VOLLTEXTSUCHE
Interview, 06.05.2009
Intuition
Der Geistesblitz im richtigen Moment
Ein Interview von Dr. Jürgen Wunderlich mit Arvid Leyh
Intuition ist für viele Menschen schwer greifbar und doch im Business ein unverzichtbarer Impuls, wenn es darum geht, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Immer wieder stehen wir vor der Frage, wem sollten wir mehr vertrauen: unserem Verstand, den Zahlen, Fakten, Daten … oder unserem Gefühl? Dr. Jürgen Wunderlich, Autor des Buches „Intuition – Die unbewusste Intelligenz“ hat den renommierten Wissenschaftsjournalisten Arvid Leyh, der u. a. für die Zeitschrift "Gehirn und Geist" schreibt, zu seinen Erfahrungen mit Intuition befragt.
Herr Leyh, was bedeutet Intuition für Sie?

Arvid Leyh: Unter allen Wörtern rund um Geist und Gehirn ist Intuition – vielleicht neben Motivation – das mit dem größten Potential. Und mit der Motivation teilt es den faszinierend geringen Energieaufwand: Intuition ist ein Wissen, ein Gedanke, der spontan in uns entsteht, ohne dass wir in diesem Moment großartig etwas dafür tun müssten. Die meisten anderen Erkenntnisse erfordern deutlich mehr Hirnschmalz. Gleichzeitig ist Intuition ein Amöbenwort: es bringt ein großes Feld auf einen kleinen Nenner. Der amerikanische Neurologe Robert Burton unterscheidet beispielsweise streng zwischen Intuition – als sofortiges Erkennen oder Verständnis – und Bauchgefühl, das wir haben, aber nicht begründen oder herleiten können. Viele Autoren sehen Intuition auch tätig im kreativen Prozess. Ich würde meine persönliche Intuition in diese Richtung eher abgrenzen wollen. Ich spreche dann eher von Musenkuss oder Flow. Aber auch mit diesen beiden hat Intuition gemein, dass großartiger kognitiver Aufwand weder erwünscht ist, noch benötigt wird. Doch egal wie umfangreich: Intuition ist in all ihren Facetten schlussendlich ein direkter Draht zum Gefühl, zur inneren Stimme, zur Seele, wenn man es ganz groß formulieren wollte. Aus diesem Grund erscheint sie uns so oft so richtig. Aber sie kann sich genauso gut verhauen.

Das klingt ja recht wild imposant. Wie kommt sie aus Ihrer Sicht zu Stande?

Arvid Leyh: Betrachten wir das Thema hirnseitig, ist die Frage vielleicht eher: Wie kann man sie vermeiden? Denn Intuition – als rasche Entscheidung und Einschätzung aus der Hüfte heraus und im Gegensatz zum verstandesbetonten Denken – entspringt den unbewussten Bereichen im Gehirn. Subcorticale Strukturen wie Amygdala und Hippocampus verhandeln unter sich, wie wir eine bestimmte Situation erleben. Die Amygdala beispielsweise ist für die emotionale Bewertung einer Situation zuständig (wie eigentlich alle Emotion eine Bewertung darstellt): „Droht Gefahr? Ist ein Feind in der Nähe? Sieht dieses Gesicht ängstlich oder bedrohlich aus?“ Viel schneller als der bewusste Cortex in seinen unendlichen Verschaltungen und Assoziationen es beurteilen könnte, hat die Amygdala schon beim ersten Funken reagiert – weshalb wir uns bei einem plötzlichen Schatten in Kopfhöhe wegducken, auch wenn überhaupt keine Gefahr besteht. Der Hippocampus in seiner Funktion als Tor zum Gedächtnis trägt bestehende Erfahrungen zur Bewertung bei – viele dieser schnellen Bewegungen in der Vergangenheit waren womöglich unangenehme Zeitgenossen oder Teil der elterlichen Pädagogik. Oder, viel weiter vorne auf dem evolutionären Zeitstrahl, ein Fressfeind. Wir tun also gut daran, diesen unbewussten Impulsen zu folgen – er hat uns im Lauf der Evolution oft genug das Leben gerettet.

Sind Intuitionen auch entstanden, um soziales Miteinander zu vereinfachen?
 
