Seit 2009 sinkt die Zahl der Firmenpleiten in
Deutschland kontinuierlich, der stabilen Konjunktur sei Dank. Soweit die
gute Nachricht. Die schlechte: Trotz der positiven Tendenzen mussten im
vergangenen Jahr 24.549 Unternehmen Insolvenz anmelden, mehr als
100.000 Beschäftigte waren davon betroffen. Dabei scheiterten nicht nur
unerfahrene Jungunternehmer: Mehr als ein Drittel der Insolvenzen
entfielen auf Unternehmen, die schon mehr als zehn Jahre am Markt waren.
Nicht in jedem dieser Fälle hätte es so weit kommen müssen.
Turnarounds können Unternehmen, die sich in einer akuten
wirtschaftlichen Krise befinden, wieder in die Erfolgsspur bringen –
oder schon frühzeitig verhindern, dass es zur finanziellen Bedrohung
kommt: Bereits wenn der Unternehmenserfolg stagniert oder negative
Erfolgsprognosen im Raum stehen, ist es an der Zeit, sich über eine
Neuausrichtung Gedanken zu machen.
Bevor Sie mit der ersten
Phase des Turnarounds beginnen, müssen zwei Grundvoraussetzungen erfüllt
sein: Aufsichtsrat, Banken und Eigner müssen zu drastischen
Veränderungen bereit sein und dem verantwortlichen Manager einen
weitreichenden Entscheidungsfreiraum zugestehen; außerdem muss im
Unternehmen genug Restmasse zur Verfügung stehen, um die nächsten sechs
Monate zu überbrücken.
1. Probleme finden
Wenn Sie
mit der Arbeit beginnen, widerstehen Sie dem Impuls, jedes Problem
sofort perfekt lösen zu wollen. Die dringlichste Aufgabe lautet, die
Liquidität sicherzustellen und die wichtigsten Missstände aufzudecken;
für alles andere ist später Zeit.
Zunächst gilt es, die
Liquidität sicherzustellen und herauszufinden, an welchen Stellen das
Unternehmen Geld verliert. Kontrollieren Sie deshalb eine Zeitlang alle
Bestellungen, Rechnungen und Gutschriften, verschaffen Sie sich einen
Überblick über die Außenstände und Verbindlichkeiten und identifizieren
Sie Produkte, Dienstleistungen und Kunden mit negativer Marge. Ein
offenes Gespräch mit den Banken hilft zudem, verlorenes Vertrauen wieder
aufzubauen.
Im Bereich Vertrieb lohnt es sich, den bisher
angenommenen Marktanteil kritisch zu hinterfragen. Möglicherweise wurde
er schöngerechnet, schwierige Marktsegmente wurden bewusst ausgeklammert
oder das Potenzial von Großkunden unterschätzt. Dies ist eine gute
Nachricht: Sie müssen zunächst keine neuen Segmente erschließen, sondern
lediglich die Durchdringung steigern.
Als nächstes sollten Sie
den Kundenstamm und die Kundenzufriedenheit analysieren, sich einen
Überblick über die Effizienz des Vertriebs verschaffen und alle
vertraglichen Verpflichtungen erfassen – etwa ungewöhnlich lange
Kündigungsfristen von Distributionsverträgen oder Konventionalstrafen in
Liefer- und Betriebsverträgen. In einem konkreten Fall fand sich
beispielsweise ein Zehn-Jahres-Vertrag, der sich automatisch um jeweils
fünf Jahre verlängerte; der Vertriebsleiter hatte es nicht für nötig
befunden, die Geschäftsleitung darüber zu informieren. Solche Verträge
sollten Sie jetzt aufspüren, damit Sie später keine bösen Überraschungen
erleben.
Laufen Sie mehrfach durch die Produktion; sehen Sie
beispielsweise Mitarbeiter, die ständig Werkzeuge suchen oder der
Maschine bei der Arbeit zusehen, ist klar, dass die Abläufe nicht
reibungslos funktionieren. Überprüfen Sie anschließend, ob sich im Lager
Überbestände oder veraltete Produkte befinden und wie diese bewertet
werden. Es ist erstaunlich, was dabei zutage treten kann: In einem Fall
wurden Ersatzteile zum Neuwert geführt, obwohl die dazugehörigen Anlagen
längst nicht mehr in Betrieb waren. In einem anderen Fall wurden
unverkäufliche, kurze Stücke Elektrokabel als Meterware geführt; das
ERP-System bildete einfach die Summe. Und auch eine Null zu viel in den
Büchern oder Zahlendreher wie „91“ anstelle von “19“ sind häufiger zu
finden als gedacht.
Verschaffen Sie sich einen Überblick über
die Personalsituation, die Gehaltsstruktur, Verträge, Sonderregelungen
und Betriebsvereinbarungen sowie unkündbare und schwerstbehinderte
Mitarbeiter.
Überprüfen Sie auch, ob sich ausgelagerte
Tätigkeiten sinnvoll wieder ins Unternehmen zurückzuholen lassen;
möglicherweise können diese Tätigkeiten ein Beschäftigungspolster
bilden, welches das Unternehmen bis zu Beginn der Wachstumsphase nutzen
kann.
2. Aufräumen
In der zweiten Phase des
Turnarounds beginnen Sie, die entdeckten Probleme zu neutralisieren und
den Cash-Drain zu stoppen. Voraussetzung dafür ist, dass jeder Manager
regelmäßig seine Bestellungen, Rechnungen, Außenstände,
Verbindlichkeiten und Verträge offenlegt – etwa in einem Cash
Desk-Meeting.
Reduzieren Sie Außenstände; notfalls verleiht ein
Inkasso-Service oder ein Lieferstopp Ihren Forderungen Nachdruck.
