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Fachartikel, 06.05.2010
EWU-Krise
Europa steht ein steiniger Weg bevor
Die Europäische Union steht vor einer harten Bewährungsprobe: Mit Griechenland liegt schon das erste Mitglied der Europäischen Währungsunion (EWU) auf der Intensivstation. Weitere könnten bald schon folgen. Um die Probleme nachhaltig zu lösen, müssen sich alle EU-Staaten zu einer soliden Finanzpolitik verpflichten. In den Krisenländern ist jetzt eine Wirtschaftspolitik nötig, die vor allem ein Ziel verfolgt: mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Im europäischen Haus knirscht und bröckelt es an allen Ecken und Enden. Vor allem der marode Zustand der griechischen Wohnung treibt die Nachbarn aus den Euro-Etagen zur Verzweiflung. Viele Beobachter sehen gar einen wichtigen Teil des Fundaments – die Bestimmungen des Maastrichter Vertrags – wanken und rufen nach Sanierungsmaßnahmen.

Doch auch an anderen Stellen stehen Renovierungen an. Nach der gescheiterten Lissabon-Strategie will die Europäische Kommission die Gemeinschaft nun mit „Europa 2020“ wettbewerbsfähiger machen. Und im Zuge des Bologna-Prozesses soll ein europaweiter Rahmen zur Anerkennung von Berufsqualifikationen geschaffen werden.

Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat diese Themen näher beleuchtet. Hier die wichtigsten Erkenntnisse:

Maastrichter Vertrag

1. Ein Austritt aus der Europäischen Währungsunion ist nicht realistisch.

Nach dem Maastrichter Vertrag zur Währungsunion und dem später vereinbarten Stabilitäts- und Wachstumspakt sollten die Budgetdefizit- und Verschuldungskriterien die Stabilität der nationalen
Finanzen sichern. Griechenland wurde jedoch weder hiervon noch von den Kapitalmärkten an seiner wenig soliden Finanzpolitik gehindert. Dennoch ist der Austritt aus der Währungsunion keine Option. So könnte das griechische Bankensystem den dann zu erwartenden Ansturm auf das Euro-Bargeld kaum verkraften. Da Hellas seine Auslandsschulden zudem weiterhin in Euro oder Dollar bedienen müsste, würde die sehr  wahrscheinliche Abwertung der wieder eingeführten Drachme die Schulden sogar noch weiter in die Höhe treiben.

2. Die EU muss den Zahlungsausfall eines kleinen Eurostaates aushalten können.

Die hektischen Bemühungen zur Rettung Griechenlands sind wenig hilfreich. Da die Hellenen ihre finanzielle Schieflage zumindest teilweise selbst verursacht haben, signalisieren die in Aussicht gestellten Hilfen auch anderen „Sündern“, dass die Währungsunion eine Haftungsgemeinschaft ist. Dies nimmt den betroffenen Regierungen den Anreiz, alles dafür zu tun, um selbst aus der Schuldenfalle herauszukommen.

3. Da sich Europa bereits zur Hilfe verpflichtet hat, sind nun strikte haushaltspolitische Auflagen nötig.


Als die europäischen Regierungschefs den Griechen im April erstmalig Unterstützung zusagten, fielen die Zinsen für griechische Staatsanleihen mit einjähriger Laufzeit zunächst auf 5 Prozent, um dann jedoch wieder schnell auf 8,2 Prozent anzusteigen. Längerfristige Papiere blieben hingegen dauerhaft teuer – je mehr sich die Zukunftsperspektiven des Landes verdunkelten, umso mehr zogen die Zinsen an:

In der Spitze stiegen die Zinsen für zehnjährige griechische Anleihen auf 10 Prozent. Für entsprechende deutsche Papiere wurden nur 3,1 Prozent fällig.

Dennoch ist die Situation der „starken“ Euroländer kaum komfortabler – sie kommen nicht umhin, die zugesagten Hilfen nun auch zur Verfügung zu stellen. Sollen die Gelder nicht in ein Fass ohne Boden fließen, müssen sie mit strikten Auflagen für die griechische Haushaltspolitik verbunden sein.

4. Ein „European Stability Commitment“ kann helfen, die Finanzdisziplin in der EU zu stärken.

Damit das griechische Drama nicht zum ersten Akt einer gesamteuropäischen Schuldentragödie
wird, schlägt das IW Köln eine europäische Verpflichtung zur Stabilität mit mehreren Elementen vor:
  1. Eine Schuldenbremse, wie sie seit kurzem im deutschen Grundgesetz verankert ist, sollte es auch in den anderen EU-Staaten geben.
  1. Überschuldete Länder neigen dazu, das Problem über eine höhere Inflation zu lösen – weil dies die Schulden „entwertet“. Um dem entgegenzuwirken, könnte die Geldpolitik solche Staaten aktiv sanktionieren – etwa indem sich die Europäische Zentralbank (EZB) weigert, deren Anleihen zur Refinanzierung der Geschäftsbanken anzunehmen.

  2. Der Einkommenssteuertarif sollte automatisch an Preissteigerungen angepasst werden. Ohne eine solche Indexierung steigt mit der Inflation auch der Steuersatz, den ein Arbeitnehmer auf sein – in realer Rechnung konstantes – Einkommen zahlen muss. Der Fiskus profitiert also von einer hohen Inflationsrate – entsprechend gering ist für den Staat der Anreiz, sparsam zu haushalten.