Arvid Leyh: Ein im Gehirn wichtiges Gebiet ist die Einschätzung von Gesichtern. Grundsätzlich sind andere Leute immer von Interesse – ein evolutionäres homo homini lupus. Und so wissen wir oft sehr schnell, ob wir das Gegenüber intuitiv gut finden, oder eher nicht. Es kann sein, dass der andere das gar nicht verdient hat, ihm auf tieferer Ebene nur die schlechten Erfahrungen mit jemandem um die Ohren fliegen, der einen ähnlichen Schnurrbart hatte. Hier wird die schnelle Einschätzung zur Falle... Wir als bewusste, vernünftige Menschen, können dagegen erst einmal wenig tun, außer uns eine möglichst offene Geisteshaltung gegenüber unseren Mitmenschen zuzulegen, die solche Intuitionen wieder auffangen kann. Aber Bewusstsein wird womöglich überschätzt, denn die allermeisten Prozesse im Hirn laufen unbewusst. Wir sind meist nur Zuschauer, die sich für Mitspieler halten. So gesehen ist alle Entscheidung Intuition. Doch gerade, wenn es um Gesichter geht, zeigt sich auch die unvergleichliche Stärke im Zusammenspiel Amygdala/Intuition. Denn unsere Gefühle auf alles Geschehen zeigen sich in so genannten micro expressions – einem millisekundenkurzen Aufblitzen von Freude, Ärger oder Angst in der Mimik. Man könnte sagen, wir tragen unser Herz im Gesicht. Doch diese micro expressions sind zu schnell, um sie bewusst wahrnehmen zu können. Doch während wir völlig ahnungslos weitersprechen, weiß unsere Amygdala Bescheid – und wir bekommen vielleicht das subtile Gefühl, diesen Vertrag doch nicht zu unterschreiben ... Spinnen wir diesen Faden noch ein wenig weiter, kommen wir zu den somatischen Markern des bekannten amerikanischen Hirnforschers Antonio Damasio. In der Tradition von William James meint er, Belege dafür gefunden zu haben, dass wir nicht weinen, weil wir traurig sind, sondern traurig sind, weil wir weinen. Bei Damasio ist der Körper die Bühne der Gefühle. Und der Regisseur sitzt im limbischen System. Intuition mag sich also durchaus in Bauchgefühlen niederschlagen.

Das sind ja recht komplexe Prozesse, die sich in unserem Gehirn abspielen und damit zu Intuition führen. So etwas entwickelt sich im Rahmen der Evolution nicht ohne Grund. Welchen Vorteil bringt Intuition?

Arvid Leyh: Wieder hirnseitig und evolutionär betrachtet, spart Intuition schlicht viel Zeit. Wir denken nicht darüber nach, wie wir auf diesen Bären direkt vor uns reagieren – wir werfen uns in die Arme des Adrenalins und rennen, so schnell wir können. Ganz ähnlich ist das sozial: wenn sich da ein Fremder ans Feuer des Rudels setzen will, ist eine schnelle Einschätzung manchmal überlebenswichtig. Diesen Gedanken hat Malcolm Gladwell in seinem Buch ‚Blink’ bestsellertauglich bekannt gemacht.

Wann sollte man dann seine Intuition einsetzen?

Arvid Leyh: Da sich Intuition aus vorbewussten Quellen speist, ist die Verlässlichkeit dieser Quellen essentiell. Beim Beispiel Menschenkenntnis bringt sie dem nicht viel, der kaum Kontakt zu Menschen hat. Auf der anderen Seite ist sie hier am lautesten – Liebe auf den ersten Blick ist beispielsweise die Intuition, mit diesem einen Menschen den Rest des Lebens verbringen zu wollen/können/müssen. Die Scheidungsstatistik zeigt, wie gut das funktioniert. Aber für mehrere Jahre immerhin war die Intuition stimmig. Für den Bereich des Berufslebens – soll ich mit diesem Menschen künftig Projekte machen – gilt das genauso. In beiden Fällen ist sie alles, was wir haben. Und wir erwarten ja auch sonst selten, dass eine Antwort Jahrzehnte gilt. Auf den Bereich der Kreativität bezogen – wie gesagt, für mich hier nicht zugehörig – lassen sich Aha-Effekte dagegen vergleichsweise leicht verifizieren. Was ja auch Teil der dazugehörigen Kreativitätstechnik ist: Vertiefung, Inkubation, Intuition, Verifikation. Wobei Vertiefung einmal mehr das wichtige Wort ist. Zuverlässig intuitiv sind wir nur da, wo wir uns wirklich auskennen. Das allerdings ist an erstaunlich vielen Stellen der Fall und so sind wir alle permanent und unaufhaltsam intuitiv – wir wissen, was unsere Kinder fühlen, wir hören an der leisesten Nuance, wie es unseren Eltern geht. Gute Autofahrer nehmen die Straße als geräumiger wahr, gute Baseballspieler den Ball als größer.

Wie Sie eingangs schon angedeutet haben, kann die Intuition auch ordentlich daneben liegen. Wann sollte man sie besser nicht einsetzen?