Verhandeln Sie mit den Lieferanten über günstigere Einkaufspreise und
längere Zahlungsziele, und vergleichen Sie verschiedene Angebote. Dabei
sollten Sie die Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und Banken stets auf
dem Laufenden halten.
Da künftig jedes einzelne Produkt Gewinn
erzielen muss, stehen sehr wahrscheinlich Preiserhöhungen ins Haus.
Setzen Sie diese schnell und konsequent um, selbst wenn (vorübergehend)
einzelne Kunden abspringen; in der aktuellen Situation steht die
Verringerung des Cash-Drains an erster Stelle.
Als nächstes
sollten Sie Überbestände und veraltetes Material verkaufen, die
Verfügbarkeit der kritischen Anlagen erhöhen, Liefer- und
Qualitätsprobleme lösen und alle Produkte einstellen, die keine
ausreichende Marge generieren.
Finden Sie heraus, wie Sie dem
Innen- und Außendienst helfen können, effizienter zu arbeiten. Stellen
Sie außerdem sicher, dass Ihr Webshop leicht zu bedienen und mit dem
ERP-System verbunden ist, Ihr Verkaufsförderer die notwendigen
Fachkenntnisse und Kontakte hat und Ihre Distributionspartner zur
Wertschöpfung beitragen.
Sie sollten nicht nur die Finanzen
aufräumen lassen, sondern auch den Betrieb. Das ist alles andere als
vergeudete Zeit: Ihre Mitarbeiter kommen so wieder in Schwung, können
sichtbare Veränderungen bewirken und finden alle Werkzeuge und Maschinen
einsatzbereit genau dort vor, wo sie sie benötigen.
Und: Machen
Sie Ihren Mitarbeitern klar, dass jeder Einzelne bei der Rettung des
Unternehmens mitwirken und ggf. kurzfristig andere Aufgaben übernehmen
muss. Bauen Sie Personal nur als letzte Option ab; vielleicht gibt es
Freiwillige, die – gegen eine befristete Arbeitsplatzgarantie – eine
Zeitlang weniger arbeiten möchten. Wenn es trotz aller Bemühungen nicht
anders geht: Bauen Sie möglichst nur einmal und schnell ab, und
verhindern Sie ein „Schrecken ohne Ende“; wer ständig darüber nachdenkt,
wer als nächstes gehen muss, kann keine volle Leistung bringen.
3. Das Unternehmen stabilisieren
Haben
Sie die ersten zwei Phasen des Turnarounds gemeistert, besteht eine
echte Chance auf Erfolg. Die Bilanz sollte die Verbesserungen bereits
widerspiegeln. Führen Sie eine einfache Kostenrechnung ein; gruppieren
Sie die Aktivitäten und legen Sie Stundensätze fest, anschließend fahren
Sie die neue Kalkulation gegen die alte.
Überkapazitäten sollten
Sie nicht nur finanzieren, sondern auch nutzen, um in Folge schnell
konsolidiert wachsen zu können. Als Qualitätsführer können Sie nun
beginnen, Ihre Alleinstellungsmerkmale offensiv zu vermarkten –
idealerweise, indem Sie die Mund-zu-Mund-Propaganda durch zufriedene
Kunden und Geschäftspartner stärken. Dafür eignen sich beispielsweise
Informationsveranstaltungen für nicht konkurrierende Kundengruppen.
In
dieser Phase sollten Sie zudem daran arbeiten, die Auftragsabläufe zu
optimieren und eine schnelle, schlanke und kosteneffiziente Fertigung
aufzubauen. Lassen Sie Ihr Team jedes Lieferproblem genau analysieren
und endgültig beseitigen, vereinfachen Sie Ihre Produkte und stellen Sie
diejenigen ein, deren Qualitätsprobleme nicht zu lösen sind.
Für
Ihre Mitarbeiter können Sie nun flächendeckendes Crosstraining
einführen, um eine größere Flexibilität zu schaffen. Neue Positionen
sollten Sie aus den eigenen Reihen besetzen: Wer sich in den
vergangenen, schwierigen Monaten bewährt hat, verdient diese Chance.
4. In bestehenden und neuen Marktsegmenten wachsen
In
der letzten Phase des Turnarounds können Sie Ihre Kapazitäten voll für
das Wachstum des Unternehmens einsetzen. Waren die früheren Probleme in
erster Linie selbst verschuldet, können Sie im bestehenden Geschäft
wachsen; ist dagegen das Marktpotenzial gesunken, etwa durch radikale
Innovationen oder Markteinbrüche, ist es nun an der Zeit, die
Diversifizierung voranzutreiben.
Akquisitionen sind übrigens in
den seltensten Fällen eine gute Idee. Ist das andere Unternehmen nicht
komplementär zu Ihnen aufgestellt, entstehen Redundanzen bei Produkten,
Vertriebskanälen, Werken und im Management – und es gelingt selten,
frühere Konkurrenten zu vertrauensvollen Partnern zu machen.
Um
den Vertrieb anzukurbeln, müssen Sie die Bedürfnisse und die
Kaufkriterien Ihrer Zielgruppe genau kennen. Schicken Sie deshalb Ihre
Entwickler und Applikationsspezialisten mehrfach zu bestehenden und
potenziellen Kunden; mit Ihrem Vorsprung an Wissen erhalten Sie die
Chance auf wirkliche Innovation und Differenzierung.
Zu guter
Letzt: Werden Sie Dienstleistungsführer! Da Service-Aufgaben immer mehr
an externe Partner vergeben werden, besteht hier ein großes
Wachstumspotenzial. Konzentrieren Sie sich dabei auf die mittleren und
kleinen Kunden; hier können Sie abseits von Preiskämpfen gute Margen
erzielen.