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Fachartikel, 24.08.2005
Praxisbericht
Teilefertigung in Ungarn
Am Beispiel eines Teilelieferanten für Ofenbauer, einer GmbH mit 40 Mitarbeitern, wird gezeigt, wie mit überschaubarem Aufwand eine Auslandsexpansion erfolgreich gestaltet werden kann.
Die Geschäftsführung des Unternehmens besteht aus einem technischen und einem kaufmännischen Leiter. Kunden sind in erster Linie Hersteller von Aluminium-Schmelzöfen in Deutschland, Benelux und seit kurzem Ungarn und Russland. Die Kernkompetenz der GmbH liegt in der Herstellung von Hydraulikteilen, Scharniertechnik und Motoren. Die Firma zeichnet sich vor allem durch ein hervorragendes Qualitätsniveau und absolute Lieferzuverlässigkeit aus. Sie ist in ihren Segment Marktführer in Europa.

Ziele und Motive für eine Verlagerung

Um wettbewerbsfähig zu bleiben bzw. um den Vorsprung noch auszubauen, hat sich das Unternehmen entschlossen, die Kosten deutlich zu reduzieren, ohne bei der Qualität Einbußen hinnehmen zu müssen. Die größten Vorteile versprach sich die GmbH, wenn sie den Teil der Fertigung, bei dem ein hoher manueller Aufwand erforderlich ist, nach Ungarn verlagert. Die sehr frühe Festlegung auf Ungarn ist auf folgende Gründe zurückzuführen: geringere Lohnkosten, hohes Qualifikationsniveau der Beschäftigten, vielfach deutsch oder englisch sprachige Mitarbeiter, Verlagerung der Produktion und Verkaufsschwerpunkte zweier wichtiger Großkunden (Umsatzanteil gut 18 %) nach Ungarn. Zudem gilt Ungarn als die liberalste und am weitesten entwickelte Volkswirtschaft der Beitrittsländer, da erste Schritte in Richtung Marktwirtschaft lange vor dem Beitritt zur EU erfolgt sind.

Nicht zuletzt ist Ungarn mit seiner räumlichen Nähe, den traditionell guten Beziehungen zu Deutschland, der leichten Erreichbarkeit von Deutschland aus und der zentralen Lage in Osteuropa ein gutes Sprungbrett für die Erschließung weiterer Märkte in dieser Region. Für die GmbH steht hier, auf Grund der ebenfalls vorhandenen Kundenbeziehungen, Russland im Vordergrund. Bei verschiedenen Projekten in Ungarn konnten sich die Geschäftsführer direkt vor Ort von den Vorteilen überzeugen und erste Kontakte zu Behörden und potenziellen Geschäftspartnern herstellen. Als mögliche Standorte im Land kommen v.a. die dynamisch wachsenden Zentren in Betracht. Neben Budapest sind dies z.B. Gyor-Moson-Sopron, Vas, Zala, Fejer und Veszprem.

Unternehmensstrategie schriftlich fixieren

Die Ziele und Strategien der GmbH existierten zu Beginn des Projekts lediglich in den Köpfen der Geschäftsführung. Schriftliche Unterlagen waren nicht vorhanden. Der erste Schritt bestand also darin, die Strategie zu Papier zu bringen und für alle Beschäftigten zugänglich zu machen. Bei den Gesprächen wurde auch deutlich, dass auch die beiden Geschäftsführer zumindest teilweise andere Vorstellungen davon hatten, welche Ziele sie mit der Firma in welchem Zeitraum erreichen wollten.

Strategische Zielsetzungen

::: Umsatzsteigerung in den kommenden fünf Jahren mindestens 40 %
::: Daher: Notwendigkeit des Ausbaus von Marktanteilen, insbesondere in Osteuropa sowie (Rück)Gewinnung verlorener Altkunden in Deutschland und Benelux
::: Erfordernis der Ausweitung der Produktion um bis zu 50 %
::: Teilweise Anpassung der Preise an das insgesamt niedrigere Marktniveau
::: Wird ermöglicht durch einen höheren Automatisierungsgrad in der Fertigung in Deutschland und
::: die Auslagerung überwiegend manueller Arbeiten ins kostengünstigere Ungarn sowie
::: Realisierung von Skaleneffekten (z.B. Rabatte) durch Ausweitung der Produktion
::: Intensivierung der Entwicklungsleistungen

Rahmenbedingungen für die Expansion

::: Festlegung der zu verlagernden Arbeiten bzw. Produktionsteile
::: Zeitrahmen für Vorbereitung und erste Schritte in Ungarn: bis Dezember 2004
::: Erste Erfolge bei Kostenersparnis nicht vor Ende 2006 zu erwarten!
::: Umsetzungsverantwortung: Kfm. Geschäftsführer, Vertretung: Produktionsleiter
::: Gründung Tochtergesellschaft (GmbH, Korlatolt Felelössegü Tarsasag (KFT)) vor Ort
::: Dokumentation des gesamten Projektes, inkl. Zielsetzung, Nutzen, Vorgehensweise etc.

