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Fachartikel, 11.08.2010
Bankrotte Staaten
Internationales Insolvenzrecht gesucht
Bis heute gibt es kein internationales Insolvenzrecht für Staaten, die zahlungsunfähig sind. Dabei hat es immer wieder Länder gegeben, die ihre Auslandsschulden nicht mehr bedienen konnten. Selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) ist vor einigen Jahren mit seinem Vorschlag für einen Umschuldungsmechanismus gescheitert.*)

Als Griechenland im Frühjahr finanziell ins Schlingern kam, flammte nicht nur unter Ökonomen die keineswegs neue Frage wieder auf, ob ein Staat überhaupt Bankrott gehen kann. Könne er nicht, heißt es oft: Denn anders als ein zahlungsunfähiges Unternehmen hätte ein Land immer noch die Möglichkeit, sich frisches Geld zu verschaffen – per Steuererhöhungen oder via Druckerpresse, sofern der betroffene Staat eine eigene Landeswährung hat.

Und doch ist ein Bankrott möglich. Zwar ist Griechenland dank des 110-Milliarden-Euro-Rettungspakets von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds (IWF) vorerst liquide, doch ein Blick zurück zeigt, dass Staatsbankrotte keineswegs neue Erscheinungen sind. Die amerikanischen Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff zählten für die vergangenen 500 Jahre weltweit eine ganze Reihe von Krisen, die auf zu hohe Auslandsschulden zurückzuführen sind:

Allein Spanien verzeichnete seit dem 16. Jahrhundert insgesamt 13 Zahlungsausfälle oder Umschuldungen. Auch Deutschland und Frankreich konnten seitdem jeweils acht Mal ihre Schulden nicht bedienen.


Die meisten deutschen Staatsbankrotte fanden allerdings vor dem 20. Jahrhundert statt: So konnte Preußen gleich drei Mal seinen Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen (1683, 1807 und 1813), Westfalen (1812), Hessen (1814) und Schleswig-Holstein (1850) jeweils einmal.

Wenn Staatspleiten seit langem zum Wirtschaftsalltag gehören, müsste es eigentlich auch ein Regelwerk dafür geben, wie Schuldner und Gläubiger in solchen Krisensituationen miteinander zu verfahren haben. Doch genau daran hapert es: Die Insolvenz von Staaten ist im Völkerrecht nicht geregelt. Das liegt vor allem am Prinzip der Staatenimmunität, wonach ein Land nicht der Gerichtsbarkeit anderer Länder unterworfen sein soll. Das Völkerrecht folgt damit auch heute noch weitgehend dem römischen Rechtsgrundsatz, der lautet: „Der Gleiche hat über Gleiche keine Herrschaftsgewalt.“

In der Praxis haben sich manche Gläubiger um dieses Gleichheitsprinzip allerdings wenig geschert. Als Venezuela vor mehr als 100 Jahren trotz starken politischen Drucks seinen Schuldendienst einstellte und auch für bürgerkriegsbedingte Schäden an deutschem, englischem und italienischem Eigentum nicht aufkommen wollte, kam es 1902 zur militärischen Intervention: Die Gläubigerländer beschossen venezolanische Häfen und errichteten eine Seeblockade.

Im Lauf der Zeit fand die Staatengemeinschaft dann allerdings doch zu zivilisierteren Formen im Umgang mit zahlungsunwilligen und -unfähigen Ländern. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierten sich mit dem Pariser Club und dem Londoner Club zwei Institutionen, die seitdem regelmäßig Verhandlungen über Umschuldungen führen. Während im Pariser Club staatliche Gläubiger mit staatlichen Schuldnern nach Wegen aus Finanzdebakeln suchen, ringen im Londoner Pendant staatliche Gläubiger mit privaten Banken um Einigung.

Seit seinem ersten Zusammentreffen im Jahr 1956 hat allein der Pariser Club insgesamt mit 87 Schuldnerländern verhandelt und 415 Vereinbarungen über einen Gesamtbetrag von 543 Milliarden Dollar getroffen.

Trotz der Erfolge der beiden Gremien sind diese Institutionen kein Ersatz für ein internationales Insolvenzrecht für Staaten, das mehr Transparenz und Berechenbarkeit bieten würde. Hinzu kommt, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten die Gläubigerstruktur gewandelt hat. Im Gegensatz zu früher leihen sich Staaten heutzutage relativ wenig Geld bei Banken, die sich im Krisenfall aufgrund des begrenzten Gläubigerkreises meist noch recht gut absprechen können. Stattdessen verschulden sich Länder mehr und mehr bei anderen privaten Gläubigern. Diese heterogene Gläubigerstruktur lässt sich allerdings viel schwieriger koordinieren, weshalb sich Auseinandersetzungen um einen Staatsbankrott oft lange hinziehen.

