VOLLTEXTSUCHE
Pressearchiv
Büro für Bildung & Kommunikation
Pressemitteilung

Welches Ziel und Vorgehen ist realistisch?

(PM) , 01.12.2006 - Vieles was beim Gestalten von Veränderungsprozessen wünschenswert wäre, lässt sich im Unternehmensalltag oft nicht (mehr) realisieren. Das erfuhren Personalentwickler und Führungskräfte bei einem Workshop der WSFB-Beratergruppe Wiesbaden. Die Stimmung im Gruppenraum ist angespannt. Seit einer Stunde diskutiert die Arbeitsgruppe darüber, wie das Unternehmen Sibilsa beim Entwickeln und Einführen seines neuen Vertriebskonzepts vorgehen sollte. „Du kannst doch Leute, die bisher nur Kunden verwaltet haben, nicht damit beauftragen, das neue Konzept zu entwickeln. Die wissen doch gar nicht, was aktiv verkaufen heißt“, poltert Paula Jäger*, Bereichsleiterin bei einem Versicherungskonzern. „Aber wenn du denen das fertige Konzept vor die Nase setzt, dann erntest du nur Widerstand“, kontert Mia Schmidt, Personalentwicklerin bei einem Münchner IT-Unternehmen. Zunehmend verhaken sich die beiden Frauen ineinander, während die beiden männlichen Gruppenmitglieder seit Minuten schweigen. Dabei begann alles so harmonisch. Gemeinsam arbeiteten die Gruppenmitglieder heraus, welche Ziele der Industriedienstleister Sibilsa mit dem Projekt erreichen möchte. Dann ermittelten sie die möglichen „Störfaktoren“. Doch kaum ging’s ans Entwerfen der Prozessarchitektur, war die Harmonie verflogen. Und nun läuft der Gruppe die Zeit davon. In 15 Minuten soll sie ihre Arbeitsergebnisse im Plenum präsentieren. Paula Jäger ist mit ihrer Geduld an Ende. Mit energischen Schritten eilt sie zur Pinnwand und skizziert auf ihr ratzfatz die Prozessarchitektur. „Erst machen wir einen Workshop mit dem Vorstand und den Vertriebsverantwortlichen. Dann ...“ Die anderen Gruppenmitglieder schweigen. Und Hans-Werner Bormann, Geschäftsführer von WSFB, der den Theoriebaustein der Beraterweiterbildung leitet? Er schaut lächelnd zu. Im Plenum. Die Gruppe von Paula Jäger soll als erste ihre Ergebnisse präsentieren. „Das macht die Paula, die hat unsere Diskussion moderiert“, sagt Mia Schmidt spitz. „Du meinst dirigiert“, erwidert Paula Jäger. Dabei lächelt sie der Personalentwicklerin entschuldigend zu. Es gibt keine Standardrezepte, aber -prinzipien Der Vorschlag von Paula Jäger zielt darauf ab, dass eine Projektgruppe das neue Vertriebskonzept erarbeitet, nachdem dessen Eckpfeiler mit dem Führungskreis definiert wurden. Der Entwurf wird dann mit dem Führungskreis abgestimmt. Anschließend werden die Führungskräfte geschult. Und erst danach werden die Mitarbeiter ins Boot geholt. Die zweite Arbeitsgruppe bevorzugt ein anderes Vorgehen. Sie möchte zwar auch zunächst die Kerninhalte des neuen Vertriebskonzepts mit dem Führungskreis abstimmen, doch danach soll unmittelbar eine Kickoff-Veranstaltung mit allen Vertriebsmitarbeitern stattfinden. Dort soll zunächst der Vorstand das Ziel des Unternehmens skizzieren. Zudem sollen einige Schlüsselkunden darlegen, wo aus ihrer Warte bei Sibilsa Entwicklungsbedarf besteht. So instruiert sollen anschließend die Vertriebsmitarbeiter selbst in Arbeitsgruppen das neue Vertriebskonzept entwerfen. Die Entwürfe werden dann von einer Projektgruppe redigiert, bevor schließlich unter dem Motto „Vom beratenden Techniker zum verkaufenden Beziehungsmanager“ ein mehrstufiges Qualifizierungsprogramm für alle Vertriebsmitarbeiter startet. „Und welches Vorgehen ist nun richtig?“, möchte Mia Schmidt von Hans-Werner Bormann wissen. Er zuckt die Schultern: „Beide oder vielleicht auch keines. Denn für das Gestalten von Veränderungsprozessen gibt es kein Standardverfahren, sondern nur Standardprinzipien. Und um zu entscheiden, welches Vorgehen das effektivste ist, müssten Sie mehr über das Unternehmen wissen.