Anforderungen an die Produktionsauslagerung

::: Benennung der relevanten Standortfaktoren, Bewertung, Standortauswahl in Ungarn
::: Intensivierung der Vor-Ort-Besuche sowie Auf- und Ausbau des Netzwerkes
::: Abgleich der aktuellen Unternehmensziele und -strategie mit Expansionszielen, Aufdeckung und Lösung möglicher Widersprüche
::: Sondierungsgespräche mit der Hausbank
::: Analyse Subventionen und Fördermittelsituation, Antragsvorbereitung und –einreichung
::: Anpassung der Unternehmensplanung und Aufstellung Finanzierung
::: Grundstückskauf und GmbH-Gründung
::: Erstellen einer Chancen-Risiken-Matrix einschließlich Szenarien
::: Beginn der Umsetzung und Implementierung eines Controlling und Frühwarnsystems

Unternehmensplanung überarbeitet und Finanzbedarf konkretisiert

Parallel zur Standortbewertung haben GmbH und Berater eine Anpassung der Unternehmensplanung vorgenommen. Es mussten vor allem die Kosten- und Investitionsplanung geändert werden. Insgesamt veranschlagt die Firma für den Aufbau der Produktionsstätte in den ersten beiden Jahren rund 1,2 Mio. EUR, von denen gut 60 % fremdfinanziert werden sollen. Der größte Teil der Investitionen, etwa 800 T-EUR, fällt nach den ersten Planungen in der ersten Hälfte 2005 an. Darüber hinaus entstehen im gleichen Zeitraum Anlaufkosten von voraussichtlich rund 150 T-EUR. Bei der Kosten- und Investitionsplanung sieht die GmbH noch einen Sicherheitszuschlag von 15 %, also 180 T-EUR, vor. Dieser Betrag wird auf Empfehlung der Berater eingestellt, da es bei derartigen Projekten nach einschlägigen Erfahrungen fast immer zu höheren Kosten als vorgesehen kommt. Außerdem fallen in der Regel Kosten an, mit denen man zu Beginn trotz bester Planung und Vorbereitung nicht gerechnet hat. Wird diese Grenze von 1,38 Mio. EUR allerdings überschritten, soll das Gesamtvorhaben überprüft und bei erkennbaren weiteren Unsicherheiten auch eingestellt werden. Die Vereinbarung einer absoluten Obergrenze soll alle Beteiligten u.a. zwingen, ihre Arbeiten besonders sorgfältig durchzuführen. Die Höhe der Anlaufkosten sowie die notwendigen Mittel für die Investitionen sind verantwortlich dafür, dass es trotz finanzieller Erleichterungen und der geplanten Umsatzausweitungen erst nach knapp drei Jahren, etwa Ende 2006, zu nennenswerten Ergebnissteigerungen kommen wird.

Unsicherheiten und Risiken – Darstellung mit Szenarien

Während des Projektes wurden alle wesentlichen Punkte von der GmbH schriftlich festgehalten, sodass hier auf einer guten Basis aufgebaut werden konnte. Auch die Risiken und die möglichen finanziellen Auswirkungen sind dokumentiert. Als mögliche zentrale Engpässe wurden zunächst folgende Punkte eingestuft:

::: Koordinations- und Kommunikationsprobleme und in der Folge mangelnde Abstimmung mit dem Heimatstandort und Produktionsrückstände.

::: Höhere Personalkosten, da es im Raum Budapest auf Grund der Firmenkonzentration eine stärkere Nachfrage nach qualifizierten Mitarbeitern als im Rest des Landes gibt.

::: Möglicherweise temporäre Personalengpässe und höhere Fluktuation und daher Know-How-Verlust bzw. höherer Schulungsaufwand als geplant.

Stammpersonal steht für Schulungen zur Verfügung

Daher wurde zusammen mit dem Beratungsunternehmen eine unkonventionelle Lösung realisiert: Im Fall eines möglichen Produktionsengpasses oder bei länger andauernden Anlaufschwierigkeiten sollen zwei bis drei Mitarbeiter des Stammwerkes über einen Zeitraum von mehreren Wochen oder evtl. sogar Monaten in Ungarn produzieren, Mitarbeiter schulen und mögliche Schwierigkeiten lösen. Um Mitarbeiter zu diesem Schritt zu motivieren, wurden gezielt Lohnanreize geboten. Zudem ist vorgesehen, stets zwei Gruppen im Wechsel einzusetzen, um die Belastungen für die Betroffenen und ihre Familien niedrig zu halten.

Weitere Empfehlungen und Fazit


Unternehmen, die sich mit dem Gedanken tragen, einen Standort im Ausland aufzubauen bzw. einen Teil ihrer Aktivitäten ins Ausland zu verlagern, tun gut daran, ihr Engagement extrem sorgfältig vorzubereiten. Soweit keine oder nur geringe Erfahrungen vorliegen, sollte unbedingt fremde Hilfe in Anspruch genommen werden. Der ganze Prozess, vom ersten Vorschlag über Ziele, Strategien, Hauptaktivitäten, Finanzplanung bis hin zu möglichen Risiken und Vorschlägen zu deren Lösung, sollte zudem zwingend schriftlich dokumentiert werden. Dies ist nicht nur zur Unterstützung der eigenen Arbeit sinnvoll, etwa um Lücken in der Planung aufzudecken, sondern vor allem auch, um leichter mögliche finanzielle Unterstützung von den Banken oder anderen Kapitalgebern zu erhalten. Aber auch bei der Suche geeigneter Geschäftspartner oder bei Gesprächen mit Behörden vor Ort zeigt ein strukturiertes Konzept, dass es sich um ein realistisches Vorhaben handelt. Eine sorgfältige Betrachtung möglicher Risiken sollte den Entscheidungsprozess abrunden. Um Veränderungen rechtzeitig zu erkennen und Steuerungsmaßnahmen einleiten zu können, sollte mittelfristig ein eigenes Controlling mit eigenen Mitarbeitern vor Ort aufgebaut werden. Nur so ist es möglich, sich weitgehend vor Überraschungen durch Veränderungen der Rahmenbedingungen zu schützen.

(Jörgen Erichsen, IKR GmbH, Leverkusen)

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