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Fachartikel, 17.08.2018
Erfolgsfaktor Collaboration
Mit kollegialer Beratung zur agilen Organisation
Wandlungsfähigkeit und eine Unternehmenskultur der kontinuierlichen Verbesserung werden für Unternehmen immer erfolgsentscheidender. Gefragt ist die Entwicklung von Unternehmen zur agilen, lernenden Organisation, in der der Wandel und die bereichsübergreifende Zusammenarbeit („Collaboration“) fester Bestandteil des Unternehmensalltags ist. Ein Instrument, das die Agilität in Unternehmen fördert, ist die kollegiale Beratung.

Johannes Riester (Name von der Redaktion geändert) arbeitet als Montageleiter für einen mittelständischen, Export orientierten Anlagenbauer. In einem Gespräch stellt er seinen drei Kollegen aus dem Vertrieb, der Produktentwicklung und dem Kundendienst sein Anliegen vor: Die Monteure seiner Abteilung arbeiten über Wochen, teilweise Monate hinweg, weltweit an „schwierigen“ Baustellen unter herausfordernden Arbeitsbedingungen mit Menschen fremder Kulturen zusammen. Sein Problem: Es sind immer die gleichen Mitarbeiter, die sich vor diesen Einsätzen drücken, obwohl die Bereitschaft zu weltweiten Einsätzen in ihren Verträgen festgeschrieben ist. Gerade für den asiatischen Raum findet er nur schwer Mitarbeiter…

Die drei Kollegen haben zugehört, viele Fragen gestellt, das Anliegen analysiert und schließlich ihre Ideen eingebracht: Wer könnte den Montageleiter in der Organisation unterstützen, welche Argumente könnten im Gespräch mit den unwilligen Monteuren förderlich sein? Ein Kollege macht einen besonders hilfreichen Lösungsvorschlag: Der Montageleiter könnte einen Workshop mit seinen Mitarbeitern veranstalten und folgendes erfragen: Was fällt Euch vor Ort schwer, was leicht? Welche Unterstützung braucht ihr von mir und von dem Unternehmen, damit ihr schwierige Einsätze machen könnt? Diese Handlungsoption, das Gespräch zu seinen Mitarbeitern zu suchen und sie zu beteiligen, will der Montageleiter ausprobieren.

 Viele Köpfe sind weiser

Was auf den ersten Blick wie ein Rollenspiel in einem Training anmutet, ist in Wirklichkeit ein strukturierter Kollegen-Austausch – eine sogenannte kollegiale Beratung, bei der es darum geht, das Expertenwissen von Kollegen zu nutzen, die „near the job“ Ratschläge aus ihrem Blickwinkel geben. Das Konzept dahinter: Der Ratsuchende (Fallgeber) entwickelt für sein konkretes berufliches Problem Lösungen. Die Kollegen als interne Berater lernen aktiv zuzuhören und wirkungsvolle Fragen stellen, die beim Fallgeber eine Reflexion auslösen sollen. Die Beratungsmethode, die meist in einer Gruppe von fünf bis zehn Personen stattfindet, folgt einer klar strukturierten Systematik mit fest gelegten Prozessschritten (siehe "Strukturierter Prozess in sieben Phasen").

Ein steigendes Interesse an dem Format zeigt sich sowohl bei KMU´s als auch bei Großunternehmen, die einen kulturellen Wandel hin zum „Wir“ vollziehen wollen. Im Zuge zunehmender Projektarbeit in wechselnden Teams und komplexer Arbeitsprozesse wird die Teilung und Streuung des Wissens über Hierarchie- und Abteilungsebenen hinweg wichtiger – zusätzlich befeuert durch die Digitalisierung, die kooperatives Arbeiten fordert und fördert. „In einer digitalisierten Arbeitswelt hat das Erfahrungswissen einen großen Wert. Der Wissensaustausch kann allerdings nicht von oben verordnet werden. Es braucht ein Format, das es Mitarbeitern ermöglicht, sich in ihrer sozialen Umgebung vertrauensvoll zu unterstützen und Lösungswege selbstständig zu erarbeiten“, sagt Peter Dehnbostel, Professor für Weiterbildung und Betriebliches Bildungsmanagement an der Deutschen Universität für Weiterbildung in Berlin.

Wertvoll für die agile Zusammenarbeit

Eingebettet in einen Kulturveränderungsprozess ist die Methode insbesondere für die agile Zusammenarbeit eine gute Vorbereitung. Gerade mittelständischen Unternehmen, die künftig stärker auf Partizipation und den abteilungsübergreifenden Wissensaustausch setzen wollen, kommt das interaktive Lernen entgegen. Wichtige Voraussetzung hierfür: Es muss ein gemeinsames Führungsverständnis vorhanden sein, welches in vorgelagerten Workshops entwickelt wurde. Ziel ist eine neue Führungskultur, die auf Vertrauen basiert und Mitarbeiter dazu veranlasst, das Erfahrungslernen in der Gruppe eigeninitiativ zu steuern.

Was ist der Nutzen der Beratung unter Kollegen für Führungskräfte beziehungsweise Wissensarbeiter? Aufgrund sich stetig verändernder Prozesse brauchen sie oftmals ad-hoc eine Antwort auf ein individuelles komplexes Problem. Auch zur Reflexion der eigenen Führungsrolle und bei Verhaltensunsicherheiten ist das vielseitige Werkzeug geeignet. Weniger angebracht ist es dagegen bei persönlichen Themen, bei denen es darum geht, das eigene Verhalten zu reflektieren oder auch eigene Blockaden zu überwinden. Diese Themen gehören eher in die Hände eines professionellen Coachs.

