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Fachartikel, 14.09.2009
Bundestagswahl
Auf der Suche nach der richtigen Zukunft
Nun steht sie unmittelbar bevor, die große Entscheidung – die Bundestagswahl. Und es geht – wie immer – um nichts Geringeres, als um die Zukunft unseres Landes. Wir haben nicht nur die Kraft, sondern die Macht des Votums, für wenige Augenblicke zumindest, für die Zeit in der Wahlkabine.

Was in den Wahlkabinen am 27. September 2009 wirklich passieren wird, wissen wir nicht. Auch die Wahlforscher nicht, weshalb das Orakeln um den möglichen Wahlausgang auf Hochtouren läuft. Nach den gängigen Prognosen ergibt sich ein klarer Trend: CDU/CSU rangieren bei einem Wert um 35%, die SPD kommt auf rd. 20% – 25%, FDP und Grüne liegen bei jeweils 12% – 14%, die Links-Partei könnte sogar über 10% erreichen und der Rest entfällt auf die üblichen Sonstigen. Bei aller Ungewissheit von Vorhersagen wird sich eine Entwicklung bestätigen: Die großen Volksparteien verlieren, die kleinen Parteien legen zu, es kommt zu keinen klaren Mehrheitsverhältnissen, Koalitionen und Kompromisse sind die Folge.

Ein Jammer, werden die Parteistrategen anschließend sagen, hat man sich doch eben um Masse bzw. um die Mitte der Wähler hinreichend bemüht. Doch das Ende der eindeutigen Mehrheiten ist ein Zeichen der Zeit. Und kein Signum fehlender politischer Stärke.   

Dass Parteien heute überhaupt massentauglich sein können, liegt nicht mehr an ihrem scharfen Profil. Nein – das Gegenteil ist der Fall: Eine differenzierte Gesellschaft (wie die unsere) zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass es keine eindeutigen Mehrheiten mehr gibt, sondern eine hohe Komplexitätsschicht aus heterogenen Interessen und unterschiedlichen Strömungen. Heißt für die Politik: Keine Partei ist in der Lage, die Differenzierung der Gesellschaft in einem kompakten, einheitlichen Profil abzubilden. Bedeutet für die Parteien: Wollen sie möglichst viele Wähler ansprechen, müssen sie sich ent-profilieren. Das tun sie eigentlich bereits, zumindest CDU und SPD machen das, auch die Grünen, während sich die FDP bemüht, sich selbst ein Stück weit treu zu bleiben. Die Regierungsparteien geben sich dieser Entwicklung nicht gerne hin, sondern handeln aus Koalitionszwang und politischem Pragmatismus. Lieber wäre ihnen, Kante zu zeigen – aus einem historischen, aber überholten Prestigeverständnis. Wer hingegen mit der Ent-Profilierung liebäugelt, nutzt sie noch falsch: Man will niemandem wehtun und jedem gefallen – Ent-Profilierung wird so wiederum zum Profil und funktioniert nicht.

Ob die Parteien wollen oder nicht, die Ent-Profilierung ist bereits überall wirksam: Wahlprogramme sind zwar noch das, was sie immer waren - Idealvorstellungen. Aber sie repräsentieren mittlerweile keine Profilierungsbelege mehr – die Ähnlichkeit zwischen den Konzepten ist zu groß geworden. Und soviel Ent-Profilierung ist schon Realität: Es geht den Parteien heute vielmehr darum, möglichst breit angelegte Zukunftsappelle zu formulieren, statt sich mit klaren Ideologien abzugrenzen. Wie schon angedeutet: Abgrenzung bedeutet in einer differenzierten Welt auch mögliche Ausgrenzung. Dieses Risiko will keine Partei eingehen. Außer vielleicht der Links-Partei, die mit ihrer inszenierten Ausgrenzung mittels der Beschwörung sozialromantischer Utopien, sich auf einem inselartigen, staatsparadiesischen Gegenstatus zum politischen Establishment domiziliert hat.

Aber, wie gesagt, wir brauchen keine Angst zu haben: Das Fehlen klarer Profile ist kein Ausdruck herrschender Themenverarmung, wie es viele Politbeobachter befürchten. Sondern wir erleben lediglich die Indizien eines strukturellen Wandels der parteipolitischen Imagebildung. Die Ent-Profilierung wird zwar nach wie vor vordergründig bekämpft, ist aber bereits voll im Gang - und Parteien liegen damit (bewusst oder unbewusst) genau im Trend, auch wenn man das kaum glauben mag.

Wonach sollen sich Wähler dann richten?

Tja, das ist das Dilemma mit der Differenzierung – jeder Einzelne sucht in der Parteienlandschaft nach der Reflexion seiner momentanen, individuellen Interessen und hat das Gefühl, nicht wirklich fündig zu werden. Was er auch nicht kann, denn einfache und klare Richtungen kommen in einer komplexen, vielschichtigen Welt nicht mehr vor. Und keiner Partei ist es in einem so hoch unterschiedlichen Umfeld möglich, einen ideologischen oder wie auch immer gearteten Massengeschmack zu treffen - es gibt ihn nicht. Vielleicht nur noch im Gewand eines kurzen Skandals. Doch Blitzaufreger, wie Dienstwagen oder Party im Kanzleramt, sind schnell wieder vergessen.  

