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Fachartikel, 28.10.2008
Fachkräftemangel
In Bildung investieren tut Not – und zahlt sich aus
Im Sommer 2008 gab es fast 150.000 offene Stellen mehr als arbeitslos gemeldete Fachkräfte. Die Volkswirtschaft erlitt durch diesen Engpass binnen eines Jahres einen Wertschöpfungsverlust von 28,5 Milliarden Euro. Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel kosten zwar Geld, doch würden sie sich auszahlen...
Ob Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschaftler oder Techniker – an Jobs mangelt es in diesen sogenannten MINT-Berufen nicht, wohl aber an klugen Köpfen, die die offenen Stellen besetzen können. Besonders rar sind Ingenieure sowie Meister und Techniker. Im Juli 2008 fehlten 74.700 beziehungsweise 46.200 dieser Fachkräfte. Bei den Datenverarbeitungsfachleuten blieben mindestens 22.400 Arbeitsplätze verwaist. Weniger Sorgen hatten Unternehmen, die Naturwissenschaftler wie Biologen, Chemiker und Geologen suchten. Unterm Strich addierte sich die MINT-Fachkräftelücke in diesem Sommer auf rund 143.700 Stellen.

Diese Zahlen gehen allerdings von der Annahme aus, dass alle arbeitslosen Experten ihrer Qualifikation entsprechend vermittelt wurden. Doch das ist nicht der Fall, wie Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) belegen. Der tatsächliche Fachkräftemangel ist noch viel größer:

Laut IAB konnten allein im ersten Halbjahr 2007 über 280.000 Stellen für qualifizierte Fachkräfte nicht besetzt werden.

Hintergrund: Nicht immer passen Stellenprofil und Qualifikation der Anwärter zusammen. Zudem ist nicht jeder in der Statistik der Bundesagentur geführte potenzielle Bewerber bereit, einen Job in einer anderen Region anzunehmen.

Bleibt ein Job frei, entgehen den betroffenen Unternehmen unter Umständen Aufträge; Entwicklung und Produktion verzögern sich. Im schlimmsten Fall verlagern Firmen den jeweiligen Bereich in ein anderes Land, das mit genug Fachkräften aufwarten kann. Für die Volkswirtschaft wäre das ein herber Verlust, denn immerhin erwirtschaftete im Jahr 2007 ein Ingenieur hierzulande knapp 102.600 Euro, ein Meister oder Techniker
bis zu 67.225 Euro.

Von Juli 2007 bis Juni 2008 summierten sich die Wertschöpfungsverluste aufgrund nicht besetzbarer oder verspätet besetzter Stellen auf 28,5 Milliarden Euro.

Auch wenn die Konjunktur inzwischen abflaut – ein Ende des Fachkräftemangels ist nicht in Sicht. Dafür sorgt allein der demografische Wandel. Da viele Experten in den Ruhestand gehen und zugleich der Nachwuchs ausbleibt, werden in Deutschland bis zum Jahr 2020 zusätzlich rund 230.000 Mathematiker, Informatiker, Ingenieure, Naturwissenschaftler und Techniker fehlen. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat daher Vorschläge erarbeitet, die ein solches Szenario verhindern können. Im Einzelnen:

Kurzfristige Maßnahmen

Der Weg zum Ingenieur oder Techniker ist steinig. Viele Studenten werfen bereits vor ihrem Abschluss das Handtuch. Deswegen sollte der Staat die Studienbedingungen verbessern, den Hochschulen also mehr finanzielle Anreize geben, Lehre und Forschung auszubauen. Studenten der technisch-naturwissenschaftlichen Fächer könnte mittels zielgerichteter Stipendien und Darlehen stärker als bisher unter die Arme gegriffen werden. Gelingt es dadurch, die Abbrecherquote in den MINT-Fächern von derzeit 26 Prozent in den kommenden Jahren zu halbieren, könnten bis 2020 rund 155.000 zusätzliche Absolventen ihren Abschluss in der Tasche haben.

Da ein Akademiker meist mehr erwirtschaftet als ein Studienabbrecher, vergrößert sich mit der Absolventenzahl auch die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung, und der Staat erzielt höhere Steuereinnahmen und Abgaben durch die gut verdienenden Fachkräfte. Im Jahr 2020 kommen so zusätzliche 2,6 Milliarden Euro in den Staatssäckel.

Mittelfristige Maßnahmen

Bald stehen wegen der kürzeren Gymnasialschulzeit die doppelten Abiturjahrgänge vor den Hochschulen. Diese verfügen aber kaum über entsprechende Kapazitäten, weil es bislang für die verantwortlichen Bundesländer eher wenig attraktiv war, an ihren Unis und FHs Akademiker auszubilden. Das ist nämlich teuer – ob der zukünftige kluge Kopf später dableibt und der Landeskasse Steuern bringt, ist hingegen unsicher.