Arvid Leyh: Die verlässliche Intuition hat zwei mir bekannte Gegenspieler. Der eine ist das Gefühl der Verlässlichkeit – folge deiner inneren Stimme! – auch wenn sie gerade nicht so ganz weiß, wovon sie spricht. Wie besagter Robert Burton sagt: auch das feeling of knowing, das Gefühl des sicheren Wissens, ist nur ein Gefühl. Und auch das kann völlig daneben liegen. Dazu kommt dummerweise, dass der Mensch sich bevorzugt an Außerordentliches erinnert. Wenn die innere Stimme mal Recht hat, vergessen wir all die anderen Male, in denen sie daneben lag. Und wundern uns beim nächsten Mal ... Das zweite Problem der Intuition ist, dass auch ein weniger erwünschter Bewohner unseres Kopfes ihre Stimme benutzt: der innere Schweinehund. „Nein, heute fühle ich mich nicht nach joggen und ich muss meinen Gefühlen folgen“ ist kurzfristig harmlos. „Nein, mit dem Projekt wird das sowieso nichts, das spüre ich ganz deutlich“ ist schon kritischer zu betrachten. Wer kann schon sagen, ob eine entschlossene Sturheit nicht angebrachter gewesen wäre? Die Unterscheidung zwischen diesen beiden ist nicht einfach – und damit sind wir wieder bei der massiven Einarbeitungszeit.

Welche eigenen Erfahrungen haben Sie selbst gemacht?

Arvid Leyh: Mein Unbewusstes und ich haben dankenswerterweise ein sehr gutes Verhältnis. Das einfachste Beispiel ist vielleicht die Bestellung im Restaurant. Wenn ich mich nicht entscheiden kann, warte ich oft einfach ab, was ich dann bestellt haben werde. Wenn ich schreibe, bin ich eigentlich nicht da – aber das gehört ja zum Flow. Und wenn ich heute nicht weiß, wie ich entscheiden soll, weiß ich es meistens morgen. Um es mit einem Buchtitel von Dan Ariely zu sagen: „Denken hilft zwar, nützt aber nichts.“ Und wer zu lange über ein Problem nachdenkt, verkompliziert es auch oft. Das Gegenteil ist – wie immer – genauso wahr.

Welche Tipps würden Sie anderen Personen zu diesem Thema geben?

Arvid Leyh: Schlafen, immer eine Nacht drüber schlafen. Und meditieren. Denn neben allen anderen wunderbaren Effekten auf das Gehirn bringt Meditation – quasi im Nebeneffekt – eine gewisse Distanz zwischen sich und den ersten Impuls. Gleichzeitig vermindert sie das Rauschen im Gehirn, und die relevante Information lässt sich besser herausfiltern. Eben aufgrund dieses verminderten Rauschens würde ich drittens behaupten wollen, dass sich Intuition trainieren lässt. Klassisches Beispiel Autoschlüssel: Fragen Sie sich bewusst, wo Sie ihn wohl gestern Abend hingefeuert haben mögen, serviert Ihnen das Bewusstsein 2 hoch x Möglichkeiten aus dem Gedächtnis. Wer hier zu viel denkt, verlängert unter Umständen nur die Dauer der Suche. Aber es gilt wieder: eine zuverlässige Intuition braucht viel Training. Und eine gut gepflegte Datenbank.

:::::::::::::::::::::::::::::::::
Service-Tipp der Redaktion
:::::::::::::::::::::::::::::::::

Kostenloses Mini-Book zum Download
"Intuition - die unbewusste Intelligenz"

Lange Zeit wurde Intuition von der Wissenschaft als Gefühlsduselei abgetan. Andere suchten Zusammenhänge mit der Esoterik. Doch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen jedoch, dass hinter der Intuition komplexe Prozesse in unserem Gehirn ablaufen, die ganz ohne unser Zutun zu treffsicheren Entscheidungen oder guten Lösungswegen führen. Erfahren Sie in einem kostenlosen 16-seitigen Minibuch, wie Sie Ihre Intuition weiterentwickeln und diese gezielt nutzen können, um im Business erfolgreicher  zu agieren und  die bessere Entscheidungen  zu treffen.

Zur Downloadseite 

WEITERE INTERVIEWS
Weiterbildung im Verkauf 2008
Im Juni fand in Diegeo der ASTD-Kongress der „American Society for Training and Development“, dem ... mehr

WEITERE BEITRÄGE AUS DIESEM RESSORT
SUCHE
Volltextsuche





Profisuche
Anzeige
BRANCHENVERZEICHNIS
Branchenverzeichnis
Kostenlose Corporate Showrooms inklusive Pressefach
Kostenloser Online-Dienst mit hochwertigen Corporate Showrooms (Microsites) - jetzt recherchieren und eintragen! Weitere Infos/kostenlos eintragen
EINTRÄGE
Anzeige
PRESSEPORTAL
Presseportal
Presseforum Mittelstand - das kostenlose Presseportal
Kostenfreier Pressedienst für Unternehmen und Agenturen mit digitalen Pressefächern für integrierte, professionelle Online-Pressearbeit zum Presseportal
PR-DIENSTLEISTERVERZEICHNIS
PR-Dienstleisterverzeichnis
Kostenlos als PR-Agentur/-Dienstleister eintragen
Kostenfreies Verzeichnis für PR-Agenturen und sonstige PR-Dienstleister mit umfangreichen Microsites (inkl. Kunden-Pressefächern). zum PR-Dienstleisterverzeichnis
BUSINESS-SERVICES
© novo per motio KG