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Fachartikel, 13.07.2009
Körpersprache
Zeig mir dein Gesicht - und ich sag dir, wie du bist
Die Körpersprache verrät uns viel über Menschen. Darüber sind sich die Experten einig. Doch inwieweit auch aus Körpermerkmalen Rückschlüsse auf die Persönlichkeit eines Menschen gezogen werden können, darüber gehen die Meinungen sehr weit auseinander – auch aufgrund der deutschen Geschichte. Im Folgenden ein Versuch, sich dem Tabuthema anzunähern.
Ein Bewerber betritt das Büro eines Personalleiters. Die beiden blicken einander kurz an. Und schon hat der Personaler eine Vorstellung davon, ob der Bewerber ein interessanter Kandidat sein könnte. Ein Verkäufer besucht einen potenziellen Neukunden. Die beiden Personen laufen aufeinander zu. Und schon sagt dem Vertriebler eine innere Stimme: Bei diesem Kunden kann ich am ehesten mit sachlichen Argumenten punkten. Ein Firmenchef begegnet bei einem Stehempfang einem Unternehmensberater. Sie nicken sich zu. Und schon schießt dem Unternehmer der Gedanke durch den Kopf: Das ist ein harter Knochen.

Das Besondere an den geschilderten Situationen: In ihnen wurde kein Wort gewechselt und trotzdem entstand bei den beteiligten Personen jeweils ein Bild vom Gegenüber. Ähnliches erleben wir im Alltag immer wieder. Wir treffen eine Person und noch ehe ein Wort gewechselt wurde, haben wir eine Vorstellung davon, wie unser Gegenüber „tickt“. Doch nicht nur hiervon. Auch davon, ob wir einen Draht zu der Person finden – ob also die „Chemie“ stimmt. Und bestätigt sich diese Vermutung im Nachhinein, dann sagen wir oft mit einem gewissen Stolz: „Das habe ich geahnt. Ich hatte dafür einen ‚Riecher’.“

Wir ticken nicht so rational, wie wir gern glauben

Vermutlich haben Sie sich, wenn Sie solche Situationen erlebten, schon oft gefragt: Wie ist das möglich? Denn dass uns im menschlichen Miteinander vielfach sozusagen unsere „Instinkte“ leiten, das entspricht nicht unserem Selbstbild. Schon eher geben wir uns der Illusion hin, dass wir aufgrund unserer Erfahrung andere Personen richtig einschätzen können – zum Beispiel wenn wir ihnen erstmals begegnen.

Dann scannen unsere Augen sozusagen unser Gegenüber und anhand solcher Faktoren wie Kleidung, Gang und Körperhaltung, aber auch Mimik und Gestik machen wir uns in Sekundenbruchteilen ein erstes Bild von der Person. Und zwar automatisch – unabhängig davon, ob wir dies wollen oder nicht. Denn unsere Nerven leiten unsere Sinneswahrnehmungen an unser Gehirn weiter. Dort werden sie vom sogenannten limbischen System zunächst anhand der in ihm gespeicherten Bilder und Erfahrungen, eingeordnet und bewertet. Erst danach werden sie als Information verknüpft mit der entsprechenden Emotion an unser Großhirn weitergeleitet und gelangen in unser Bewusstsein.

Dass diese mentalen Be- und Verarbeitungsprozesse in uns ablaufen, darüber ist sich die Wissenschaft weitgehend einig. Und dies zu wissen, ist für uns wichtig – unter anderem damit wir nicht der Illusion erliegen, wir würden uns unsere Meinung über andere Menschen so frei und rational bilden wie wir oft glauben. Das Gegenteil ist der Fall! Wir treten allen Menschen, denen wir begegnen, mit einem Vor-Urteil gegenüber. Und das ist nicht schlimm. Solange wir uns dessen bewusst und bereit sind, unser Vor-Urteil gegebenenfalls zu korrigieren. Ist dies der Fall, dient unser Vor-Urteil nur der ersten Orientierung: Welches Verhalten ist in dieser Situation angepasst?

