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Fachartikel, 04.04.2006
Bildung und Beruf
Familienfreundlichkeit als neues Markenzeichen
„Familie ist Privatsache.“ So lautet ein folgenschweres Missverständnis, das nicht nur das Gemeinwesen in die Sackgasse geführt hat, sondern zunehmend auch die Privatwirtschaft belastet.
Auch Unternehmen müssen im eigenen Interesse dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter Familie und Beruf besser vereinbaren können. Das kostet, zahlt sich aber vielfach aus.

David, Sophie, Donata, Victoria, Johanna, Egmont, Gracia. Assistenzärztin, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Sozialministerin für Niedersachsen, Bundesfamilienministerin. Ursula von der Leyen schafft, was undenkbar schien: sieben Kinder und echte Karriere zu vereinbaren. Nun will sie sich dafür einsetzen, dass solches allen Arbeitnehmern möglich wird. Familienfreundlichkeit soll das Markenzeichen deutscher Unternehmen werden. Und um Unternehmen in diesem hehren Ansinnen zu unterstützen, rief sie Mitte Februar das Programm „Erfolgsfaktor Familie. Unternehmen gewinnen“ ins Leben. In einem starken Netzwerk sollen, so ist angestrebt, 1.000 Unternehmen pro Jahr, Wissen und Erfahrungen über die notwendigen Bausteine zur Familienförderung austauschen und in andere Unternehmen weitertragen.

Angesichts der gegenwärtigen Situation scheint das bitter nötig. Der demographische Wandel konfrontiert die deutschen Unternehmen mit mehreren Herausforderungen in familienpolitischer Hinsicht: Die Geburtenrate in Deutschland muss steigen. Die (Aus-)Bildung des Nachwuchses muss verbessert werden. Qualifizierte Arbeitskräfte müssen besser gebunden werden. Als Allheilmittel wird nun nach Wundern gerufen: Akademikerinnen in verantwortungsvollen Posten sollen nicht mehr durchschnittlich eins, sondern bitte 2,1 Kinder zur Welt bringen, voll leistungsfähig im Beruf bleiben und trotzdem dem Nachwuchs die notwendige Bildung und Erziehung angedeihen lassen, die sie auf ein Arbeitsleben als High Potential vorbereitet.

Immer noch gilt: Karriere oder Familie

Die Realität sieht anders aus: Sobald Arbeitnehmer in Deutschland Eltern werden, entscheiden die meisten bewusst, ob die Fortsetzung der Karriere fortan innerhalb der Familie oder im Beruf stattfinden soll. 2004 meldete das Statistische Bundesamt im Rahmen des Mikrozensus, dass zwischen Hamburg und München nur jede vierte Frau mit einem Kind in Vollzeit erwerbstätig sei, fast 40 Prozent arbeiteten gar nicht. Die durchschnittliche Kinderzahl der 35- bis 40-jährigen westdeutschen Akademikerinnen ist nach Recherchen des Instituts für Wirtschaft Köln innerhalb von zehn Jahren von 1,3 auf 1 gesunken (IW Köln, 2004).

Das Elend scheint zum großen Teil selbst gemacht: Mitarbeiter in Elternzeit sind zu 95 Prozent weiblich, so die Zwischenbilanz des Bundesfamilienministeriums zu den Neuregelungen zur Elternzeit im Juni 2004. Eine echte Teilung von Kinderbetreuung und Erziehungsarbeit, die beide Partner, wenn auch zeitlich reduziert, im Arbeitsleben präsent bleiben lässt, ist nach wie vor die Ausnahme. Angst vor Einkommens-, Karriere- oder Prestigeverlust sind, wie das Institut für Demoskopie in Allensbach in einer Umfrage 2005 feststellte, die Gründe, die die meisten Väter vor einer Elternzeit zurückschrecken lässt. Während in Portugal, Belgien, Norwegen und Kanada 80 bis über 90 Prozent der Hochschulabsolventinnen und Handwerksmeisterinnen mit Kindern unter sechs Jahren arbeiten, so eine Recherche des Instituts für Wirtschaft in Köln, schaffen dies in Deutschland gerade 62 Prozent. Dabei spielt nach wie vor das Modell der Mutter, die zum Haupteinkommen des Partners noch etwas „hinzuverdient“, die Hauptrolle. Als Gründe werden von Arbeitnehmern die Unvereinbarkeit der Ansprüche des Unternehmens an Präsenz mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten einer Kinderbetreuung angeführt.

