwischen Wahrnehmung und Realität ist auf ungenaue Begrifflichkeiten zurückzuführen. Üblich ist in der Arbeitsmarktforschung eine Zweiteilung des Arbeitsmarkts in „Normalarbeitsverhältnisse“ und „atypische Beschäftigung“. Das Normalarbeitsverhältnis ist dabei eine abhängige, unbefristete Vollzeitbeschäftigung. Der Rest wird als atypisch klassifiziert.

Doch diese Zweiteilung geht an der Wirklichkeit und am Empfinden der Menschen vorbei. So arbeitet fast die Hälfte der Frauen Teilzeit – zum großen Teil gewollt. Die Vollzeitbeschäftigung ist für diese Gruppe also keineswegs der Normalfall.

Auch Zeitarbeitnehmer werden üblicherweise als atypisch Beschäftigte klassifiziert, obwohl sie in der Regel von ihrem Arbeitgeber einen unbefristeten Vollzeitvertrag erhalten. Außerdem sind sie in allen vier Sozialversicherungszweigen angemeldet – der Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Pflegeversicherung.

Sinnvoller ist es daher, die Erwerbsformen anhand von drei klaren Kriterien abzugrenzen:
  • dem Umfang der Arbeitszeit,
  • der Stellung im Beruf,
  • der Befristung des Arbeitsverhältnisses.
Zwar scheinen die entsprechenden Daten des Sozio-oekonomischen Panels die Vorurteile zunächst zu bestätigen. Denn zuletzt hatten nur noch gut 50 Prozent der abhängig Beschäftigten einen unbefristeten Vollzeitvertrag – 1993 waren es immerhin 60 Prozent. Rund 27 Prozent der Arbeitnehmer waren hingegen unbefristet teilzeitbeschäftigt oder befristet und unbefristet geringfügig beschäftigt – das waren 9 Prozentpunkte mehr als Mitte der 1990er Jahre.

Aus der Verschiebung von Anteilen lässt sich jedoch nicht ableiten, dass flexible Erwerbsformen wie die Teilzeit oder die befristete Beschäftigung auf Kosten der unbefristeten Vollzeitbeschäftigung wachsen. Denn es kann ja sein, dass die Zahl der flexiblen Jobs gestiegen ist – und sich ansonsten nichts getan hat. Das lässt nach Adam Riese den Anteil der Normalarbeitsverhältnisse schrumpfen.

Und genau so war es. Belegen lässt sich dies und anderes ebenfalls mit Daten des Sozio-oekonomischen Panels:

Beschäftigung in Vollzeitarbeit stabil

Wenn man die Arbeitsplätze auf die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter bezieht, nimmt die Bedeutung von Teilzeitarbeit, Minijobs und befristeter Beschäftigung zu. Dieses Wachstum geht jedoch nicht zulasten der unbefristeten Vollzeitbeschäftigung.

Vielmehr ist der Anteil derjenigen gesunken, die – wie etwa Hausfrauen – dem Arbeitsmarkt zuvor gar nicht zur Verfügung standen. Das lässt nur einen Schluss zu: Menschen, die zuvor – aus welchen Gründen auch immer – keinen Job hatten, sind überwiegend auf den flexiblen Stellen untergekommen.

Auch ein weiteres Befragungsergebnis liefert keine Hinweise darauf, dass unbefristete Vollzeitstellen verstärkt in andere Stellen umgewandelt wurden:

Rund 78 Prozent der Personen, die im Jahr 2003 einen unbefristeten Vollzeitjob hatten, waren auch 2008 noch in einem solchen Vertragsverhältnis.

Dieser Anteil der „stabilen“ Beschäftigung hat sich gegenüber den vorangegangenen Fünfjahreszeiträumen sogar vergrößert: Von 1998 bis 2003 waren nur 73 Prozent und von 1993 bis 1998 lediglich 69 Prozent der Beschäftigten fortgesetzt unbefristet und Vollzeit tätig.

Die befristet angestellten Arbeitnehmer mit einem ungekürzten Wochenpensum wechselten hingegen weit häufiger die Erwerbsform. Meist konnten sie sich verbessern, denn jeder Zweite schaffte innerhalb von fünf Jahren den Sprung in eine unbefristete Vollzeitstelle. Auch Teilzeitbeschäftigte ohne Befristung stiegen oft auf einen unbefristeten Vollzeitjob um.