Heißt das nun, dass wir Bürger nach gut Dünken wählen und dass irgendeine zusammengewürfelte, sprich beliebige Regierung dann das anfallende Tagesgeschäft bürokratisch abarbeitet? So einfach ist es allerdings nicht – weder für die Parteien noch für uns Wähler.

Die Parteien brauchen andere Alleinstellungsmerkmale als Ideologien, soviel ist klar in einer offenen, hypervernetzten und zugleich superdifferenzierten Welt. Und wir Bürger müssen akzeptieren, dass es zunächst an uns selbst liegt, wenn keine klaren Mehrheiten zustande kommen. Es ist einer der Preise, die wir für Individualität bezahlen. Und wir müssen darüber hinaus lernen, dass es in einer komplexen Welt keinen „einzig richtigen Weg zur Zukunft“ gibt.

Nein, die Wege zur Zukunft sind extrem vielschichtig geworden – was uns alle zu mehr Flexibilität, Offenheit und Vielseitigkeit auffordert. Die Zukunft liegt in einer neuen Form des Konsenses – es geht nicht mehr darum, den kleinsten, gemeinsamen (Interessens-)Nenner auszuhandeln, sondern das Verbindende zu suchen. Damit entstehen neue Mehrheiten und etwas, was wir alle in der Politik suchen – Verbindlichkeit.

Wer also Mehrheiten sucht, wird sie nur finden, wenn es gelingt, eine besondere Form der emotionalen Verbundenheit auszulösen. Das gilt für Parteien wie für Unternehmen gleichermaßen. Nicht nur das: In der künftigen Tagespolitik wird es ohnehin darum gehen, in einer schnellen Welt auf rasch eintretende Situationen unmittelbar reagieren zu können. Was nicht mit blindem Aktionismus zu bewerkstelligen ist. Im Gegenteil: Je kurzfristiger unser Globus sich entwickelt, desto weitsichtiger müssen gesellschaftliche Visionen angelegt sein.

Tja, Visionen – das wären vielleicht die anderen, neuen Alleinstellungsmerkmale für Parteien. Visionen, die eine politische, will sagen: mentale Vorstellung einer möglichen Zukunft vermitteln. Damit erreichten wir eine neue Qualität von Perspektiven. Und in die wäre besser investiert, als in den permanenten Versuch, Zukunftsängste mit möglichst breiten Profilierungskonzepten, will heißen: vollmundigen Versprechungen, betäuben zu wollen.

Ja, mit Visionen könnte man auch der herrschenden Orientierungslosigkeit begegnen. Denn Unsicherheit ist das Ergebnis eines Mangels an Perspektiven. Und Visionen könnten die angesprochene, emotionale Verbundenheit auslösen – gäbe es doch so etwas wie ein kollektives Ziel. Freilich, diese Visionen müssten ideologiefrei daherkommen. Dann wären sie Markenzeichen.

Markenzeichen?

„Wir wollen Parteien doch nicht zu kommerziellen Marken machen“, entgegnete mir ein Diskussionspartner auf einem Forum zur Zukunft der Politik. „Nein“, erwiderte ich, „Marken sind für mich keine kommerziellen Symbole mehr, sondern Botschaften an die Zukunft. Und bitte: Unternehmen und Parteien haben eines gemeinsam – es geht nicht mehr um Gewinne und Siege, sondern ihr Engagement gilt der Verbesserung, Kultivierung und Weiterentwicklung der Gesellschaft.“    

Wer also die aktuellen Wahlprogramme wirklich substanziell prüfen möchte, sollte nicht nach irgendwelchen, verwässerten Profilen suchen, sondern nach ideologiefreien Visionen und nachhaltigen Perspektiven forschen. Das wäre schon ein Anfang für eine Neuorientierung.

Eines sollten wir uns an dieser Stelle allerdings nochmals bewusst machen – auch die Umsetzung von global ausgerichteten, ganzheitlich angelegten und ethisch orientierten, sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Visionen würde in unserem komplexen Zeitalter evolutionär und vielschichtig verlaufen, will heißen: Schritt für Schritt, weder einfach noch eindeutig, nicht geradlinig und kontinuierlich.

Die Architektur der Zukunft ist zu vergleichen mit einem unendlich offenen, 4-D-Puzzle, das nicht nur unvollendet, sondern zudem permanent in Bewegung ist. Jeder hat in seiner Zeit die Chance, ein Stück daran zu bauen. Wir sollten dabei erkennen, dass der Bau jeden angeht, dass jeder seinen individuellen Blickwinkel besitzt und doch mit jedem anderen in Verbindung steht. Dass wir gemeinsam und nicht isoliert an einem ebenso universalen wie einzigartigen Werk arbeiten. Schon alleine deshalb sollten wir zur Wahl gehen. Damit ein vielschichtiges Ergebnis dabei herauskommt. Und kein beliebiges.   

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Über Oliver W. Schwarzmann
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Oliver W. Schwarzmann ist ehemaliger Banker und widmet sich als Vordenker und Publizist seit über 15 Jahren ökonomischen Zukunftsthemen. Als Gründer des Instituts für Zukunftskonditionierung und Initiator der Future Business ...
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