Das IW plädiert daher in Sachen Hochschulfinanzierung für einen bundesweiten Gutscheinpool, in den die Länder und der Bund einzahlen und aus dem die Hochschulen finanzielle Mittel erhalten – abhängig von ihrer Studentenzahl. Das dürfte Unis und FHs motivieren, mehr Studenten aufzunehmen. Die zusätzlichen Absolventen würden dem Fiskus einige Extraeinnahmen bescheren:

Allein im Jahr 2020 hätte der Staat dank Steuern und Abgaben der Neuakademiker 1,3 Milliarden Euro mehr zur Verfügung.

Weitere 6,1 Milliarden Euro könnten die öffentlichen Kassen 2020 verbuchen, wenn gut qualifizierte Mütter mit kleinen Kindern besser ins Erwerbsleben integriert würden – etwa durch den Ausbau der Betreuung für unter Dreijährige. Denn Krippe, Kita und Co. ermöglichen es den Müttern, früher wieder in ihren Job zurückzukehren.

Langfristige Maßnahmen

Auf lange Sicht muss der Anteil der Hochqualifizierten an der Bevölkerung deutlich steigen. Und hier heißt es: Früh übt sich, wer ein Meister werden will. Kindergärten leisten dafür gute Vorarbeit, die die Schulen fortsetzen – sofern sie die Mittel dazu haben. Die Politik kann die Kitas und Schulen bei ihrer Aufgabe unterstützen, aber auch die Eltern. Konkret sollte der Staat künftig die Elternbeiträge für einen Halbtagskindergartenplatz übernehmen und für eine bessere Qualifikation der staatlich geprüften Erzieher sorgen.

Des Weiteren müssten mehr Ganztagsgrundschulen auf dem Aufgabenzettel der Politik stehen, genauso wie ein ziel- und leistungsorientiertes Vergütungssystem in den Schulen, mehr Entscheidungsspielräume sowie landeseinheitliche Vergleichsarbeiten für Schüler einer Jahrgangsstufe.

Mit den Verbesserungen bei der Bildung der Kleinen wird in der Zukunft Geld gespart, denn umso weniger muss später bei den Größeren für Nachqualifizierungen berappt werden – allein im Jahr 2020 würden sich die Ausgaben dafür um rund 0,7 Milliarden Euro verringern.

Insgesamt beläuft sich die Dividende des Staates aus allen Reformen im Jahr 2020 auf 10,7 Milliarden Euro. Es wird noch mehr, sobald weitere hochqualifizierte Jahrgänge ins Arbeitsleben einsteigen und zur Wertschöpfung beitragen. Den Mehreinnahmen stehen auch zusätzliche Kosten gegenüber:

Bis zum Jahr 2016 übersteigen die Ausgaben für das Maßnahmenpaket die Einnahmen – in den Folgejahren zahlen sich die Anstrengungen für den Staat jedoch stetig aus.

Das meiste Geld muss die Politik für diese Posten einplanen:

  • Kinderbetreuung: Der Ausbau der Betreuung für unter Dreijährige schlägt mit rund 2,3 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche. Auf weitere 1,3 Milliarden Euro jährlich kommen die kostenlosen Halbtagsplätze im Kindergarten – hier sollten vor allem die Länder zur Kasse gebeten werden. Die geplante bessere Qualifikation der Erzieher müsste sich auch in höheren Löhnen widerspiegeln – das macht etwa 1,3 Milliarden Euro pro Jahr. Zu guter Letzt könnten die Kitas noch pauschal jedes Jahr 0,4 Milliarden Euro für besondere Fördermaßnahmen bekommen
  • Schulen: Etwa 2,2 Milliarden Euro muss der Staat im Schnitt jährlich veranschlagen, wenn er mehr Ganztagsgrundschulen anbieten möchte.
  • Hochschulen: Universitäten und Fachhochschulen müssen zusätzliche Studienplätze bereitstellen, wenn sie die anstehenden Doppeljahrgänge der Abiturienten bewältigen wollen. Dafür sind jährlich ungefähr 0,7 Milliarden Euro aufzuwenden.


Da aber die Zahl der Kinder und Jugendlichen demografiebedingt abnimmt, werden finanzielle Mittel frei, etwa weil der Staat Ausgaben für Kindergeld spart. Dieses Geld sollte direkt in das neue Maßnahmenpaket fließen – denn die verbesserte Schulbildung dürfte mehr Abiturienten hervorbringen, die studieren wollen.

Unterm Strich profitiert der Staat im IW-Modell dennoch ab dem Jahr 2017, weil er mehr einnimmt als ausgibt. Für den Zeitraum von heute bis zum Jahr 2030 ergibt sich eine reale Rendite von rund 8 Prozent. Die Reformmaßnahmen sind also für den Staat ein lohnendes Investitionsprogramm.

*Oliver Koppel, Axel Plünnecke: Wachstums- und Fiskaleffekte von Maßnahmen gegen Fachkräftemangel in Deutschland – Bildungsökonomische Analyse und politische Handlungsempfehlungen insbesondere im MINT-Bereich, Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie

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