Zum Fall: Eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin war seit 1979 bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. Wegen verschiedener chronischer Erkrankungen fehlte sie seit 1984 durchgängig mehr als 50 und häufig auch mehr als 100 Arbeitstage im Jahr. Um ihren Gesundheitszustand zu verbessern, nahm die Arbeitnehmerin im November und Dezember 2005 an einer Rehabilitationsmaßnahme teil. Dennoch sprach ihr der Arbeitgeber am 17.2.2006 die Kündigung aus. Da die Mitarbeiterin ordentlich nicht kündbar war, tat er dies im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen. Die Auslauffrist sollte bis zum 30.9.2006 laufen.
Die Mitarbeiterin hielt die Kündigung für ungerechtfertigt. Seit ihrer Reha-Maßnahme habe sich ihr Gesundheitszustand deutlich gebessert. Aus diesem Grund sei künftig auch mit keinen überdurchschnittlichen Fehlzeiten mehr zu rechnen. Als Beweis führte sie an, dass Sie dass sie seit neun Monaten (mit Ausnahme einer kurzeitigen Erkrankung wegen eines grippalen Infekts) nicht mehr arbeitsunfähig krank gewesen sei. Die Klage hatte sowohl vor dem Arbeitsgericht als auch vor dem Landesarbeitsgericht Erfolg. Die Kündigung wurde aufgehoben.
In ihrer Urteilsbegründung verwiesen die Richter darauf, dass es an einer negativen Prognose für die Zukunft fehle. Eine solche „negative Prognose“ aber ist zwingend Voraussetzung für eine Kündigung aus Krankheitsgründen. Im Klartext: Können Sie als Arbeitgeber nicht mit hoher Sicherheit voraussehen, dass die weit überdurchschnittlichen Fehlzeiten auch in Zukunft auftreten, können Sie keine Kündigung wegen Krankheit aussprechen!
Im Urteilsfall hat der Arbeitgeber schlichtweg den falschen Zeitpunkt für den Ausspruch seiner Kündigung gewählt. Hätte er das ein Jahr vorher getan, als die Arbeitnehmerin noch an keiner (erfolgreichen) Reha-Maßnahme teilgenommen hatte, wäre aufgrund der Tatsache, dass seit Jahren hohe Fehlzeiten auftreten, die Kündigung mit hoher Wahrscheinlichkeit „durchgegangen“.
So aber hatte die Mitarbeiterin – bestätigt durch ein ärztliches Gutachten - das Ziel der Reha, eine erhebliche Gewichtsreduzierung sowie eine Kräftigung der Muskulatur, tatsächlich erreicht. Und die Tatsache, dass in den folgenden neun Monaten nur wenige krankheitsbedingte Fehlzeiten auftraten, deutet eindeutig darauf hin, dass zumindest in absehbarer Zeit keine negative Prognose mehr zu treffen ist.
Krankheitsbedingte Kündigung – worauf Sie achten sollten
Wenn Sie eine Kündigung wegen Krankheit (also personenbedingt) aussprechen wollen, müssen Sie diese Kündigung Schritt für Schritt rechtssicher vorbereiten. Denn die Arbeitsgerichte (und auch das Integrationssamt, wenn es wie in diesem Fall um eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin geht), prüfen in drei Stufen, ob Ihre Kündigung rechtens war bzw. ist:
1. Stufe: Negative Gesundheitsprognose
Um sozial gerechtfertigt zu sein, setzt eine krankheitsbedingte Kündigung immer eine negative Gesundheitsprognose voraus. Dafür müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die erhebliche Leistungsminderung oder Leistungsunfähigkeit weiter andauern.
Hinweis: Für den Umfang der Leistungsminderung sind Sie als Arbeitgeber darlegungs-
und beweispflichtig. Sie müssen vor Gericht Anhaltspunkte vortragen, die den Grad der Leistungsminderung nachvollziehbar erscheinen lassen. Sammeln Sie hierzu alle Beweise. Stundenzettel, Krankmeldungen, Feedback von Kollegen usw.
2. Stufe: Beeinträchtigung betrieblicher Interessen
Durch die krankheitsbedingte Leistungsminderung oder Leistungsunfähigkeit muss es zu erheblichen Beeinträchtigungen Ihrer betrieblichen Interessen kommen. Diese können auf gravierende Störungen im Betriebsablauf oder auf die Höhe der zu leistenden Entgeltfortzahlung gestützt werden.
Vorsicht! Auf betriebliche Beeinträchtigungen können Sie sich dagegen nicht berufen, wenn Sie dem betroffenen Arbeitnehmer einen „leidensgerechten“ Arbeitsplatz zuweisen können, bei dem sich seine gesundheitlichen Einschränkungen nicht auswirken.
3. Stufe: Interessenabwägung
Schließlich ist eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen. Ihre Kündigung ist nur dann wirksam, wenn Ihr Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Interesse Ihres Arbeitnehmers überwiegt.
Achtung! Denken Sie daran, dass Sie gemäß § 84 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IX verpflichtet sind, ein betriebliches Eingliederungsmanagement einzuleiten, sobald ein Mitarbeiter von Ihnen innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist. Tun Sie das nicht, können das die Arbeitsgerichte bei der Interessenabwägung zu Ihren Ungunsten werten.
In eine Interessenabwägung bei einer krankheitsbedingten Kündigung fließen die unterschiedlichsten Aspekte mit ein. Nachfolgend ein Überblick, welche Punkte Sie in jedem Fall beachten sollten.
Zu Ihren Gunsten wirkende Umstände:
Gründe, die gegen eine krankheitsbedingte Kündigung sprechen:
Außerdem zu berücksichtigende Umstände:
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