“ „Aber beim Vorschlag von Paula werden die Mitarbeiter doch erst beteiligt, wenn das Konzept steht“, kritisiert Mia Schmidt. „Na und?“, erwidert Bormann. „Das Beteiligen der Mitarbeiter ist doch kein Selbstzweck.“ Die Betroffenen beteiligen – oder nicht? Kaum sind Bormanns Worte verklungen, ergreift Johann Scholten das Wort. Er leitet mit Bormann das Beratungsunternehmen WSFB und den Workshop. „Das Beteiligen der Mitarbeiter kann das Erreichen der Ziele auch gefährden.“ Zum Beispiel, wenn die aktive Beteiligung die Mitarbeiter überfordert oder unnötige Widerstände provoziert. „Darauf sollten Sie achten, wenn Sie Hypothesen bilden Prozessarchitekturen schmieden. Sonst ist die Architektur nicht anschlussfähig – entspricht also nicht dem Reifegrad der Organisation“, warnt Scholten. Einige Sekunden herrscht Stille im Raum. Dann fragt Klaus Friebe, Leiter IT-Services bei einem Logistikunternehmen, die WSFB-Geschäftsführer: „Und wie sind Sie das Projekt angegangen?“ WSFB entwarf im Dialog mit dem Vorstand das neue Vertriebskonzept von Sibilsa. Und dieses wurde den Führungskräften im Vertrieb sozusagen fix und fertig vor die Nase gesetzt. Mia Schmidt ist baff. „Dürfen systemische Berater das überhaupt?“, fragt sie. „Warum nicht?“, fragt Bormann zurück. „Wenn die Systemanalyse zeigt: Das System wäre hiermit überfordert.“ Deutlich wird: Die WSFB-Geschäftsführer sind keine Anhänger der „reinen Lehre“, der zufolge systemische Berater sich auf die Prozessberatung beschränken müssen. Bei ihrer Beratungsarbeit in Unternehmen verfolgen sie den pragmatischen Kurs: Wenn ein fachlicher Input nötig ist, dann liefern wir ihn auch – sofern möglich. Wichtiger ist Bormann eine andere Frage: „Wie lange dauert es bis sich die Vertriebsmitarbeiter zu ‚verkaufenden Beziehungsmanagern’ entwickelt haben?“. „Zwei ...,“ „drei ...,“ „fünf Jahre“, schallt es zurück. Nach Bormanns Auffassung ist das Entwicklungsziel der zweiten Gruppe unrealistisch. „Nach einem Jahr kann das Unternehmen froh sein, wenn es erste Verhaltensänderungen spürt.“ Zum Beispiel in der Form, dass die Vertriebsmitarbeiter regelmäßig eigeninitiativ Kunden anrufen. „Sagen Sie das den Verantwortlichen in den Unternehmen?, möchte Arne Hübner, Inhaber eines auf Vertriebsthemen spezialisierten Trainingsinstituts wissen. Bormann schüttelt nachdenklich den Kopf. „Das ist eine Gradwanderung“, sagt er. Schließlich haben die Unternehmen oft noch keine Erfahrung damit, wie langwierig kulturelle Veränderungsprozesse sind. „Die glauben oft: Heute starten wir ein Projekt und morgen ist alles gut.“ Entsprechend wichtig sei es, sich als Prozessberater zu überlegen, welche Entwicklungsziele realistisch sind – und sich einzugestehen, dass die eigenen Ziele zuweilen andere als die der Klienten sind. Realistische (Beratungs-)Ziele formulieren Einige Teilnehmer schauen irritiert. Also ergreift Johann Scholten das Wort. „Wie ist die Ausgangssituation, wenn Ihre Unterstützung angefragt wird? Meist hat die Geschäftsleitung die Basisentscheidung schon getroffen – zum Beispiel: „Wir strukturieren um.“ Auch das Entwicklungsziel – zum Beispiel: „Unsere Vertriebsmitarbeiter sollen verkaufende Beziehungsmanager werden“ – ist formuliert. Also können Sie mit den Umsetzungsverantwortlichen in der Organisation nur noch schauen: Wie können wir uns dem vorgegebenen Ziel soweit wie möglich annähern?