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Fachartikel, 16.11.2009
Industriestandorte
Konfliktlösung rechnet sich
Bürgerproteste gegen Industrieanlagen nehmen zu. Die ehemals vorhandene Bindung an die Industrie hat nachgelassen, und Widerstand lässt sich heute viel einfacher organisieren als früher. Doch wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind, akzeptiert die Mehrheit der Bürger die Industrie vor ihrer Haustür.

Dass sich der Unmut von Bürgern über Industriebetriebe oder -neuansiedlungen, zusätzliche Verkehrswege oder unzumutbaren Lärm- und Schadstoffausstoß hörbar Luft verschafft, ist längst keine Seltenheit mehr. Besonders häufig finden sich die Anlässe für Bürgerproteste in Nordrhein-Westfalen, wo vor allem in den Ballungsgebieten auf engstem Raum über 17.000 Industrieunternehmen ansässig sind. Dazu zählen 64 große, weltweit bekannte Konzerne ebenso wie tausende kleiner und mittelständischer Betriebe.

Allein im Raum Dortmund zählten Beobachter im Frühjahr 2009 fast 15 Beispiele für Anwohnerproteste gegen Unternehmenserweiterungen, gewerbliche Neubauten bzw. Neuansiedlungen sowie für mehr Lärmschutz an Straßen, Bahntrassen und im Flughafenbereich. Die Ursachen für dieses erhöhte Protest-Aufkommen sind vielfältig. Da wäre zum einen die zunehmende Bebauung, die Arbeits- und Wohnorte näher zusammenrücken lässt. Aber auch die fehlende Einsicht in den Nutzen beispielsweise einer geplanten Industrieansiedlung für das Gemeinwohl. Es ist viel selbstverständlicher, sich mit Industrie zu identifizieren, wenn diese der eigenen Familie den Lebensunterhalt über einen entsprechenden Arbeitsplatz sichert. Diese sehr elementare Bindung an die Industrie ist allerdings mittlerweile in weiten Teilen der Bevölkerung verloren gegangen.

Hinzu kommt die Möglichkeit, die eigenen Positionen durch neue Medien wie Internet, Weblogs und Twitter schneller zu verbreiten und den Widerstand leichter zu organisieren als früher. Deshalb sollte aufkommender Unmut anlässlich einer industriellen Neuansiedlung bzw. Erweiterung oder bei Infrastrukturvorhaben, die die unmittelbare Nachbarschaft betreffen können, von vorneherein ernst genommen werden. Auch eine kleine Bürgerinitiative kann heute eine große Wirkung entfalten.

Nicht „auf die harte Tour“ vorgehen

Doch das muss nicht zwangsläufig so sein. Professionelle Berater können selbst bei einer drohenden Eskalation Konfliktlösungen außerhalb rechtlicher Verfahren aufzeigen, maßgeschneiderte Beteiligungskonzepte entwickeln und Wege aus Krisensituationen finden. Ein solch dialogorientierter Weg ist allerdings nicht nur moralisch erstrebenswert. Vielmehr geht es dabei außerdem um die bezifferbaren so genannten Konfliktkosten, die es mit sich bringt, wenn ein Streitfall „auf die harte Tour“ durchgezogen wird.

Etwa den Aufwand für Bau, Planung, Bürgerinformation. Hinzu kommen Gerichts- und Anwaltskosten, wenn es zu einer Klage kommt, sowie die Ausgaben, die eine Verzögerung des Vorhabens mit sich bringt. Wenn man das im individuellen Fall addiert, ist ein Verständigungsprozess oftmals günstiger. Hinzu kommt der Zeitfaktor, da die Konfliktlösung außerhalb rechtlicher Verfahren oftmals schneller gelingt. Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist das Image sowie die Zufriedenheit der Mitarbeiter, die bei einem Unternehmen arbeiten, dem eine gute Nachbarschaft wichtig ist.

Doch auch wenn die aktuelle Anzahl von Bürgerprotesten vielleicht einen anderen Eindruck erweckt: Nur zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung lehnen grundsätzlich jede industrielle Anlage ab – egal, wie weit sie von dem individuellen Wohnort entfernt ist. Das hat eine vom IKU-Institut geplante und ausgewertete Umfrage über die Einstellung in der Bevölkerung zur industriellen Infrastruktur im Land Nordrhein-Westfalen ergeben. Im Auftrag von RWE, EON, dem Verband der Chemischen Industrie, dem DGB sowie den Industrie- und Handelskammern in NRW stellten die Interviewer fest, dass zur Gruppe dieser „Totalverweigerer“ besonders viele Frauen sowie eher gering Gebildete gehören.

Doch die überwiegende Mehrheit der Befragten – nämlich etwa zwei Drittel – vertritt die Meinung, dass in Nordrhein-Westfalen Industriearbeitsplätze benötigt werden und die Infrastruktur sogar ausgebaut werden sollte. Gleichzeitig ist vielen Bürgern aber nicht klar, welche Bedeutung diese Arbeitsplätze in ihrem Umfeld tatsächlich haben: Während die meisten meinen, dass generell ungefähr 60 Prozent der Arbeitsplätze insgesamt von der Industrie abhängen, sind die gleichen Befragten der Ansicht, dass es in ihrem individuellen Umfeld nur die Hälfte sind.

