(PM) , 27.11.2006 - Von Gunnar Sohn
München/Düsseldorf - Für das Zustandekommen und den Erfolg von Mobile Business ist in jedem Unternehmen eine spezifische Kombination von internen und externen Faktoren verantwortlich. Zwar werden Mobility-Lösungen schon seit vielen Jahren diskutiert, letztlich hängt ihr Erfolg aber immer von der Anwendung im Einzelfall ab. Bei einem Experten-Gespräch des Wirtschaftskuriers in Düsseldorf diskutierten Mehdi Schröder, Vice President Enterprise Sales der Ericsson Deutschland GmbH, Christoph Ferdinand, Geschäftsführer des ITK-Systemintegrators Damovo in Neuss und Sebastian Paulke vom Beartungshaus Mind Business Consultants über die Entwicklung mobiler Kommunikationstechnik, deren Anwendung und Auswirkungen auf unternehmensinterne Arbeitsorganisation.
„Das Unternehmen des 21. Jahrhunderts entwickelt sich kontinuierlich zu einer weniger starren, demokratischeren Organisation“, schreiben die amerikanischen Wissenschaftler Thomas W. Malone und Robert Laubacher vom Massachusetts Institute of Technology. „Viele Unternehmen beschäftigen sich mit dem Thema Mobilität, doch nicht jeder definiert es gleichartig“, skizziert Mehdi Schröder die teilweise unübersichtliche Landschaft mobiler Anwendungen. Jeder verstehe etwas anderes unter Mobilität: „Ist ‚mobil’, wenn ich ein GSM Handy in der Hand habe, und ich habe auch meine Mitarbeiter damit ausgestattet? Ist es der Einsatz nur eines einzigen Endgerätes? Und führt es zu Mehrwert im Unternehmen? Meint man damit den Gebrauch von PC-Karten auf einem Notebook? Theoretisch geht das alles“, so Schröder. Die Einführung von Laptops im Außendienst habe schließlich nicht gleich zu einem mobilen Vertriebsprozess geführt, und die Einführung von Mobiltelefonen nicht unmittelbar die universelle Erreichbarkeit bewirkt. Der Einsatz von One Phone Konzepten, Push Mail, Mobile Office Anwendungen, Remote-Zugängen zu Unternehmensnetzwerken verbreite sich rasant in Unternehmen. Klare Strategien seien aber oft nicht erkennbar. In der Praxis stelle die Heterogenität der vorhandenen Technik dann oft ein Problem dar. „Die Schwierigkeit wird darin bestehen, die Technologien, die alle auf unterschiedlichem technischen Stand sind, so zu integrieren, dass sie nahtlos miteinander funktionieren“, bestätigt Sebastian Paulke.
Wie aber steht es um die Realisierungskurve beim Mobile Business? Einig war sich die Runde, dass die Adaption neuer, mobiler Kommunikationstechnik zunächst eine technische Integration durchlaufen müsse. Netzwerke und mobile Übertragungsverfahren müssten in ausreichender Qualität und zu akzeptablen Preisen zur Verfügung stehen. „Viele Unternehmen sind allerdings etwas überfordert, die Dinge zusammenzuführen, weil die Komplexität mittlerweile zu groß geworden ist“, sagt Damovo-Geschäftsführer Christoph Ferdinand. Er sieht außerdem „eine gewisse Sorglosigkeit, was die Sicherheitsproblematik im Umgang mit mobilen Endgeräten angeht.“ Auch Fehlerquellen würden häufig unterschätzt. „Die rein technische Anbindung ist oft nicht das Kernproblem“, bestätigt Paulke, der auch Redakteur des Fachportals Voice Community ist. Bei der Einbindung in die Business-Prozesse und die Business-Routine hapere es dagegen noch.
