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Kolumne
Beraten und verkauft, 03.11.2010
Stuttgart 21
Eine Mediation ist keine Fernseh-Show
Als ein Schritt zu mehr Demokratie wurde die Liveübertragung der Schlichtungsverhandlungen um Stuttgart 21 im Fernsehen und Internet gefeiert. Dabei verringert zu viel Öffentlichkeit die Chance, dass eine Mediation gelingt.
Wann wird für Verhandlungen ein Schlichter bestellt? Wenn sich die beteiligten Konfliktparteien so ineinander verhakt haben, dass sozusagen nichts mehr geht; des Weiteren, wenn aufgrund der Geschehnisse im Vorfeld bei den Konfliktbeteiligten bereits so viele emotionale Verletzungen bestehen, dass ein Sich-verständigen scheinbar unmöglich ist – wie bei Stuttgart 21. Dann wird ein Schlichter bestellt, dessen vorrangige Aufgabe in dem Versuch besteht, die verhärteten Fronten wieder so weit aufzuweichen, dass eventuell wieder ein Aufeinander-zu-gehen möglich ist.

Hierfür müssen, das lernt man in jeder Mediationsausbildung, gewisse Rahmenbedingungen gegeben sein. So muss zum Beispiel der Schlichter von allen Konfliktparteien akzeptiert sein – das ist bei Heiner Geißler bei den Verhandlungen um Stuttgart 21 der Fall. Nicht erfüllt sind aber zwei weitere Anforderungen: Die Verhandlung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Und: Vor Beginn der eigentlichen Mediation verständigen sich die Teilnehmer darüber, worüber sie nach den Gesprächen Stillschweigen bewahren und was der „interessierten Öffentlichkeit“ mitgeteilt wird.

Diese Vertraulichkeit ist für den Erfolg von Mediationen unabdingbar, weil in den Gesprächen aufgrund der vorhandenen emotionalen Verletzungen auch immer mal wieder die Emotionen hochkochen. Zudem müssen beide Seiten, damit sie etwas bewegt, im Verlauf der Gespräche sich auch eingestehen können, dass sie zumindest eine Mitschuld haben – zum Beispiel am Hochkochen des Konflikts. Außerdem müssen sie im Verlauf der Verhandlungen dazu in der Lage sein, auch mal über ihren eigenen Schatten zu springen und Meinungen sowie Forderungen, die für sie zuvor in Stein gemeißelt waren, zur Disposition zu stellen. Erst wenn dies beiderseits geschieht, weichen die starren Fronten wieder allmählich auf und öffnet sich ein Fenster für eine eventuelle Konfliktlösung.

Dieses über den Schatten-springen gelingt den Beteiligten meist nur in einem kleinen Kreis. Des Weiteren, wenn klar ist: Gewisse Dinge, die ich sage oder tue, bleiben im Raum. Deshalb wird mich anschließend zum Beispiel niemand ein „Weichei“ nennen, nur weil ich eine gewisse Mitschuld eingeräumt habe. Und niemand wird mir vorwerfen, ich sei ein „Wendehals“, nur weil ich auf den „Gegner“ einen Schritt zugegangen bin.

All dies ist in Stuttgart 21 nicht mehr möglich, weil die Gespräche live im Fernsehen und Internet übertragen werden. Also müssen sich die Beteiligten unmittelbar nach jeder Gesprächsrunde auch für all ihre Aussagen, für jede ihrer (emotionalen) Reaktionen – kurz für ihr gesamtes Verhalten – rechtfertigen. Das verhindert ein allmähliches Aufeinander-zu-gehen.

Deshalb sind die Stuttgarter Verhandlungen vermutlich von Anfang an gescheitert. Denn im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit werden alle Beteiligten nur noch Schaufenster-Reden halten – aus Angst, in der Öffentlichkeit oder in Organisation beziehungsweise bei den Menschen, die sie vertreten, das Gesicht zu verlieren.

Demokratie lebt von Transparenz und Öffentlichkeit. Trotzdem ist – gerade bei Konflikten – oft ein Verhandeln hinter geschlossenen Türen nötig. Denn anders ist vielfach ein Auf-einander-zu-gehen und Aushandeln von tragfähigen Kompromissen nicht möglich.
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Über Bernhard Kuntz
Bernhard Kuntz ist ein ausgewiesener Kenner des Bildungs- und Beratungsmarkts aufgrund seiner Tätigkeit als Redakteur des Fachmagazins 'management & seminar' (1989 bis 1992) und seiner über 15-jährigen Arbeit als Fachjournalist für Personal- und ... mehr
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