Pressemitteilung, 10.11.2006 - 08:07 Uhr
Perspektive Mittelstand
Arbeitsrecht / Betriebsverfassungsrecht - Tendenzunternehmen; karitative Bestimmung
(PM) , 10.11.2006 - Das Bundesarbeitsgericht hatte kürzlich einen Streit zu entscheiden, bei dem die Beteiligten über die Rechtmäßigkeit der Bildung eines Wirtschaftsausschusses sowie über die Wirksamkeit eines Spruchs der Einigungsstelle, durch den die Antragsteller verpflichtet wurden, dem Wirtschaftsausschuss bestimmte Informationen zu erteilen und Unterlagen zur Kenntnis zu geben (Bundesarbeitsgericht, 7-ABR-24/05; Beschluss vom 15.03.2006; Verfahrensgang: LAG Niedersachsen - 8 TaBV 82/04 - 23.5.2005; ArbG Hannover - 6 BV 16/03 - 24.6.2004). Der Antragsteller waren ein gemeinnütziger Verein sowie eine GmbH. Sie wurde gegründet, um Aktivitäten wahrzunehmen, die die Anerkennung der Gemeinnützigkeit des Vereins gefährden würden.Der Verein und die Gesellschaft führen ein Wohnstift für ältere Menschen als gemeinsamen Betrieb. In dem Wohnstift leben 530 Bewohner. Sie wohnen überwiegend in Appartements. Dazu schließen sie Mietverträge mit dem Verein und gewähren diesem Darlehen, mit denen er das Anlagevermögen ganz oder teilweise finanziert. Bei Bedarf können Pflege- und sonstige Unterstützungsleistungen in Anspruch genommen werden. Der Verein verfügt über eine Pflegestation, in der eine Reihe von Bewohnern stationär betreut werden. Bei Einleitung des vorliegenden Verfahrens waren 44 der insgesamt 530 Bewohner dort untergebracht. Im Zeitpunkt der Anhörung der Beteiligten vor dem Arbeitsgericht am 24. Juni 2004 handelte es sich um 45 Personen. Weitere Pflegefälle werden ambulant betreut; eine Reihe von Bewohnern sind dement, verschiedene Bewohner nehmen Leistungen der Behandlungspflege in Anspruch. Der Verein und die Gesellschaft beschäftigen umgerechnet 130 Vollzeitarbeitnehmer. Diese leisten regelmäßig insgesamt 4545,75 Arbeitsstunden pro Woche. Hiervon entfallen auf den Bereich der stationären Pflege 913,25 Stunden, auf den Bereich der Nachtwachen 276 Stunden und auf den Bereich der ambulanten Pflege 1252 Stunden. 862 dieser Stunden ambulanter Pflege werden als Pflegeleistung gegenüber der Pflegeversicherung abgerechnet, davon 23,1 % nach Pflegestufe I, 46,5 % nach Pflegestufe II und 30,3 % nach Pflegestufe III. Für die Leitung des Bereichs Betreuung, Pflege und Therapie werden 63,50 Stunden, für die therapeutische Abteilung 275 Stunden, für Veranstaltungen und Empfang 256 Stunden und für Qualitätsmanagement 25 Stunden aufgewandt. In sonstigen Bereichen fallen für Verwaltung 417,50 Stunden, für das Vermietbüro 50 Stunden, für Gebäudemanagement 231 Stunden, für die Küche 561 Stunden, für die Wirtschaftsabteilung 117 Stunden, für Sonstiges 69 Stunden und für die Freistellung von Betriebsratsmitgliedern 38,50 Stunden an. Im Juli 2002 bildete der Betriebsrat einen Wirtschaftsausschuss. Durch Spruch der Einigungsstelle vom 4. Dezember 2003 wurde der Verein verpflichtet, dem Wirtschaftsausschuss die Jahresabschlüsse (Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen und Lageberichte) sowie die Abschlussbewertungen der jeweiligen Wirtschaftsprüferberichte für die Jahre 2000 und 2001 sowie für die Folgejahre, den Haushaltsplan einschließlich Investitionsplan für das Jahr 2003 und die Folgejahre zur Kenntnis zu geben und zu erläutern und die jeweils vom Vorstand zur Kenntnis genommenen Quartalsberichte einschließlich etwaiger Änderungen des Haushaltsplans mitzuteilen. Die Gesellschaft wurde verpflichtet, dem Wirtschaftsausschuss die Jahresabschlüsse rückwirkend ab dem Jahr 2000 zur Verfügung zu stellen. Das am 14. Dezember 2003 vom Vorsitzenden der Einigungsstelle schriftlich abgefasste und unterzeichnete Protokoll über die Sitzung der Einigungsstelle vom 4. Dezember 2003 ging den Antragstellern am 22. Dezember 2003 zu. In Unternehmen, die unmittelbar und überwiegend karitativen Bestimmungen dienen, ist nach § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG kein Wirtschaftsausschuss zu bilden. Ein Unternehmen dient karitativen Bestimmungen iSv. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG, wenn es sich den sozialen Dienst am körperlich oder seelisch leidenden Menschen zum Ziel gesetzt hat und seine Tätigkeit auf die Heilung oder Milderung oder die vorbeugende Abwehr der inneren oder äußeren Nöte solcher Hilfsbedürftiger gerichtet ist, sofern die Betätigung ohne Gewinnerzielungsabsicht erfolgt und das Unternehmen selbst nicht von Gesetzes wegen unmittelbar zu derartiger Hilfeleistung verpflichtet ist. Verfolgt ein Unternehmen sowohl karitative als auch andere als in § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG genannte Zwecke (sog. Mischunternehmen), besteht der Tendenzschutz nur, wenn die karitative Bestimmung überwiegt. Das ist der Fall, wenn das Unternehmen seine personellen und sonstigen Mittel regelmäßig in größerem Umfang zur Verwirklichung karitativer als nicht karitativer Zwecke einsetzt. Bei personalintensiven Betätigungen ist in erster Linie auf den zeitlichen Umfang des Personaleinsatzes abzustellen. Betreibt ein Unternehmen ohne Gewinnerzielungsabsicht ein Wohnstift für ältere Menschen, in dem sowohl nicht pflegebedürftige als auch pflegebedürftige ältere Menschen leben, die dort ggf. ambulant oder auf einer Pflegestation gepflegt werden, besteht Tendenzschutz nach § 118 Abs. 1 BetrVG, wenn der überwiegende Teil der Arbeitszeit des von dem Unternehmen beschäftigten Personals für den pflegerischen Bereich aufgewandt wird. Diesem Bereich sind nicht nur Pflegeleistungen zuzuordnen, die gegenüber der Pflegeversicherung abgerechnet werden können, sondern auch sonstige Hilfeleistungen gegenüber Bewohnern, die diese altersbedingt bei alltäglichen Verrichtungen benötigen.Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dient ein Unternehmen karitativen Bestimmungen, wenn es sich den sozialen Dienst am körperlich oder seelisch leidenden Menschen zum Ziel gesetzt hat und seine Tätigkeit auf die Heilung oder Milderung oder die vorbeugende Abwehr der inneren oder äußeren Nöte solcher Hilfsbedürftiger gerichtet ist, sofern diese Betätigung ohne die Absicht der Gewinnerzielung erfolgt und das Unternehmen selbst nicht von Gesetzes wegen unmittelbar zu derartiger Hilfeleistung verpflichtet ist. Karitatives Handeln iSv. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG setzt keine besonders schwerwiegende Hilfsbedürftigkeit voraus. Entscheidend ist allein, ob die Menschen, denen die Hilfe dienen soll, überhaupt in dem beschriebenen Sinne hilfsbedürftig sind. Auf den Grad der Hilfsbedürftigkeit kommt es nicht an. Fehlende Gewinnerzielungsabsicht bedeutet nicht, dass die Hilfeleistung für leidende Menschen unentgeltlich oder allenfalls zu einem nicht kostendeckenden Entgelt geschieht. Es genügt vielmehr, dass der Träger des Unternehmens seinerseits mit seiner Hilfeleistung keine eigennützigen Zwecke im Sinne einer Gewinnerzielungsabsicht verfolgt. Das ist auch dann der Fall, wenn er bis zur Höhe der Kostendeckung Einnahmen aus der Betätigung erzielt. Diese Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht entgegen der Auffassung des Betriebsrats seit der Entscheidung vom 29. Juni 1988 unverändert beibehalten. Verfolgt ein Unternehmen sowohl karitative Bestimmungen als auch andere, nicht von § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erfasste Zwecke (sog. Mischunternehmen), besteht der Tendenzschutz nur, wenn die tendenzgeschützte karitative Bestimmung überwiegt. Denn nach § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG kommt der Tendenzschutz nur solchen Unternehmen und Betrieben zugute, die den in der Vorschrift genannten Bestimmungen überwiegend dienen. Dabei ist es - anders als bei der Vorgängerregelung in § 81 BetrVG 1952, die das Merkmal überwiegend nicht enthielt - nicht von Bedeutung, ob die tendenzgeschützte Bestimmung dem Unternehmen in einem qualitativen Sinne das Gesamtgepräge gibt. Maßgebend sind vielmehr allein quantitative Gesichtspunkte. Ob ein Mischunternehmen überwiegend tendenzgeschützten Bestimmungen dient, richtet sich deshalb danach, in welchem Umfang und mit welcher Intensität das Unternehmen seine Tätigkeit diesen Bestimmungen im Vergleich zu seinen anderen, nicht tendenzgeschützten Zielen widmet. Es kommt darauf an, in welcher Größenordnung das Unternehmen seine personellen und sonstigen Mittel zur Verwirklichung seiner tendenzgeschützten und seiner nicht tendenzgeschützten Ziele regelmäßig einsetzt. Bei personalintensiven Betätigungen ist in erster Linie auf den Personaleinsatz abzustellen, dh. auf die Arbeitsmenge, die regelmäßig zur Erreichung der verschiedenen Unternehmensziele aufgewendet wird. Zur Ermittlung des auf die tendenzgeschützten Bestimmungen des Unternehmens entfallenden Personaleinsatzes ist nicht nur auf die Tendenzträger abzustellen, sondern auch auf die übrigen Mitarbeiter, soweit sie mit ihrer Arbeit der Verwirklichung der tendenzgeschützten Bestimmungen des Unternehmens dienen, zB indem sie die technischen Voraussetzungen für die Tendenzverwirklichung schaffen. (Quelle: Lexinform)Mitgeteilt von: rechtsanwalts-TEAM.de Warm & Kanzlsperger in Paderborn, Rechtsanwalt Martin J. Warm, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Steuerrecht, Anwalt für Mittelstand und Wirtschaft www.rechtsanwalt-in-paderborn.de; http://www.rechtsanwalts-TEAM.de