Unternehmerischer Vorteil und Allgemeinwohl

Was nun die tatsächlichen Zahlen betrifft, so hat die Prognos AG in einer Studie den bundesweiten Beschäftigungsmultiplikator etwa der deutschen Steinkohle auf 1,31 geschätzt. In diese Rechnung fließen neben den direkt Beschäftigten die Arbeitnehmer in der Herstellung der eingesetzten Vorleistungen ein, aber auch die Beschäftigten in der Produktion der benötigten Investitionsgüter sowie die Arbeitnehmer jener Wirtschaftsbereiche, in denen die Betriebe und Beschäftigte der Steinkohle konsumieren. Würde dieser Beschäftigungsmultiplikator für das gesamte verarbeitende Gewerbe in Nordrhein-Westfalen gelten, dann wären nach Berechnungen des DGB bei ca. 23 Prozent im verarbeitenden Gewerbe Beschäftigte mehr als 53 Prozent der Arbeitsplätze direkt oder indirekt mit der Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe verknüpft.

Die repräsentative Befragung der Bevölkerung durch das IKU-Institut wurde zur Vorbereitung des „Industriekongress 2009“ in NRW durchgeführt. Diese Veranstaltung, die vom DGB initiiert worden war, diente unter anderem dazu, eine bisher eher ungewöhnliche Allianz pro Industrie und Nachhaltigkeit in Nordrhein-Westfalen zu etablieren – bestehend aus der Landesregierung, Unternehmen, Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden, Industrie- und Handelskammern sowie Gewerkschaften. Dabei haben sich die Beteiligten vorgenommen, zunächst mit sachlicher Aufklärung für den Industriestandort NRW zu werben.

Eine dritte Erkenntnis gewann die IKU-Studie zu den Genehmigungsverfahren für industrielle Neuansiedlungen. Als Möglichkeit zur Information geschätzt, gelten sie nach überwiegender Mehrheit der Befragten trotzdem als bürokratisch. Gleichzeitig bewerten die Bürger ihre eigenen Einflussmöglichkeiten hier eher gering. Hinzu kommt, dass sie behördliche Stellungnahmen in diesem Rahmen als tendenziell industriefreundlich beurteilen.

Es ist ein strukturelles Manko dieser behördlichen Genehmigungsverfahren, dass dort das Allgemeinwohl und der individuelle Nutzen eines Vorhabens nicht zur Sprache kommen. Es gibt eben nicht nur den konkreten unternehmerischen Vorteil – den man ebenfalls benennen sollte, sondern auch Ausbildungsplätze, Steuereinnahmen oder finanzielle Spielräume für soziale Projekte, um nur ein paar zu nennen. Die Beschreibung und Bezifferung dieser Vorteile trägt wesentlich dazu bei, die Tragweite eines Vorhabens für die Bevölkerung transparenter zu machen.

Fairness durch Transparenz

Transparenz ist übrigens ein wesentliches Stichwort für die professionelle Konfliktlösung. So ist der erste Schritt in diesem Prozess ein vertrauliches Gespräch mit allen an dem Konflikt beteiligten Personen, um herauszufinden, ob ein Dialog Sinn macht und welche Ziele sie in der Auseinandersetzung realisieren wollen. Gesprächs- und Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten ist dafür eine wesentliche Voraussetzung. Bei diesen Kontakten wird der konkrete Auftrag des Konfliktlösers im Rahmen des bestehenden Streitfalls dargelegt. Gleichzeitig wird deutlich, dass dieser sich im Verlauf des Konfliktlösungsprozesses nicht auf die Seite des Auftraggebers stellen wird, denn Überparteilichkeit ist ein wesentliches Merkmal dieser Arbeit. Das Ergebnis dieses Austauschs wird dann als anonymisierter Bericht allen Gesprächspartnern zur Verfügung gestellt.

Der Vorteil dieses Vorgehens: Jenseits des Sachstandpunkts werden die jeweiligen Interessen aller Beteiligten deutlich. Wenn die verschiedenen Positionen gleichberechtigt nebeneinander dargestellt werden, erleben die Leute das als Fairness. Sie spüren, dass von Seiten des Unternehmens Dialogbereitschaft besteh. Wer die andere Seite lediglich von seinen Argumenten überzeugen will, ist zum Scheitern verurteilt. Denn das Wesentliche an einem Dialog ist ja, dass man dem anderen zuhört. Darüber hinaus trägt das Kommunikations-Know-how eines professionellen Streitschlichters dazu bei, den Austausch zu organisieren und schließlich eine effiziente, ergebnisorientierte Gesprächsebene zu finden, um gemeinsame Lösungen zu entwickeln.

Die Ergebnisse können dann ganz unterschiedlich aussehen: Etwa, dass die Standpunkte klar werden, ohne dass es zu Handgreiflichkeiten kommt. Oder dass es ein Dialogergebnis gibt, das von allen Beteiligten getragen wird. Wenn ein Unternehmen vermitteln kann, dass ihm an guter Nachbarschaft gelegen ist, prägt das die Kultur des Zusammenlebens nachhaltig – von den positiven Folgen für Image und Budget einmal ganz abgesehen.

ZUM AUTOR
Über Dr. Frank Claus
IKU GmbH
Dr. Frank Claus ist Geschäftsführer bei der IKU GmbH und dort für die Konzeption von Kommunikationsprozessen, Konfliktlösung, Organisationsentwicklung und das Coaching zuständig. Der Diplom-Chemiker arbeitete fünf Jahre ...
IKU GmbH
Olpe 39
44135 Dortmund

+49-231-931103-0
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