Damovo hat erst in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit den Analysten von Berlecon Research eine Studie erarbeitet, die unter anderem Verbreitung und Potenzial von Mobility Lösungen untersucht hat. Grundsätzlich unterscheidet die Studie zwei Arten von Mobility-Lösungen: horizontale Lösungen, die für viele Mitarbeiter eines Unternehmens relevant sein können und vertikale Lösungen, die einzelne Prozesse optimieren sollen. Demnach haben viele Unternehmen mittlerweile Mobile-Mail-Lösungen im Einsatz oder in der Planung. 56 Prozent nutzen sie bereits, 17 Prozent beabsichtigen ihre Einführung.
Mobile Lösungen zur Unterstützung des Vertriebs sind dagegen bei 23 Prozent, zur Unterstützung von Servicetechnikern bei 15 Prozent der befragten Firmen im Einsatz.
Große Unternehmen setzten dabei stärker auf mobile Lösungen als kleinere, für die die Studie noch enormes Wachstum prognostiziert. An erster Stelle stehe grundsätzlich die Absicht, Arbeits- und Abstimmungsprozesse zu beschleunigen und mobilen Mitarbeitern den Zugriff auf nötige Informationen zu gewähren, so Ferdinand. Als große Herausforderung bei der Einführung von Mobility-Lösungen werten die Unternehmen aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen die Gewährleistung der Sicherheit. Erwartete Kosteneinsparungen dagegen hätten bei den Befragten weniger Gewicht gehabt als die Aussicht, die eigenen Prozesse effizienter gestalten zu können. Besonders stark verbreitet, so Ferdinand, sei der Einsatz mobiler Lösungen zur Unterstützung von Servicetechnikern bei unternehmensnahen Dienstleistungen.
Wichtig sei zudem, dass auf der Ebene der Entscheider Akzeptanz geschaffen werden müsse. „Das größte Problem ist, dass dieses ganze Thema von vielen Unternehmen noch viel zu unstrategisch angegangen wird. Man muss klar aufzeigen, wo der Wertschöpfungsprozess letztlich ist, wenn man solche Technologien einsetzt“, stellt Mehdi Schröder fest. „Das mobile Unternehmen der Dienstleistungsgesellschaft unterscheidet sich auch intern drastisch vom nichtmobilen Betrieb der Industriegesellschaft. Die Technologie kann die Geschäftsprozesse unterstützen, aber die Geschäftsprozesse müssen dann auch zwingend an die Möglichkeiten angepasst werden.“ Modelle wie das Ericsson One Phone Konzept, die Verschmelzung von Festnetz und Mobiltelefon, erforderten das Zusammenspiel zwischen Carrier, Operator, Integrator, Hersteller und Anwender-Unternehmen. Betriebe, deren Firmenkultur vom Althergebrachten abweiche, würden sich sicher auch mit dem Thema Mobile Business leichter tun. Wirtschaft, Gesellschaft, Verbände und Politik seien oft noch dem Denken der Industriegesellschaft der 60er und 70er Jahre verhaftet und längst nicht in der Service-Gesellschaft angekommen: Mobile Business sei daher auch eine Frage der Firmenkultur.
„Kontrolle, hierarchische Organisation, physische Anwesenheit besitzen häufig noch hohe Priorität. Effizienz und Flexibilität hingegen nicht: Es geht nicht um Anwesenheit, sondern es geht um das Ergebnis. Wenn von oben vorgegeben wird, wie man zu arbeiten hat, dann wird sich das unten genauso weiter fortsetzen. Die erfolgreichen Unternehmen sind die, die schnell sind und nicht die, die groß sind“, erklärt Schröder. Die Organisationstheoretiker Laubacher und Malone vertreten die Ansicht, dass große Unternehmen durch diese neu gewonnene Freiheit nichts von ihren Größenvorteilen einbüßen, zusätzlich aber an Dynamik gewinnen und einen besseren persönlichen Service bieten. „Allein unsere Phantasie hinkt der Technologie hinterher“. Netzwerkmanagement sei für den deutschen Mittelstand, der im Vergleich zu nordischen Staaten eine weitaus geringer ausgebildete Kultur im Beziehungsmanagement besitze, eine zentrale Herausforderung der nächsten Jahre. Malone ist in seiner Wortwahl unmissverständlich. „Der Westen muss seine Wirtschaft transformieren, wenn er nicht zum Friedhof des Industriezeitalters verkommen will.“
Veränderte Unternehmensstrukturen hat Sebastian Paulke allerdings auch in Deutschland schon ausgemacht: Zahlreiche Freelancer arbeiteten bereits stark in Netzwerken. „Diese Arbeitsorganisation fördert natürlich die Möglichkeiten der mobilen Kommunikation.“ Damovo-Geschäftsführer Ferdinand warnt allerdings davor, alles technisch Machbare auch verwirklichen zu wollen. Schließlich sei die Gefahr, dass Mitarbeiter auch die Bindung an ein Unternehmen verlieren, bei dezentralen Strukturen ungleich höher. „Und das Unternehmen hat ja ein Interesse daran, auch gute Mitarbeiter zu binden. Präsenz ist also bei aller wünschenswerten Verbesserung der Kommunikationsstrukturen durch mobiles Arbeiten wichtig für die Unternehmenskultur.“ Dabei müsse die gesamte Organisation lernen.