Konsens ist: Körpersprache verrät uns viel

Einigkeit besteht in der Wissenschaft auch darüber, dass uns neben der Körperhaltung auch die Mimik und Gestik viel über eine Person verrät – und zwar nicht nur über deren Befindlichkeit, sondern auch Persönlichkeit. Die Körpersprache signalisiert uns nicht nur, wie wohl sich eine Person in ihrer Haut fühlt – also ob sie zum Beispiel unsicher, müde, frohgelaunt oder eher traurig ist. Sie liefert uns auch zumindest Indikatoren dafür, wie unser Gegenüber tickt. Geht eine Person eher beschwingt und frohgemut durchs Leben oder empfindet sie dieses primär als Last? Genießt sie es eher, sich vor anderen Menschen zu präsentieren oder bleibt sie lieber abwartend, bescheiden im Hintergrund? Für solche Dinge liefert uns die Körpersprache Indizien – darüber sind sich die Experten einig.

Weit umstrittener ist, ob man auch aus gewissen Körpermerkmalen Rückschlüsse auf die Persönlichkeit eines Menschen ziehen kann. Spricht man mit anderen Personen darüber, erntet man meist die Reaktion: „Ein sehr interessantes Thema, aber ...“ Zwar bestreitet niemand, dass sich im Gesicht eines Menschen vielfach neben dessen aktueller Befindlichkeit auch dessen Lebenserfahrung und -einstellung widerspiegelt – zum Beispiel in Form von Lachfalten oder nach unten gezogenen Mundwinkeln. Doch darüber, ob sich beispielsweise aus der Form der Stirn oder Nase oder des Mundes oder Kinns Rückschlüsse auf die Persönlichkeit ziehen lassen, darüber gehen die Meinungen mindestens ebenso weit auseinander wie darüber, ob grafologische Gutachten eine Aussagekraft haben. Doch nicht nur dies. Das Thema ist zudem hochgradig emotional besetzt – auch aufgrund der deutschen Geschichte.

Umstritten ist: Was verrät uns der Körper?

Denn die Nationalsozialisten nutzten die Physiognomik, also die „Lehre“ darüber, welche persönlichen Eigenschaften sich aus den unveränderlichen physiologischen Merkmalen des menschlichen Körpers ableiten lassen, für ihre Rassenlehre. Das heißt: Sie ordneten gewissen Körpermerkmalen bestimmte Charaktereigenschaften sowie Persönlichkeitsmerkmale zu und verknüpften diese dann nicht nur mit einem Werturteil, sondern auch mit dem Urteil „lebenswert“ und „lebensunwert“ – mit den bekannten Folgen.

Entsprechend schwer ist es, heute über dieses Thema zu sprechen (und zu schreiben), ohne sich dem Verdacht auszusetzen, zumindest ignorant gegenüber der heiklen Vergangenheit  zu sein. Dessen ungeachtet lohnt es sich, sich mit diesem Thema zu befassen. Denn unabhängig davon, ob wir der Überzeugung sind, dass ein Rückschluss von bestimmten Körpermerkmalen auf gewisse persönliche Eigenschaften möglich ist, so lösen diese in uns doch konkrete Assoziationen aus. Das zeigt schon unsere Sprache. Sie ist gespickt mit entsprechenden Bezügen. Wenn wir eine Person beschreiben, benutzen wir zum Beispiel häufig solche Begriffe wie „engstirnig“ und „schmallippig“. Oft attestieren wir zudem einer Person, sie habe ein „energisches Kinn“ oder eine „Denkerstirn“. Oder wir sagen über sie, sie habe „wache Augen“. Und ganz allgemein gelten Augen und Gesicht als „Spiegel(-bild) der Seele“.

Eine uralte (Pseudo-)Wissenschaft?

Das kommt nicht von ungefähr. Schon seit Jahrtausenden findet die These Anhänger, dass insbesondere das Gesicht eines Menschen uns viel über dessen Wesen verrät. Nicht nur die Vertreter der traditionellen chinesischen Medizin vor mehr als 2000 Jahren sowie die griechischen Denker Sokrates und Aristoteles waren hiervon überzeugt, auch solche Geistesgrößen wie Alexander von Humboldt und Johann Wolfgang von Goethe.

