Emotionen gehören nicht an den Arbeitsplatz. Nur wer sachlich bleibt, handelt professionell – so die vorherrschende Meinung. Auf der anderen Seite werden Leidenschaft, Begeisterung, Empathie gefordert. Doch wie soll das gehen, ohne Emotion? Warum wir im Alltag mehr emotionale Intelligenz gebrauchen können.
Der Alltag in den meisten Unternehmen ist geprägt von Rationalität, Nüchternheit, Sachlichkeit. Das propagieren auch kulturelle Leitfiguren: Politiker, Journalisten, Unternehmenslenker. Sie bezeichnen ihre Entscheidungen als rational und ihre Diskussionen als sachlich, wenn sie vertrauenerweckend und professionell wirken möchten. So gilt zum Beispiel Bundeskanzlerin Merkels Handeln als rational und scheinbar emotionslos, und dafür wird sie geschätzt und anerkannt. Gleichzeitig haben Neurowissenschaften und Psychologie bewiesen, dass Emotionen Entscheidungsfaktoren und Kommunikationssignale sind. Und dass es uns in Wahrheit kaum möglich ist, ohne Emotionen zu entscheiden und zu kommunizieren. Dem steht unser Bedürfnis entgegen, sachlich und rational zu erscheinen. Es ist an der Zeit, unsere Einstellung zu und den Umgang mit Emotionen neu zu hinterfragen. Warum?
1. Wir brauchen Emotionen in der Kommunikation
Emotionen sind Kommunikations-Signale. Wenn jemand einen Raum betritt und vollkommen unbetroffen aussagt „Feuer im Treppenhaus“, wird kaum einer der Anwesenden sofort die Feuerwehr rufen. Selbst eine anschauliche Beschreibung wirkt nicht glaubwürdiger, wenn sie nicht entsprechend emotional begleitet ist. Erst wenn der Schreck und vielleicht die Furcht des Sprechers spürbar werden, können die Angesprochenen die Botschaft realisieren und handeln.
Genauso gilt das im Vertrieb, in der Kundenberatung, in der Mitarbeiterführung: um Menschen zu bewegen und zu überzeugen, müssen wir das, was wir sagen, emotional so markieren, dass der andere es spürt. Und zwar genau in der richtigen Dosis, nicht übertrieben – das wäre unglaubwürdig, aber doch so sehr, dass das Gegenüber unsere Emotionen wahrnimmt.
2. Wir entscheiden mit Hilfe von Emotionen – immerWie oft hören wir: „Das haben wir absolut rational entschieden“. Dabei haben die kognitiven Neurowissenschaften in den vergangenen fünfzehn Jahren immer wieder nachgewiesen, dass alle Entscheidungen in letzter Konsequenz eben nicht vom Verstand getroffen werden, sondern von einer Instanz in unserem Gehirn, die alle Daten und Fakten emotional bewertet und einsortiert. Diese emotionale Bewertung hängt eng mit unserem persönlichen Wertesystem zusammen, also mit dem, was uns wichtig ist. Eher Sicherheit oder eher Neugier? Einfachheit oder Perfektion? Distanz oder Freundschaft? Eine rein rationale Entscheidung kann es vor diesem Hintergrund gar nicht geben. Eher suchen wir die rationalen Gründe für bestimmte Entscheidungen erst, nachdem wir emotional schon entschieden haben. Denn wir meinen immer noch, unsere Entscheidung mit einer solchen rationalen Rechtfertigung besser vor anderen und uns selbst vertreten zu können.
3. Unsere Beziehungen basieren auf Emotionen – geschäftlich und privatBeziehungen sind immer emotional geprägt. So ist Grundlage jeder Beziehung Vertrauen, und Vertrauen hängt eng mit der Emotion „Zuneigung“ zusammen. Laut psychologischer Forschung ist Vertrauen das Produkt aus Zuneigung und Zeit. Und somit hängen auch Geschäftsbeziehungen von einem gewissen Maß an Zuneigung ab. Zuneigung wiederum basiert auf ähnlichen Werten beider Partner, wenn also ein Gefühl von „der tickt so ähnlich wie ich“ entsteht. Ohne diese emotionale Komponente lassen sich Beziehungen weder verstehen und noch gestalten. Emotionale Verständnislosigkeit kann die Beziehung schnell zerstören.
Und so scheitern Beziehungen – geschäftlich wie privat – nicht aus sachlichen Gründen. Sondern weil man nicht versteht, was dem anderen wichtig ist und der andere nicht anerkennt, worum es einem selbst geht. Weil man sich vielleicht nichts mehr zu sagen hat. „Ich verstehe Dich nicht“ ist die klassische Bankrotterklärung an jede Beziehung.
4. Motivation ohne Emotion? Kann nicht funktionieren!Wer kann schon still sitzen bleiben, wenn er hoch motiviert ist? Motivation ist verbunden mit Antrieb und Bewegung, mit dem Gefühl, etwas tun zu wollen. Genau dieser Antrieb ist emotional, er hat nichts mit sachlichen Gründen zu tun. Oft stecken hinter der positiven Motivation Emotionen wie „Freude“ oder „Zuneigung“. Wir können kaum erwarten, den Koffer zu packen, weil wir uns so auf den Urlaub freuen. Wir schreiben bis weit nach Feierabend an einem Angebot, weil wir große Lust auf dieses Projekt haben. Oder aber wir empfinden „Angst“ oder „Ekel“ und laufen weg – die negative Motivation.
Im Umkehrschluss heißt dies, Motivation kann nicht rein sachlich erfolgen. Wer Mitarbeiter nachhaltig motivieren möchte, kommt nicht umhin, diese Zusammenhänge zu verstehen und Motivation mit positiven Emotionen zu verbinden.
5. Emotionen schützen uns vor Manipulation
Aber ist dies alles nicht sehr manipulativ? Nach neuesten Untersuchungen wird jeder von uns etwa 3000 mal am Tag mit Werbebotschaften konfrontiert: offensichtlich oder versteckt. Insbesondere im werbefinanzierten Internet treffen wir auf unzählige Botschaften, die uns suggerieren, was uns wichtig zu sein hat – sie versuchen, auf unser Wertesystem Einfluss zu nehmen. Wir können uns nur dagegen wappnen, indem wir uns über unser eigenes Wertesystem bewusst werden und diese Zusammenhänge verstehen. Sonst werden wir allzu leicht zum Spielball der anderen ...
Fazit: Emotion schlägt Vernunft
Wir sind alle nicht sachlich. Emotionen beeinflussen unser gesamtes Handeln, unsere Entscheidungen und Beziehungen. Wir kommen also nicht umhin, uns mit den eigenen Emotionen und den Emotionen der anderen näher zu beschäftigen und sie im Zweifel nicht zu ignorieren, sondern anzuerkennen – und auch klar zu benennen. Das ist die Basis von emotionaler Intelligenz.