Als Griechenland im Frühjahr finanziell ins Schlingern kam, flammte nicht nur unter Ökonomen die keineswegs neue Frage wieder auf, ob ein Staat überhaupt Bankrott gehen kann. Könne er nicht, heißt es oft: Denn anders als ein zahlungsunfähiges Unternehmen hätte ein Land immer noch die Möglichkeit, sich frisches Geld zu verschaffen – per Steuererhöhungen oder via Druckerpresse, sofern der betroffene Staat eine eigene Landeswährung hat.
Und doch ist ein Bankrott möglich. Zwar ist Griechenland dank des 110-Milliarden-Euro-Rettungspakets von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds (IWF) vorerst liquide, doch ein Blick zurück zeigt, dass Staatsbankrotte keineswegs neue Erscheinungen sind. Die amerikanischen Ökonomen Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff zählten für die vergangenen 500 Jahre weltweit eine ganze Reihe von Krisen, die auf zu hohe Auslandsschulden zurückzuführen sind:
Allein Spanien verzeichnete seit dem 16. Jahrhundert insgesamt 13 Zahlungsausfälle oder Umschuldungen. Auch Deutschland und Frankreich konnten seitdem jeweils acht Mal ihre Schulden nicht bedienen.
Die meisten deutschen Staatsbankrotte fanden allerdings vor dem 20. Jahrhundert statt: So konnte Preußen gleich drei Mal seinen Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen (1683, 1807 und 1813), Westfalen (1812), Hessen (1814) und Schleswig-Holstein (1850) jeweils einmal.
Wenn Staatspleiten seit langem zum Wirtschaftsalltag gehören, müsste es eigentlich auch ein Regelwerk dafür geben, wie Schuldner und Gläubiger in solchen Krisensituationen miteinander zu verfahren haben. Doch genau daran hapert es: Die Insolvenz von Staaten ist im Völkerrecht nicht geregelt. Das liegt vor allem am Prinzip der Staatenimmunität, wonach ein Land nicht der Gerichtsbarkeit anderer Länder unterworfen sein soll. Das Völkerrecht folgt damit auch heute noch weitgehend dem römischen Rechtsgrundsatz, der lautet: „Der Gleiche hat über Gleiche keine Herrschaftsgewalt.“
In der Praxis haben sich manche Gläubiger um dieses Gleichheitsprinzip allerdings wenig geschert. Als Venezuela vor mehr als 100 Jahren trotz starken politischen Drucks seinen Schuldendienst einstellte und auch für bürgerkriegsbedingte Schäden an deutschem, englischem und italienischem Eigentum nicht aufkommen wollte, kam es 1902 zur militärischen Intervention: Die Gläubigerländer beschossen venezolanische Häfen und errichteten eine Seeblockade.
Im Lauf der Zeit fand die Staatengemeinschaft dann allerdings doch zu zivilisierteren Formen im Umgang mit zahlungsunwilligen und -unfähigen Ländern. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierten sich mit dem Pariser Club und dem Londoner Club zwei Institutionen, die seitdem regelmäßig Verhandlungen über Umschuldungen führen. Während im Pariser Club staatliche Gläubiger mit staatlichen Schuldnern nach Wegen aus Finanzdebakeln suchen, ringen im Londoner Pendant staatliche Gläubiger mit privaten Banken um Einigung.
Seit seinem ersten Zusammentreffen im Jahr 1956 hat allein der Pariser Club insgesamt mit 87 Schuldnerländern verhandelt und 415 Vereinbarungen über einen Gesamtbetrag von 543 Milliarden Dollar getroffen.
Trotz der Erfolge der beiden Gremien sind diese Institutionen kein Ersatz für ein internationales Insolvenzrecht für Staaten, das mehr Transparenz und Berechenbarkeit bieten würde. Hinzu kommt, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten die Gläubigerstruktur gewandelt hat. Im Gegensatz zu früher leihen sich Staaten heutzutage relativ wenig Geld bei Banken, die sich im Krisenfall aufgrund des begrenzten Gläubigerkreises meist noch recht gut absprechen können. Stattdessen verschulden sich Länder mehr und mehr bei anderen privaten Gläubigern. Diese heterogene Gläubigerstruktur lässt sich allerdings viel schwieriger koordinieren, weshalb sich Auseinandersetzungen um einen Staatsbankrott oft lange hinziehen.
Anne O. Krueger, die ehemalige stellvertretende Direktorin des IWF, hatte diese Aspekte berücksichtigt, als sie 2001 ein transparentes Insolvenzverfahren schaffen wollte: den Sovereign Debt Restructuring Mechanism (SDRM). Dieser verbindliche Rahmen für Schuldenkrisen sah folgende Elemente vor:
Der SDRM-Vorschlag wurde niemals realisiert. Nach einer kontroversen Debatte im Frühjahr 2003 wurde der Schuldenrückführungsmechanismus nicht weiter verfolgt. Dies hatte mehrere Gründe:
Seit Ausbruch der Griechenlandkrise ist die Debatte über eine Insolvenzregelung für Staaten wieder neu entfacht. Dabei sind es nicht allein die Hellenen, die Anlass geben, ein Insolvenzrecht für Staatsbankrotte zu entwickeln. Auch anderswo laufen die Staatsfinanzen aus dem Ruder:
Bis zum Jahr 2011 wird der öffentliche Schuldenstand vor allem in Island (plus 90 Prozentpunkte) und Irland (plus 62 Prozentpunkte) kräftig steigen. Mit etwas Abstand folgen Großbritannien (plus 42 Prozentpunkte), die USA (plus 41 Prozentpunkte) und Spanien (plus 36 Prozentpunkte).
Ein geordnetes Insolvenzverfahren würde aber nicht nur den Schuldnerstaaten mehr Rechtssicherheit bieten. Wahrscheinlich würde eine Insolvenzregelung auch die Gläubiger disziplinieren: Wenn sie damit rechnen müssen, im Falle eines Falles auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten zu müssen, verleihen sie künftig womöglich auch nicht mehr ganz so leichtfertig ihr Geld.
*) Vgl. Berthold Busch, Manfred Jäger-Ambroz.ewicz, Jürgen Matthes: Wirtschaftskrise und Staatsbankrott, IW-Analysen Nr. 62