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Fachartikel, 12.08.2009
Fachkräftemangel
Praktikern MINT-Studiengänge schmackhaft machen
Im Vergleich zu den USA hat Deutschland verhältnismäßig wenig akademisch ausgebildete Arbeitnehmer. Jedoch haben viele Beschäftigte mit ihrer qualifizierten Berufsausbildung und Berufserfahrung hohe fachliche Kompetenzen erworben. Würde man diesen Berufspraktikern den Weg an die Hochschulen ebnen, könnte Deutschland den Mangel an unter anderem MINT-Fachkräften (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) deutlich verringern.*)

Es ist ganz einfach: Ohne Physiker, Mathematiker, Ingenieure sowie Spezialisten, die mit hochwertigsten Werkstoffen und komplizierten Prozessen umzugehen verstehen, bleibt der Fortschritt auf der Strecke. Gut ausgebildete Menschen sind das Herzstück einer Volkswirtschaft, die technologisch und wirtschaftlich weiterkommen will.

In Deutschland haben aber vergleichsweise wenige Bundesbürger einen Hochschulabschluss. Auf den ersten Blick müssten sich die hiesigen Räder demnach eigentlich weitaus langsamer drehen als in den USA:

Nach OECD-Angaben hatten im Jahr 2006 rund 39 Prozent der 25- bis 64-jährigen Amerikaner einen Meister-, Techniker- oder Hochschulabschluss; dieser Anteil war um 15 Prozentpunkte höher als in Deutschland.


Hier verfügte nur jeder vierte dieser Altersgruppe über einen entsprechenden Abschluss. Der Abstand zur Wissens-Weltmacht vergrößert sich sogar auf 20 Prozentpunkte, wenn man nur den Anteil der Personen betrachtet, die einen Hochschulabschluss haben. War im Jahr 2006 nur jeder sechste deutsche Erwerbstätige Akademiker, hatte in den USA mehr als ein Drittel der Beschäftigten eine solche Ausbildung. Das verwundert nicht, denn die deutschen Jugendlichen nehmen weitaus seltener ein Studium auf als die jungen
Amis – die Differenz bei der Studienanfängerquote betrug im Jahr 2006 sage und schreibe 29 Prozentpunkte.

Der geringere Akademikeranteil besagt jedoch nicht, dass Deutschland sich im Wettbewerb der besten Köpfe verstecken muss. Denn nicht allein die formalen Bildungsabschlüsse der Beschäftigten sind für die Wachstumsstärke eines Landes entscheidend, sondern die tatsächlich erworbenen Kompetenzen. Hierbei können es die Deutschen locker mit den Amerikanern aufnehmen – sie schneiden unterm Strich sogar noch besser ab. Drei Beispiele verdeutlichen das:

Kompetenzen der Schüler

Deutsche Schüler sind keineswegs dümmer als ihre Altersgenossen jenseits des Atlantiks, wie ein Blick auf die Ergebnisse des PISATests von 2003 zeigt. Dabei übertrafen 64 Prozent der 15-jährigen US-Schüler den Durchschnittswert von 456 Kompetenzpunkten in Mathematik, Naturwissenschaften und Technikverständnis. Dieser entspricht zugleich den Kenntnissen, die ein Studienanfänger in den USA mindestens haben sollte. In Deutschland schafften sogar 67 Prozent der Schüler diese Hürde.

Insgesamt verfügen in Deutschland 95 Prozent der Gymnasiasten, drei Viertel der Realschüler und ein knappes Drittel der Hauptschüler über mehr Wissen, als ein Studienanfänger in den USA in jedem Fall draufhaben sollte.

Damit sind die deutschen Jugendlichen im Durchschnitt sogar etwas cleverer als die US-Youngster.

Kompetenzen der Erwachsenen

Bei der erwachsenen Bevölkerung zeigt sich ein ähnliches Bild. Im „International Adult Literacy Survey“ (IALS) haben die OECD und Statistics Canada von 1994 bis 1998 untersucht, welche Kompetenzen die erwachsene Bevölkerung in 21 Ländern im Umgang mit Texten und Tabellen hat. Auch laut dieser Studie verfügt von den Teilnehmern aus den USA ein deutlich höherer Anteil über eine formal hohe Qualifikation als von den deutschen. Betrachtet man aber diejenigen Testpersonen, die hinsichtlich ihrer faktischen Kenntnisse mehr bieten, als es ihr formaler Bildungsabschluss nahe legt – die sogenannten Hochkompetenten –, so liegen beide Länder in etwa gleich auf.