Was das Gelingen fördert

Trotz vieler Vorteile ist das soziale Lernformat kein Selbstläufer. Grundsätzlich muss Vertrauen und eine Offenheit unter den Teilnehmern vorhanden sein, Wissen zu teilen und ehrlich über Schwierigkeiten zu sprechen. Für uns als Berater gilt es zu schauen, ob die Unternehmenskultur weit genug entwickelt ist, damit die Methode auch fruchtet. Generell kann die kollegiale Beratung in hierarchischen Unternehmenskulturen, die weniger auf Partizipation und vielmehr auf Einzelkämpfertum und starkem Wettbewerbsdenken ausgerichtet sind, nur schwer gedeihen.

Weitere Voraussetzungen, die das Gelingen fördern: Das Commitment der Unternehmensleitung, dass sich heterogene, abteilungsübergreifende Teams bilden, die gemeinsam an Problemlösungen arbeiten. Dabei gilt: umso bunter die Gruppe in Bezug auf Geschlecht, Fachwissen und Erfahrung ist, umso gewinnbringender kann der Wissensaustausch sein. Trotzdem ist das Format für die Beteiligten herausfordernd. Für diejenigen, die im Prozess als interne Berater fungieren, ist der Perspektivwechsel eine gute Übung: sie müssen quasi in die Schuhe eines anderen schlüpfen. Dass sie als Berater nicht sofort die eine Lösung parat haben müssen, ist für viele ein Lernprozess.

Zur Einführung der kollegialen Beratung ist eine Begleitung durch einen externen Berater sinnvoll. Dieser unterstützt beim Aufbau der Methodenkompetenz und Rollenklärung in der Gruppe. Dazu zählen zum Beispiel Neutralität wahren, Bewertung herausnehmen, sich an Struktur und Zeiten halten und am Thema bleiben statt endloser Diskussionen. Wichtig ist, den Teilnehmern im Laufe des Prozesses zu spiegeln, welche Teilerfolge sie erreicht hat. Das erhöht die Motivation und das Selbstvertrauen der Beteiligten, auch außerhalb der Gruppe gewonnene Erkenntnisse durchzusetzen.

Wurde der Selbstlernprozess erfolgreich initiiert, sollte die jeweilige Gruppe selbst einen Modus für weitere, möglichst regelmäßige Beratungsrunden festlegen. Die Erfahrung zeigt: Gerade in technisch orientierten Unternehmen kommt der strukturierte Prozess mit genau fest gelegten Schritten gut an, auch weil die einzelnen Phasen jeweils nicht länger als fünf bis zehn Minuten bei einer Gesamtlaufdauer von 60 Minuten dauern. In dieser Hinsicht ergänzt die kollegiale Beratung auch andere agile Formate wie zum Beispiel kurze Stand-up-Meetings. Für den Veränderungsprozess hat die Methode zudem einen weiteren wichtigen Wert: sie unterstützt das innere Wachstum der Unternehmenskultur.

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Strukturierter Prozess in sieben Phasen
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Phase 1: Rollenverteilung

Wer bringt den Fall ein, wer berät und wer moderiert?

Phase 2: Die Schilderung des Anliegens

Der Moderator – das sollte zu Beginn ein externer Berater und bei weiteren Treffen ein Gruppenmitglied sein  – erläutert die Gesprächsregeln. Der Fallgeber schildert sein Anliegen: Wie stellt sich die Situation aus seiner Sicht dar? Die Kollegen als interne Berater hören aufmerksam hin. Nachfragen sind in dieser Phase nicht erlaubt. Im Anschluss stellt der Fallgeber seine Schlüsselfrage.

Phase 3: Das Interview

Die Beratergruppe hat nun die Möglichkeit, durch Verständnisfragen eigene Informationslücken zu schließen. Ratschläge und Bewertungen sind in dieser Phase nicht erlaubt.

Phase 4: Hypothesenbildung und Perspektivenwechsel

Nun folgt eine wesentliche und für den Erfolg oft entscheidende Prozessphase: Die Berater analysieren den Fall, äußern Vermutungen, Eindrücke und Erfahrungen. Sie nehmen die Perspektive des Fallgebers ein und stellen Hypothesen auf, wie eine solche Situation aus ihrer Sicht entstehen konnte. Der Fallgeber hört aufmerksam hin. Der Moderator achtet darauf, dass es keine Diskussion gibt und schreibt die Hypothesen sichtbar auf.

Phase 5: Stellungnahme des Fallgebers zu den Hypothesen

Der Fallgeber nimmt zu den geäußerten Hypothesen Stellung, d.h. er schildert, ob sie bzw. in welchem Umfang sie zutreffen oder auch nicht. Entsprechend kann er sie annehmen, korrigieren oder auch verwerfen. Die Berater hören zu, stellen sich auf die Sichtweise des Fallgebers ein und korrigieren ggf. eigene Hypothesen.

Phase 6: Lösungsvorschläge

Die Berater erarbeiten Lösungsvorschläge. Sie beschreiben, wie sie konkret vorgehen würden; der Fallgeber hört intensiv hin. Der Moderator hält die Vorschläge für alle sichtbar fest und achtet auf die Regel, dass keine Diskussion entsteht. Die Lösungsvorschläge haben den Charakter eines Angebots an möglichen Handlungsoptionen.

Phase 7: Entscheidung und Austausch

Der Fallgeber kommentiert die Lösungsvorschläge. Er entscheidet sich für eine Handlungsoption und erläutert, wie er diese umsetzen möchte. Die Berater hören zu und enthalten sich erneut jeglicher Bewertung. Abschließend reflektieren die Beteiligten den Prozess, sowohl inhaltlich (Was nehmen alle Beteiligten mit?) als auch methodisch (Wie ist es gelaufen?). 

Bild: StartupStockPhotos / pixabay; Lizenz: CC0 Creative Commons

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