Familienfreundlichkeit ist ganz klar Unternehmenssache

Für Unternehmen führt also, wollen sie sich das Potenzial qualifizierter Mitarbeiter erhalten, kein Weg daran vorbei, sich tatsächlich das Markenzeichen Familienfreundlichkeit ans Revers zu stecken. Denn auch ihr primäres Ziel der Gewinnerzielung lässt sich nur mit Mitarbeitern erreichen, die qualifiziert, leistungsfähig und vor allem vorhanden sind. Der Richtungswechsel, den die Regierung schon seit mehreren Jahren verfolgt (vgl. Kasten), scheint vor diesem Hintergrund folgerichtig. Doch sind solche Maßnahmen immer auch Investitionen. Investitionen, deren Effekt sich nur schlecht, zumindest stark zeitversetzt, erkennen lässt. Förder– oder Unterstützungsgelder für Unternehmen, die Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie ergreifen, gibt es von der Regierung nicht. Verwiesen wird dabei auf das eigene Interesse der Unternehmen, sich durch familienfreundliche Konzepte qualifizierte Mitarbeiter zu erhalten. Clemens Volkwein, Referent Allgemeine Wirtschaftspolitik beim Bundesverband der Deutschen Industrie, teilt diese Meinung: „Ich glaube nicht, dass eine finanzielle Unterstützung der Unternehmen notwendig ist. Die finanziellen Anreize, die die Regierung in der Familienpolitik setzt, sind im internationalen Vergleich recht hoch.“ Für wirklich wichtig hält er stattdessen eine flächendeckende Infrastruktur für Kinderbetreuung. „Wenn ein Unternehmen merkt, dass Kinderbetreuung für seine Mitarbeiter wichtig ist, und gleichzeitig diese Angestellten halten will, hat der Betrieb auch ein ureigenes Interesse daran, solche Maßnahmen wie beispielsweise Betriebskindergärten, selbst zu schaffen. Das wird sich auch durch die erhöhte Leistungsfähigkeit und längere Bindung der Mitarbeiter rechnen.“

Ökonomie des Geben und Nehmens

Dass sich die so geschaffene Bindung wieder auszahlen kann, hat Joachim Beck, Geschäftsführer der Getoq Consulting GmbH in Bremen, erfahren. Er musste in einer wirtschaftlichen Krise feststellen, dass manche Vereinbarungen seiner familienorientierten Unternehmensphilosophie wie Telearbeit oder Teilzeit sich schlichtweg nicht mehr bezahlen ließen. Doch im offenen Dialog mit den Mitarbeitern fand man gemeinsame Wege, die Krise zu meistern. Dazu Beck: „Es zeigte sich, wie hilfreich der gegenseitige Interessenausgleich, bei dem die Mitarbeiter auch das Unternehmensinteresse berücksichtigten, für den Betrieb selbst ist.“

Der Nutzen einzelner familienfreundlicher Maßnahmen muss daher immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn schätzt, dass 68 Prozent aller Unternehmen mindestens eine solche Maßnahmen anbieten. Ob sich mit mehr Maßnahmen mehr erreichen ließe oder sich manche Mittel effektiver kombinieren ließen, ist derzeit offen. Unter anderem bietet hier das Netzwerk der Familienministerin Unterstützung. „Es ermöglicht jedem interessierten Unternehmen den Zugriff auf das notwendige Know-how. Schon jetzt steht ein ganzes Spektrum erprobter Module zur Verfügung“, so von der Leyen. „Wir spüren ein rasant wachsendes Interesse und Engagement der Wirtschaft. Das wollen wir verstärken, indem wir Wissen zur Verfügung stellen.“

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Gesetze
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Auf Elternkurs

Der Gesetzgeber ist nicht untätig. Hier erläutern wir, was die wichtigsten Gesetze zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf bezwecken.

Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (21.12.2000)

Ziel des Gesetzes ist, Teilzeitarbeit zu fördern, die Voraussetzungen für die Zulässigkeit befristeter Arbeitsverträge festzulegen und die Diskriminierung von teilzeitbeschäftigten und befristet beschäftigten Arbeitnehmern zu verhindern.

Gesetz zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (7.12.2001)

§ 15 (Auszug:) Der Anspruch auf Elternzeit besteht bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres eines Kindes ... Ein Anteil der Elternzeit von bis zu zwölf Monaten ist mit Zustimmung des Arbeitgebers auf die Zeit bis zur Vollendung des achten Lebensjahres übertragbar ... Die Elternzeit kann, auch anteilig, von jedem Elternteil allein oder von beiden Elternteilen gemeinsam genommen werden ... Während der Elternzeit ist Erwerbstätigkeit zulässig, wenn die vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit für jeden Elternteil, der eine Elternzeit nimmt, nicht 30 Stunden übersteigt.

Gesetz zum Schutz der erwerbstätigen Mutter (20. 6. 2002)

::: § 3 Beschäftigungsverbote für werdende Mütter
::: § 9 Kündigungsverbot

TAG: Tagesbetreuungsausbaugesetz (1.1.2005)

Gesetz zum qualitätsorientierten und bedarfsgerechten Ausbau der Tagesbetreuung und zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe.

Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Entwurf vom 18.1.2006)

Anerkennung eines steuerlichen Freibetrags für Kinderbetreuung bis 4.000 Euro pro Kind und Jahr.

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Quelle/ Urheber dieses Beitrages

Haufe-Akademie.de
Rudolf Haufe Verlag GmbH & Co. KG
Autorin: Katharina Schmitt
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