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Kolumne
Alles was Recht ist, 04.04.2011
Kampf der Giganten
Media-Saturn versus Metro
Vor Kurzem ist der heftige Streit zwischen Media Markt-Gründer Erich Kellerhals und Metro-CEO Eckhard Cordes an die Öffentlichkeit gelangt. Am Ende sollte die strategische Vernunft entscheiden.
Im Kern geht es um die vor 20 Jahren beim mehrheitlichen Einstieg der Metro in Media-Saturn Gruppe den Gründergesellschaftern vorbehaltene Sperrminorität. Danach können grundlegende Entscheidungen nur mit 80%iger Mehrheit getroffen werden. Die Gründer Kellerhals und Stiefel kommen zusammen auf ca. 25% und können damit die Metro bei wesentlichen strategischen Entscheidungen ausbremsen. Und genau solche strategische und unternehmenspolitische Fragen sind strittig. Eckhard Cordes versucht aktuell über die Installation eines Beirates, der mit einfacher Mehrheit entscheiden könne – angeblich eine Vertragslücke – diese Festung zu stürmen.

Im Ring stehen die Gründer-Entrepreneure einem Manager gegenüber. Erstere wollen das Geschäftsmodell Media-Saturn, insbesondere aber dessen Kultur und Organisation bewahren, Cordes hingegen stellt genau dieses in Frage und plädiert für eine strategische Öffnung zum Online-Geschäft wie auch zum Börsengang.

Unabhängig von der offenen rechtlichen Beurteilung der seinerzeit vereinbarten Vertragsklauseln ist die einzig entscheidende Frage: Welche Ausrichtung, Strategie und Organisationsform sichert die Lebensfähigkeit der Media-Saturn Gruppe für die Zukunft. Diese Frage geht nicht nur die Kontrahenten an, sondern alle, voran rund 57.000 Mitarbeiter, denen Media-Saturn eine Existenzgrundlage bietet.

Die Gründer haben seinerzeit ein hochinnovatives Geschäftsmodell erfolgreich umgesetzt: Das Rezept lautete: Eine Elektronik-Fachmarktkette mit einer einzigartigen Verfügbarkeits-, Sortiments- und Preisführerschaft zu kombinieren mit einer dezentralen, unternehmerischen Organisations- und Führungsstruktur und Kultur. Dazu eine Markenpositionierung, die den Fachmarkt auf der Grünen Wiese genau so bietet wie das Innenstadtkonzept. Egal wo Kunden kaufen – viele wissen immer noch nicht, dass Media Markt und Saturn dieselbe Zugehörigkeit haben – sie kaufen immer bei selben Marktführer. Dazu kam, dass jeder Markt-Geschäftsführer mit 10% an „seinem“ Unternehmen beteiligt war. Media-Saturn agierte wie eine Union von Fürstentümern unter einem dies fördernden Königtum. „Viel Erfolg viel Freiheit – wenig Erfolg wenig Freiheit“ war so ein Führungsleitsatz von Leopold Stiefel, was auch dahin führenden konnte, dass ein Marktgeschäftsführer einen Ferrari als Dienstwagen ordern durfte – Hauptsache dies motivierte zum besagten Erfolg. Ohne diese besondere „Brot- & Spiele-Kultur wäre die Fachmarktkette nie zu dem geworden was sie heute ist. Die besondere Kultur, geprägt durch die Gründer hatte hier enorme strategische Bedeutung und bildete den Turbo im Konzept.

In den letzten 10 Jahren wurde nicht nur die internationale Expansion vorangetrieben, sondern auch die einzelnen Märkte wuchsen radikal in Größe und Angebot. Man könnte Media-Saturn im Consumer-Elektronik-Bereich regelrecht als 365-Tage-Cebit bezeichnen. Dabei hat sich die Führung vehement gegen eine Kannibalisierung des POS-Geschäfts durch e-commerce gewehrt. Man wollte den physischen Marktplatz unbedingt als Kernelement des Unternehmensmodells bewahren. Noch zeitgemäß? Eher Steinzeit, denn am Onlinehandel wird künftig in der Consumer-Electronic-Branche niemand vorbeikommen.

Genau hier setzen entscheidende strategische Fragen für die künftige Lebensfähigkeit an:
  • Über welches Geschäftsmodell und Strategie wird die Zukunft der Führerschaft in der Branche entschieden?
  • Was ist in der weiteren Entwicklung die relevante und effizent-effektive Größe für das Unternehmen? Muss Media-Saturn sich weltweit positionieren und müssen neben den BRIG-Staaten vor allem auch die USA ein Absatzmarkt sein? Wenn ja, kann diese Expansion ohne Börsengang finanziert werden? Inwieweit ist das Konzept wie international multiplizierbar?
  • Ist das Konzept der flächendeckenden Point-Of-Sale-Fachmärkte (POS) noch das richtige Geschäftsmodell der Zukunft? Wie wird der Kunde von morgen Consumerelektronik einkaufen und vor allem welche?
  • Vieles wird sich radikal ändern, denn schon in fünf Jahren wird kaum mehr jemand DVD oder CD Scheiben kaufen, um sich Filme oder Musik zu gönnen. Heute noch übliche Hardware wird der Miniaturisierung der Systeme und den Cloud-Konzepten zum Opfer fallen. Sind dann noch 6000 qm-Märkte notwendig oder leblose Relikte aus der Gründerzeit der 80er und 90er? Es wird eine grundlegende Tendenz von Hard- zu Software geben und vom Besitzen zum Nutzen. Welche Leistungen und Produkte sind die der Zukunft und brauchen die ein POS-Konzept. Selbst wenn, wie müsste dies dann aussehen?
  • Ist die Organisation und Kultur der mitunternehmerischen Dezentralisation mit hohen Freiheitsgraden in bestimmten internationalen Größenordnungen sinnvoll und führbar? Wie viel Zentralisierung und Dezentralisierung müssen in einem ausbalancierten Gefüge sein?
  • Sind die Fürsten und Fürstentümer auf weitere Sicht steuerbar? Wenn dies fraglich würde, sind die vielen 10%-Anteile der Geschäftsführer-Mitunternehmer irgendwann so teuer, dass eine Trennung sehr teuer würde?
  • Sind die kulturellen Pfründe nehmbar, ohne dass die Cash Cow Media-Saturn aufhört „Milch“ zu geben?
Die Chance von Media-Saturn wird am ehesten in einem differenzierten Baustein-System unterschiedlicher Multi-Marketing-Channels über ggf. eine Mehrmarkenkonzept liegen. Das sowohl - als auch wird hier der Schlüssel zum Erfolg sein: Produkte zum Erleben und Anfassen, schnelle und unkomplizierte Bestellung 24 Stunden übers Internet und bei Bedarf buchbare lokale Serviceleistungen rund um die Produkte.

Egal wie der Streit rechtlich beurteilt und ausgehen werden wird. Es bleibt zu hoffen, dass er dem Unternehmen als Ganzes, als miniaturgesellschaftliches System nützt und nicht scheitert. Führungskräfte und Gesellschafter dienen ihrer Organisation und nicht umgekehrt!
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Über Prof. Dr. Christoph Schließmann
Prof. Dr. Christoph Ph. Schließmann ist Wirtschaftsanwalt und Fachanwalt Arbeitsrecht in Frankfurt am Main und berät und begleitet seit über 20 Jahren Unternehmen, Unternehmer, Aufsichtsräte, Vorstände und Geschäftsführer in Fragen der Unternehmens-, ... mehr
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