“ Bei Mia Schmidt macht sich Ernüchterung breit. Wie viele Personalentwickler träumt sie davon, dass die obersten Entscheider in ihrem Unternehmen sie bereits kontaktieren, bevor sie sich zum Beispiel für eine Fusion entscheiden, so dass der Changeprozess sozusagen „lehrbuch-“ oder „bilderbuchmäßig“ gestaltet werden kann. Die Realität ist eine andere. Also müssen ex- und interne Berater sich darauf einstellen. Nach der Mittagspause sollen die Workshopteilnehmer in Arbeitsgruppen ein weiteres anonymisiertes Fallbeispiel bearbeiten. Nun gilt es, die Architektur für die Einführung eines neuen Unternehmensleitbilds bei einem regionalen Wasser- und Energieversorger zu entwerfen. Die Ausgangssituation ist folgende: Das neue Leitbild ist bereits formuliert. Und wie stets stehen in ihm viele schöne Dinge – zum Beispiel, dass die Mitarbeiter künftig „eigenständiger und -verantwortlicher“ arbeiten sollen. Und die Beziehung zwischen Führungskräften und Mitarbeitern? Sie soll eine „partnerschaftlich-kooperative“ sein. Wie kann ein solches Leitbild in einer Organisation eingeführt werden, in der die meisten Mitarbeiter eine „Beamtenmentalität“ haben? In einer Organisation zudem mit einem sehr starken Betriebsrat, über der das Damoklesschwert schwebt, dass 15 Prozent der Personalkosten eingespart werden müssen? Dies ist kein Auftrag, von dem Personal- und Organisationsentwickler träumen. Das wird in den Arbeitsgruppen schnell klar. Einig sind sie sich darüber: Der Betriebsrat spielt bei der Einführung des Leitbilds eine wichtige Rolle. Folglich zielen die entworfenen Architekturen alle darauf ab, ihn so früh und umfassend wie möglich zu integrieren. Einig sind sich die Gruppen auch: Das Leitbild ist ein Traumbild. Mit der realen Organisation hat es wenig zu tun. Deshalb ist die Gefahr groß, dass es auf Nimmerwiedersehen in der Schublade verschwindet. Also fokussiert sich das Bestreben der Gruppen zunächst darauf, realistische Ziele für die Leitbildeinführung zu formulieren. Beide gelangen zum Ergebnis: Wir sollten uns ein, zwei Kernelemente herauspicken und bei der Leitbildeinführung und dem damit verbundenen Qualifizierungsprozess den Fokus darauf legen. Auch mal mit kleinen Erfolgen zufrieden sein Ähnlich ging WSFB vor. Auch der Unternehmensberatung war schnell klar: Das Leitbild ist nicht maßgeschneidert; doch daran können wir nichts ändern. Also beschränkte sich die Arbeit von WSFB nach der offiziellen Einführung weitgehend darauf, mit den Abteilungen herauszuarbeiten, was einzelne Aussagen für die Alltagsarbeit bedeuten. Heraus kamen laut Scholten meist ganz banale Dinge. So wurde zum Beispiel im Kundendienst vereinbart, dass künftig, wenn ein junger, noch relativ unerfahrener Techniker eine Pumpe nicht reparieren kann, dessen Führungskraft nicht einfach zu einem erfahrener Techniker sagt: „Fahr du hin und mach das. Der Müller kann das nicht.“ Statt dessen sollte fortan der erfahrene Techniker mit dem unerfahrenen gemeinsam die Pumpe reparieren, so dass der junge etwas lernt und zunehmend eigenständig arbeiten kann. „Von außen betrachtet wirkt dies wie eine Kleinigkeit“, erklärt Scholten. „Für die Techniker war dies aber eine große kulturelle Veränderung.“ In der anschließenden Besprechung sagt Kai Friebe denn auch, eine wesentliche Erkenntnis sei für ihn gewesen, wie wichtig es sei, realistische Ziele für die eigene Arbeit zu formulieren. Und Mia Schmidt? Für die Personalentwicklerin war es „befreiend“, dass sie als interne Beraterin nicht stets alle Betroffenen beteiligen muss, sondern diesen auch mal fertige Konzepte vor die Nase setzen darf – wenn dies dem Erreichen der Ziele dient. „Das eröffnet mir für mein nächstes Projekt ganz neue Perspektiven.“ Bernhard Kuntz * Die Namen der Teilnehmer wurden geändert.
DRUCKEN| VERSENDEN | RSS-FEED |
SOCIAL WEB
PRESSEFACH
Büro für Bildung & Kommunikation
Eichbergstraße 1
64285 Darmstadt
zum Pressefach
Anzeige
PRESSEARCHIV
Anzeige
BUSINESS-SERVICES
© novo per motio KG