Doch auch große Dichter und Denker können sich irren beziehungsweise sind Kinder ihrer Zeit – und manch Lehre, die im wissenschaftlichen Gewand daher kam, entpuppte sich schon als Pseudowissenschaft. Unabhängig davon, wie viele Anhänger die Physiognomik in der Vergangenheit hatte beziehungsweise heute hat, bleibt also die Frage: Lassen sich aus den circa 300 Unterscheidungsmerkmalen, die die Physiognomiker in den Gesichtern von Menschen glauben ausmachen zu können, Rückschlüsse auf solche Persönlichkeitsmerkmale wie zum Beispiel soziale Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, emotionale Stabilität und Intelligenz ziehen?

Ein kategorisches „Ja“ ist vermutlich ebenso unzutreffend wie ein kategorisches „Nein“. Denn vieles erinnert bei der Diskussion über die Physiognomik an die Diskussion darüber, welchen Einfluss Vererbung und Erziehung (beziehungsweise Sozialisation) auf die Persönlichkeit eines Menschen haben. Auch hierüber lassen sich endlose verbale Glaubenkriege führen, weil letztlich die Antwort vermutlich irgendwie in der Mitte liegt, und es primär von der Weltanschauung und vom Menschenbild der jeweiligen Person abhängt, inwieweit diese eher der einen oder anderen Auffassung zuneigt. Entsprechend differenziert und mit Bedacht sollte sich denn auch jeder äußern, der sich mit dem Thema Physiognomik befasst – auch aufgrund der historischen Erfahrung, welche unbeabsichtigte Konsequenzen zuweilen gewisse Lehren haben.

Dabei gilt es insbesondere zwei Aspekte zu beachten. Erstens: Die aus gewissen Körpermerkmalen abgeleiteten Informationen sollten nie als grundsätzliche Normierungen interpretiert werden. Sie sollten, wenn überhaupt, nur als Indikatoren, also Hilfsmittel verstanden werden, zum Bilden erster Thesen über eine Person. Zweitens: Aus einzelnen Merkmalen sollten keine apodiktischen Schlüsse wie „Wer pralle Lippen hat, ist sinnlich“ oder „Wer eine hohe Stirn hat, ist klug“ gezogen werden. Denn wenn überhaupt, lassen sich erst aus der Gesamtsicht des Gesichts sowie der Ausprägung der einzelnen Partien gewisse Tendenzaussagen über Menschen machen.

Klassische Ansatzpunkte beim „Gesichterlesen“

In der traditionellen chinesischen Medizin existierten denn auch ganze Merkmalskataloge, um Gesichter zu lesen. Dabei wurden grundsätzlich folgende drei Bereiche des Gesichts unterschieden: die Stirn, die mittlere Gesichtspartie, die von Augen bis zur Nase reicht, und die untere Gesichtspartie, die unter anderem Mund, Kiefer und Kinn umfasst.

Die Stirn wurde als der Bereich verstanden, der den Geist sowie Intellekt widerspiegelt, und die mittlere Partie als der Bereich, der Auskunft über die Seele gibt. Die untere Gesichtspartie hingegen, zu der Mund, Kiefer und Kinn zählen, wurde als Repräsentanz des Körpers gesehen. Wirkte das Verhältnis zwischen diesen drei Zonen auf den Betrachter ausgewogen, so wurde dies als Indiz für eine ausgeglichenen Wesensart verstanden. Stach hingegen beim Betrachten eines Menschen eine Gesichtspartie besonders ins Auge, dann wurde dies als Indiz für eine überproportional starke Ausprägung gewisser persönlicher Merkmale sowie Eigenschaften gesehen.

Diese Grundüberzeugung teilen noch heute alle Physiognomiker. Sie sind zum Beispiel der Auffassung, dass eine Stirn, die die Wahrnehmung dominiert, auf ein hohes Abstraktionsvermögen und ausgeprägte intellektuelle Fähigkeiten hinweist. Menschen mit einer dominanten mittleren Gesichtszone hingegen gelten als besonders gefühlsbetont. Sie verfügen zudem über einen gesunden Menschenverstand und ein Gespür fürs Machbare. Und Menschen mit einer dominanten unteren Gesichtspartie – also zum Beispiel einem markanten Kinn oder Kiefer? Sie gelten als kurzentschlossenen und handlungsorientiert, beziehungsweise zu impulsiven Handeln neigend.

Was fasziniert Menschen am „Gesichterlesen“?