Außerdem dürften die technischen Möglichkeiten nicht mehr nur unter Aspekten der Kostensenkung betrachtet werden. Die Technik müsse „unbedingt auch zur Kundenbindung eingesetzt werden.“ Web 2.0 sei ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang. Derzeit bekämen Unternehmen teilweise gar nicht mit, wie sie eingeschätzt würden: „Da wird heute schon über Unternehmen, über Produktqualität, über Dienstleistungsqualität diskutiert. Da geht es vielleicht auch um ihre Unternehmensstrategien und sie kriegen es im Zweifelsfall noch nicht einmal mit. Das sind einfach Dinge, denen man sich heute als Unternehmen stellen muss, um es mitzugestalten.“
Ericsson-Manager Schröder verweist auf die Baumarktkette Hornbach: „Sie setzt zu Kundenbindung und Kundengewinnung auf Mobile Marketing, One-to-One-Marketing in Form von Angeboten per SMS beispielsweise oder Push Mail.“ Ähnlich arbeiten Kfz-Werkstätten, um ihre Kunden auf anstehende Hauptuntersuchungen ihres Fahrzeugs hinzuweisen. „Die Technik muss für das Unternehmen wertschöpfend sein.“
Vage sind die Prognosen der Expertenrunde bei der Frage, bis wann sich mobile Kommunikation und Mobile Business durchsetzen werden: „Manche sind schon sehr weit“, sagt Mehdi Schröder und erwähnt die baltische Republik Litauen. „Ein Land, das vor einigen Jahren technisch noch hinter Deutschland lag. Heute ist es dort selbstverständlich, dass man mit einem mobilen Endgerät seine Parkuhr oder sein Essen im Restaurant bezahlt.“ In Deutschland sei es dagegen schon schwer, ein Taxi zu finden, das Kreditkarten akzeptiere. Die Massenanwendungen würden von Region zu Region und von Land zu Land unterschiedlich angenommen. Wie im einzelnen Unternehmen sei es auch in der Masse eine Frage der Kultur. In Europa werde sicherlich Großbritannien eine Vorreiterrolle einnehmen, gemeinsam mit den Skandinaviern. Deutschland sei wie so oft ein wenig später dran. „Allerdings muss sicher nicht jedes Unternehmen jedem Trend folgen. Es wird die Early Adopter, die First Mover geben. Es wird auf der anderen Seite die geben, die erst mal abwarten, bis Kinderkrankheiten ausgemerzt sind.“ Grundsätzlich dürfe die eingesetzte Technik nach Ansicht von Christoph Ferdinand irgendwann überhaupt keine Rolle mehr spielen, wenn man nur erreichbar sei und gerade die Information bekommen könne, die man verlange und benötige. „Ich glaube, dass diese Grenzen, die wir heute noch kennen zwischen den einzelnen Geräteformen, sich mehr oder weniger auflösen werden. Was aber nicht bedeutet, dass es keinen Computer mehr geben wird oder dass wir keine Tastatur mehr benutzen“, so das Fazit von Sebastian Paulke.