Dabei gibt es allerdings Unterschiede zwischen den einzelnen Jahrgängen. In der Altersgruppe der 15- bis 19-Jährigen war der Anteil der hochkompetenten Personen noch fast gleich hoch. Er nahm in Deutschland aber mit der Lebens- und Berufserfahrung bis zum Alter von 34 Jahren stärker zu als in den USA – obwohl weniger Personen eine Hochschule besucht hatten. Unter den 25- bis 34-Jährigen erreichte bei der IALS-Analyse ein gutes Viertel der Deutschen die beiden höchsten Kompetenzstufen; in den USA schaffte dies hingegen nur ein Fünftel der Beschäftigten.

Einkommen

Ein weiteres Indiz dafür, dass die Menschen in Deutschland weitaus besser gebildet sind, als es die formalen Qualifikationen nahelegen, sind die Entgelte der Beschäftigten. Eine Berechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) auf Basis des internationalen Datensatzes Cross-National Equivalent File (CNEF) kommt zu folgendem Ergebnis:

Gut 50 Prozent der Beschäftigten in den USA und Deutschland verdienen mehr als 75 Prozent des mittleren Einkommens eines Akademikers. Von dieser Gruppe hat in Deutschland deutlich mehr als die Hälfte eine abgeschlossene Berufsausbildung als höchsten Bildungsabschluss – in den USA beträgt dieser Anteil gerade mal gut ein Viertel.


Alles in allem müssen sich die Deutschen in puncto Know-how demnach nicht verstecken. Sie könnten aber auch noch zulegen. Denn viele, die eine gute Berufsausbildung absolviert haben, hätten auch das Zeug zu studieren und künftig als Naturwissenschaftler, Ingenieure oder Mathematiker zu arbeiten. Bedarf an diesen Fachleuten gibt es reichlich. Sogar mitten in der aktuellen Wirtschaftskrise wurden allein im Juni 2009 mehr als 61.000 Fachkräfte in den MINT-Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften
und Technik gesucht.

Die Lücke droht sich bis zum Jahr 2020 zu versiebenfachen, sollten nicht deutlich mehr junge Menschen ein MINT-Studium absolvieren. Schließlich werden nicht nur demografisch bedingt zusätzliche Nachwuchsexperten benötigt. Auch die weitere Spezialisierung und Technisierung in der Wirtschaft sorgt in Zukunft für eine höhere Nachfrage nach Ingenieuren und Naturwissenschaftlern.

Es gilt also, denjenigen, die bereits im Beruf sind und dort hervorragende Leistungen erbringen, ein Studium schmackhaft zu machen. Bislang war dies allerdings von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt – teils waren fachbezogene Eignungstests zu absolvieren oder es war ein Probestudium vorgeschrieben. In manchen Ländern mussten die Studierwilligen eine Fortbildung zum Meister, Techniker oder Fachwirt nachweisen.

Auf dem Weg, dies zu verbessern, sind die Hochschulminister der Länder inzwischen einen guten Schritt weitergekommen – sie wollen gemäß Beschluss der Kultusministerkonferenz vom März dieses Jahres die Hochschulen stärker für Erwerbstätige mit mittlerem Schulabschluss und einer abgeschlossenen Berufsausbildung öffnen. Studieren darf demnach, wer eine abgeschlossene Berufsausbildung sowie drei Jahre Berufserfahrung hat und eine Eignungsprüfung besteht. Mehr als jeder fünfte Praktiker hat nach IW-Berechnungen das Zeug dazu.

Künftig können damit mehr Berufspraktiker ein Studium aufnehmen. Bislang hat lediglich weniger als 1 Prozent der Erwerbstätigen mit Berufsabschluss diesen Schritt unternommen. Darüber hinaus sollten die Hochschulen aber auch mehr Angebote für Berufstätige schaffen, die neben dem Job noch einen akademischen Abschluss nachholen wollen.

*) Vgl. Christina Anger, Axel Plünnecke: Signalisiert die Akademikerlücke eine Lücke bei den Hochqualifizierten? – Deutschland und die USA im Vergleich, in: IW-Trends 3/2009

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