Anne O. Krueger, die ehemalige stellvertretende Direktorin des IWF, hatte diese Aspekte berücksichtigt, als sie 2001 ein transparentes Insolvenzverfahren schaffen wollte: den Sovereign Debt Restructuring Mechanism (SDRM). Dieser verbindliche Rahmen für Schuldenkrisen sah folgende Elemente vor:

  • Eine qualifizierte Gläubigermehrheit hätte eine Minderheit bei den Sanierungsvereinbarungen überstimmen sollen. So wollte Krueger verhindern, dass bei einer Umschuldung einzelne Gläubiger auf Kosten anderer eine vollständige Bedienung ihrer Forderungen durchsetzen.
  • Um mögliche Streitigkeiten bei der Schuldenrückführung beizulegen, sollte eine gerichtsähnliche Institution geschaffen werden, das Dispute Resolution Forum(DRF).
  • Einzelne Gläubiger sollten den Verhandlungsprozess nicht durch Vollstreckungen stören können – ein Vorgehen, das bei Schuldenrückführungen bis heute immer wieder vorkommt.

Der SDRM-Vorschlag wurde niemals realisiert. Nach einer kontroversen Debatte im Frühjahr 2003 wurde der Schuldenrückführungsmechanismus nicht weiter verfolgt. Dies hatte mehrere Gründe:

  1. Viele Entwicklungs- und Schwellenländer befürchteten, dass es für ein hoch verschuldetes Land nach der Eröffnung eines geregelten Insolvenzverfahrens keinen Zugang mehr zu den internationalen Finanzmärkten geben würde. Infolgedessen hätten es solche Länder noch schwerer, die für ihre wirtschaftliche Entwicklung notwendigen Finanzmittel zu erhalten.
  2. Die Gläubiger wiederum, vor allem die Banken, sahen die Gefahr des Missbrauchs durch verschuldete Staaten: Wenn es einfacher würde, ein Insolvenzverfahren einzuleiten, dann könnten überschuldete Länder versucht sein, dies zu Lasten der Gläubiger zu tun – auch wenn objektiv dazu noch kein Grund vorliegt.
  3. Überdies gab es die Sorge, dass es in verschuldeten Ländern bereits bei ersten Anzeichen für ein geregeltes Insolvenzverfahren zu einer Finanzkrise kommen könnte.
  4. Kritisch wurde auch die Rolle des IWF bei einem solchen Verfahren gesehen. Einerseits ist er selbst Gläubiger, andererseits wäre ihm im Rahmen des SDRM aber auch eine Schiedsrichterfunktion zugekommen. Dieser Interessenkonflikt, so die Skeptiker, hätte dazu führen können, dass der IWF seine eigenen finanziellen Beiträge künftig erheblich reduziert.

Seit Ausbruch der Griechenlandkrise ist die Debatte über eine Insolvenzregelung für Staaten wieder neu entfacht. Dabei sind es nicht allein die Hellenen, die Anlass geben, ein Insolvenzrecht für Staatsbankrotte zu entwickeln. Auch anderswo laufen die Staatsfinanzen aus dem Ruder:

Bis zum Jahr 2011 wird der öffentliche Schuldenstand vor allem in Island (plus 90 Prozentpunkte) und Irland (plus 62 Prozentpunkte) kräftig steigen. Mit etwas Abstand folgen Großbritannien (plus 42 Prozentpunkte), die USA (plus 41 Prozentpunkte) und Spanien (plus 36 Prozentpunkte).

Ein geordnetes Insolvenzverfahren würde aber nicht nur den Schuldnerstaaten mehr Rechtssicherheit bieten. Wahrscheinlich würde eine Insolvenzregelung auch die Gläubiger disziplinieren: Wenn sie damit rechnen müssen, im Falle eines Falles auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten zu müssen, verleihen sie künftig womöglich auch nicht mehr ganz so leichtfertig ihr Geld.

*) Vgl. Berthold Busch, Manfred Jäger-Ambroz.ewicz, Jürgen Matthes: Wirtschaftskrise und Staatsbankrott, IW-Analysen Nr. 62

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