  3. Der Beitritt zur Währungsunion hat den Ländern mit einer eher laxen Finanzpolitik ein niedrigeres Zinsniveau beschert. Ob sie diesen Vorteil allerdings sinnvoll nutzen, wird bisher nicht kontrolliert. Daher empfiehlt es sich, einen Fonds einzurichten, der jene Gelder, die durch geringere Zinsausgaben im Staatshaushalt eingespart werden, für Investitionszwecke bindet. Dazu müsste allerdings auch die Budgetpolitik stärker überwacht werden.

  4. Um die Funktionsfähigkeit des Maastrichter Regelwerks zu stärken, sollten künftige Finanzkrisen eines Staates, die auf einer ausufernden Verschuldung oder gravierenden Wettbewerbsschwächen beruhen, automatisch ein schmerzhaftes Anpassungsprogramm des Internationalen Währungsfonds nach sich ziehen.
5. Die Effizienz der Kapitalmärkte muss unter Einbindung der Gläubiger gestärkt werden.

Als Konsequenz aus der griechischen Krise sollte die EZB mehr Sicherheiten von den Banken verlangen und so die Geldpolitik restriktiver gestalten. Es ist aber auch zu erwägen, den Gläubigern Griechenlands einen Teil der Umschuldungslast aufzubürden, indem der Wert der griechischen Staatsanleihen in einem sogenannten „Haircut“ z.B. um 10 bis 30 Prozent herabgestuft wird. Die Banken bekämen dann nur noch 70 bis 90 Prozent ihres Kapitals zurück. Zudem sollte die EU-Kommission halbjährlich einen Nachhaltigkeitsbericht für krisenverdächtige Länder erstellen und auf dieser Basis einen „Haircut“ der entsprechenden Anleihen für den Fall festlegen, dass die Länder EU-Hilfen in Anspruch nehmen müssten. Dieses Signal würde das Verantwortungsbewusstsein der Finanzinvestoren schärfen.

6. Um das Verschuldungsproblem dauerhaft zu lösen, muss die Wettbewerbsfähigkeit durch eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik gestärkt werden.


Soll die Währungsunion stabil bleiben, darf die ökonomische Leistungsfähigkeit ihrer Mitglieder auf Dauer nicht zu unterschiedlich sein. Die griechische Wirtschaft weist in Sachen Wettbewerbsfähigkeit große Defizite auf:

Im diesjährigen Weltbank-Ranking zu den Rahmenbedingungen für Investoren erreicht Griechenland nur Platz 109 von 183 Staaten.

Entsprechend muss Athen seine Politik neu ausrichten – also die Arbeits- und Produktmärkte liberalisieren, lohnpolitische Verteilungsspielräume beachten und für wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen sorgen.

Lissabon-Strategie

Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ist aber auch für die Europäische Union als Ganzes wichtig. Bereits 2000 hatte sich die EU im Rahmen der Lissabon- Strategie vorgenommen, innerhalb von zehn Jahren zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt“ aufzusteigen. Wie die Entwicklung der Wirtschaftsleistung zeigt, ist dieses Ziel klar verfehlt worden:

Das Bruttoinlandsprodukt je Einwohner erreichte in der EU 2009 lediglich 64 Prozent des Niveaus in den USA – seit dem Jahr 2000 hat Europa nur wenig Boden gutgemacht.

Inzwischen hat die Europäische Kommission zwar eine neue Strategie unter dem Titel „Europa 2020“ vorgeschlagen. Doch auch diese ist letztlich nur der Versuch, Wachstum politisch zu verordnen. Der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wird dagegen zu wenig Beachtung geschenkt. Immerhin enthält die neue Strategie einige sinnvolle Vorschläge – etwa jene, die Verwaltungslasten von Betrieben zu reduzieren, Rechtsvorschriften zu evaluieren und Binnenmarkthindernisse zu beseitigen.

Bologna-Prozess


Die Bologna-Erklärung von 1999 zielt darauf ab, ein einheitliches europäisches Hochschulwesen zu schaffen, unter anderem durch die Einführung der Bachelor-und Masterstudiengänge. Die neuen Abschlüsse stoßen bei den Unternehmen zumeist auf hohe Akzeptanz. Und die Studenten befürworten vor allem die größere Studieneffizienz und den stärkeren Praxisbezug, während unter anderem die schlechte Gliederung der Lerninhalte und organisatorische Mängel in der Lehre auf heftige Kritik stoßen.

Derweil geht es in einem weiteren Bologna-Projekt um die Ausgestaltung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (EQR). Zu begrüßen ist, dass der EQR die bislang getrennten Prozesse für Hochschule und Berufsbildung erstmalig zusammenführt, um die Qualifikationen international vergleichbar zu machen. Allerdings gilt es sicherzustellen, dass die berufliche Bildung in Deutschland, die zum Teil ein mit dem Studium vergleichbares Know-how vermittelt, in dem neuen Rahmen nicht unterbewertet wird. Denn das würde die Mobilität der deutschen Facharbeiter stark einschränken – zum  Beispiel, wenn sie ein Hochschulstudium im Ausland beginnen möchten.
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