Ein Grund, warum die Physiognomik über Jahrtausende hinweg immer wieder begeisterte Anhänger fand und findet, ist nicht nur, dass ihre Aussagen nach Auffassung vieler Menschen ihre Alltagserfahrung widerspiegeln. Hinzu kommt: Wir können unsere Körpermerkmale (sieht man von operativen Eingriffen ab) im Gegensatz zu unserer Kleidung, unserer Mimik und Gestik nicht bewusst beeinflussen. Deshalb vermittelt die Physiognomik ihren Anhängern die Illusion, mit ihrer Hilfe einen unverfälschten Blick auf das Wesen anderer Menschen zu erlangen. Und die von ihr bereit gestellten Interpretationsschemata machen das Einschätzen von Menschen scheinbar ganz leicht. Denn um die dominante Zone im Gesicht eines Menschen zu erkennen, muss man sein Gegenüber nicht lange mustern und studieren. Ein Blick genügt und schon lassen sich zum Beispiel aufgrund der prägnanten Stirn oder des markanten Kinns erste Thesen darüber bilden, wie die andere Person vermutlich tickt, die dann aufgrund weiterer Beobachtungen entweder verifiziert oder falsifiziert werden können.

Deshalb findet man die Pysiognomik den größten Zuspruch bei den Berufsgruppen, die berufsbedingt häufig vor der Herausforderung stehen, andere Personen schnell einschätzen zu müssen. Als Beispiel seien hier Verkäufer genannt, die oft, wenn sie einen potenziellen Neukunden treffen, binnen Sekundenbruchteilen entscheiden müssen, wie sie diese Person ansprechen. Entsprechendes gilt für Personalberater und Personalverantwortliche von Unternehmen, die ebenfalls zum Beispiel in Bewerbungsgesprächen oft vor der Herausforderung stehen, sich in kurzer Zeit ein Bild von einer Person zu machen. Auch sie nutzen bewusst oder unbewusst häufig die Physiognomik zum Bilden erster Thesen über ihr Gegenüber – und machen damit nach eigenen Aussagen durchaus positive Erfahrungen, zumindest wenn sie parallel dazu zum Beispiel Persönlichkeitstests nutzen, um ihre ersten Einschätzungen zu überprüfen.

Kernfrage: Wie gehen wir mit unseren Assoziationen um?

Auf solche Aussagen erwidern die Gegner des „Gesichterlesens“ selbstverständlich: Alles Humbug! Hierbei handelt es sich bestenfalls um selbsterfüllende Prophezeiungen. Dessen ungeachtet lohnt es sich auch für sie, sich mit der Physiognomik befassen. Denn unabhängig davon, ob ihre Aussagen oder Annahmen richtig sind, bleibt die Tatsache bestehen: Gewisse Körpermerkmale rufen aufgrund archaischer Bilder sowie des kulturellen Erbes, das wir in uns gespeichert haben, bestimmte Assoziationen und somit auch Emotionen in uns wach und diese prägen wiederum unseren ersten Eindruck von Personen mit. Dies führt wiederum dazu, dass wir manche Personen zum Beispiel auf Anhieb sympathisch oder unsympathisch finden oder uns diese als interessant oder langweilig erscheinen – häufig noch bevor wir ein Wort mit ihnen gewechselt haben.

Kennen wir die Bilder und Assoziationen, die in uns sozusagen automatisch wachgerufen werden, dann können wir sie auch hinterfragen und auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüfen. Sind sie uns hingegen nicht bewusst, dann stellen sie sich bei uns zwar auch ein. Da uns dies aber nicht bewusst ist, geben wir uns der Illusion hin, wir würden uns ganz rationell verhalten. Faktisch wird unsere Wahrnehmung der anderen Person und unser Verhalten ihr gegenüber jedoch von den Assoziationen und damit verbundenen Emotionen gesteuert, die bestimmte Körpermerkmale in uns auslösen. Das heißt, faktisch verhalten wir uns wie die Physiognomiker. Mit einem zentralen Unterschied: Diese ziehen ihre Schlüsse bewusst (und können sie folglich auch überprüfen), wir hingegen ziehen sie unbewusst, weshalb aus unseren irrationalen Vor-Urteilen oft scheinbar rationale Urteile werden.

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Querverweis
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Veranstaltungshinweis
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