Sprungbrett für Unqualifizierte

Die flexiblen Erwerbsformen sind besser als ihr Ruf: Sie dienen vielfach als Sprungbrett in eine unbefristete Ganztagsstelle. So wechselten zwischen 2003 und 2008 insgesamt rund 1,8 Millionen Erwerbstätige aus einer flexiblen Erwerbsform in eine unbefristete, abhängige oder beamtete Vollzeitbeschäftigung. Den umgekehrten Weg beschritten nur 1,65 Millionen Erwerbstätige.

Ein Sprungbrett sind Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, befristete Beschäftigung und Selbstständigkeit aber auch für Arbeitslose auf dem Weg zurück in den Beruf: Denn 1,1 Millionen Menschen, die im Jahr 2003 keinen Job hatten, waren 2008 solchermaßen beschäftigt. Umgekehrt wurden aber nur 600.000 Erwerbstätige aus flexiblen Erwerbsformen arbeitslos.

Weil besonders viele Arbeitslose über flexible Erwerbsformen in den Arbeitsmarkt zurückgekehrt sind, finden sich in diesem Segment überdurchschnittlich viele Arbeitnehmer mit beruflichen Schwächen. So ist der Anteil der Erwerbstätigen ohne abgeschlossene Berufsausbildung bei den geringfügig Beschäftigten überdurchschnittlich, der Anteil der Akademiker hingegen unterdurchschnittlich.

Lohnhöhe

Unbefristete Vollzeitkräfte, Beamte und Selbstständige erwirtschaften einen höheren Stundenlohn als Befristete, Teilzeitkräfte und geringfügig Beschäftigte. Das ist jedoch nicht nur eine Folge der Qualifikationsdefizite. Hinzu kommt, dass diese Gruppe längst nicht so lange im selben Betrieb tätig ist wie andere Arbeitskräfte. Damit sind tendenziell geringere Löhne und weniger innerbetriebliche Aufstiegschancen verbunden. Teilzeiter arbeiten überdies besonders häufig im Dienstleistungsbereich und in kleineren Betrieben, wo das Lohnniveau niedriger ist als in der Industrie oder großen Unternehmen.

Dementsprechend sind die Beamten die Topverdiener mit einem Stundenlohn von über 17 Euro, gefolgt von Vollzeit-Selbstständigen mit 15 Euro und unbefristet Vollzeitbeschäftigten mit 14 Euro. Befristet Vollzeitbeschäftigte und unbefristet Teilzeitbeschäftigte müssen dagegen Lohnabschläge von 27 bzw. 21 Prozent gegenüber den unbefristeten Vollzeitern hinnehmen.

Minijobber verdienen pro Stunde im Mittel sogar weniger als die Hälfte eines unbefristet Vollzeitbeschäftigten.

Die Lohnabstände wirken sich auch auf die Lebensumstände der Arbeitnehmer aus. So ist jeder vierte geringfügig Beschäftigte armutsgefährdet. Als armutsgefährdet gelten Haushalte, die weniger als 60 Prozent des mittleren Haushaltseinkommens haben. Bei den Arbeitslosen z. B. fallen fast zwei Drittel unter die Armutsgefährdungsgrenze.

Die Vermutung, dass die Hartz-Reformen die Löhne für einfache Jobs unter Druck gesetzt haben, ist zwar nicht zu beweisen – sie liegt aber nahe. Da die Reformen zu mehr Beschäftigung in diesem Bereich geführt haben und dadurch sehr viele unqualifizierte Arbeitslose in den Arbeitsprozess eingegliedert werden konnten, kann sich der zusätzliche Angebotsdruck durchaus auf die Löhne ausgewirkt haben. Doch der Preis ist nicht zu hoch: Die soziale Lage dieser Erwerbstätigen ist durchweg besser als die von Arbeitslosen.

*) Vgl. Holger Schäfer: Sprungbrett oder Sackgasse? – Entwicklung und Strukturen von flexiblen Erwerbsformen in Deutschland, in: IW-Trends 1/2010
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