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Fachartikel, 23.01.2009
Wissensmanagement und –bilanzierung – Teil 6
Wissensmanagement wird unverzichtbar
Die Ressource „Wissen“ ist der Rohstoff, der im Wettbewerb der Zukunft die Gewinner und Verlierer macht. Alleine Wissen aufzubauen,  reicht jedoch nicht aus. Worauf es ankommt, ist zudem die Fähigkeit, durch ein gezieltes Wissensmanagement die eigenen Ressourcen optimal zu nutzen. Hierfür muss ein Unternehmen aber erstmal wissen, über welches Wissen, welche Fähigkeiten und Ressourcen es verfügt. Von daher ist speziell für größere Unternehmen, so zeigten sich Experten auf dem Freiburger Mittelstandskongress einig, eine Wissensbilanzierung auf die Dauer unverzichtbar.
Ist das Wissen eines Unternehmens wirklich bilanzierbar und in welcher Hinsicht zahlt sich eine Wissensbilanzierung für ein Unternehmen aus? In einem Podiumsgespräch mit Dieter Römer, Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins ProFirma, gaben Wissensmanagement-Experten und Unternehmer darauf Antwort und erklärten, warum der Aufwand einer Wissensbilanzierung lohnt. Dabei nahmen die Experten auch zu rechtlichen Aspekten sowie dem Stellenwert von Wissensmanagement im Hinblick auf das Employer Branding bzw. dessen den Einfluss auf die Attraktivität der Arbeitgebermarke Stellung. Gesprächsteilnehmer waren:
  • Kirsten Hirschmann, Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Hirschmann Laborgeräte GmbH & Co. KG in Eberstadt und Vizepräsidentin des Weltvorstandes der Wirtschaftjunioren.
  • Prof. Dr. Friedrich Augenstein vom Kompetenzzentrum Unternehmensberatung der Berufsakademie Stuttgart.
  • Prof. Günter Koch aus Wien, Generalsekretär des Club of Paris. Er gilt als Erfinder der Wissensbilanz.
  • Dr. Oliver Kriessl, Leiter des Bereichs Kundenbeziehungen der badenIT GmbH in Freiburg. Er hat für einen Unternehmensteil eine Wissensbilanz erstellt.
  • Rainer Schütterle, Finanzfachwirt und Kooperationspartner der VVK Vermögensverwaltungs GmbH Karlsruhe und Vizepräsident KSC Karlsruher Sport Club. Er hat für den KSC die Erstellung einer Wissensbilanz eingeleitet.

Frage: Es gibt eine Menge Kritiker, die sagen, eine Wissensbilanz ist wachsweich. Was lässt sich messen und was nicht?

Koch: Nur 5% der Materie des Weltraums kennt man, d.h. kann man analysieren und messen, 95% ist unbekannt. Ist die Physik deshalb wachsweich? In den Firmen, so sagen die Statistiken, liegt der nichtmessbare Anteil des Unternehmenswertes bei 80%. Die wesentliche Leistung der Wissensbilanz liegt darin, Dinge, die man sowieso weiß und tut, aber nicht so recht im Zusammenhang verstanden hat, sich klar zu machen, Systematik in den Prozess zu tragen, sprachlich zu fassen, Zusammenhänge zu kommunizieren und sie und sich vergleichen zu können. Das ist sicherlich schwer zu verkaufen, weil am Ende keine glasharten Euro-Beträge dastehen.

Frage: Wie schafft man es, solche nicht messbaren Daten in den Jahresabschluss einfließen zu lassen?

Kriessl: Natürlich ist die absolute Bewertung der Einflussfaktoren des Human-, Struktur- und Beziehungskapitals subjektiv. Es werden aber Indikatoren definiert, die sich messen lassen und eine Entwicklung anzeigen. Daran lässt sich ablesen, ob die eingeleiteten Maßnahmen wirken. Und nochmals: wichtig sind die Gesamtheit der Betrachtung, die Vernetzung der Einflussfaktoren und die Wechselwirkungen untereinander.

Frage: Gibt es bestimmte Teile des Wissens im Unternehmen, das man nicht messen kann oder es zu messen nicht lohnt?

Augenstein: Als Geschäftsführer und insbesondere als Controller ist man immer bemüht, Sachverhalte in Zahlen auszudrücken und damit entzieht sich kein Bereich im Unternehmen der Messung und der Kontrolle. Qualitatives quantitativ messbar zu machen, gibt es schon lange. Beispielsweise die Messung der Motivation mit Hilfe des Krankenstandes oder die Schnelligkeit von Produktinnovationen mit Hilfe des Umsatzanteils neuer Produkte. Das sind belastbare und harte Ersatzindikatoren. Das ist modernes Controllingverständnis.

Frage: Wie alt darf eine Wissensbilanz sein, und wie oft muss man sie aktualisieren, damit sie nach innen und außen überhaupt sinnvoll ist?

Schütterle: Es hängt meines Erachtens von der Kontinuität des Geschäftes ab. Der Profi-Fußball ist ein kurzfristiges Geschäft. Wir müssten eine Wissensbilanz eigentlich jedes Jahr machen, insbesondere bei Auf- und Abstiegen, weil die Unterschiede zwischen der ersten und zweiten Liga gravierend sind.

Kriessl: Ich würde für unser Unternehmen einen Zweijahres-Rhythmus als ausreichend ansehen, weil auch die Maßnahmen zur Verbesserung des intellektuellen Kapitals eher mittelfristiger Natur sind und die Ergebnisse sich nicht unbedingt in Jahresfrist einstellen. Kurzfristiger ist das bei der Balanced Score Card oder bei Gewinn- und Verlustrechnungen zu sehen. Entscheidend ist, mit den Erkenntnissen permanent zu arbeiten und diese nicht aus den Augen zu verlieren.

Frage: Kann man eine Wissensbilanz fortschreiben, sodass der Aufwand in Folge nicht so hoch ist wie beim ersten Mal?

Augenstein: Das liegt in der Logik und in der Lernkurve. Wenn man ein Führungsinstrument erstmalig erstellt, ist naturgemäß der Aufwand höher als in der Zeit danach. Das zeigen auch die Erfahrungsbereichte der Unternehmen, die jetzt schon einige Jahre mit dem Instrument arbeiten.

Frage: Was muss man aus welchen Bereichen sammeln, damit eine Wissensbilanz den Namen auch richtig verdient?

Koch: Das ist ein heikles Thema. In Österreich gibt es ein Gesetz, dass die Universitäten verpflichtet, jährlich eine Wissensbilanz zu erstellen. Bei der ersten Wissensbilanz wollte das zuständige Wissenschaftsministerium eine Erhebung vorschreiben, die 150 Indikatoren umfasste. Diese konnten auf 50 reduziert werden. 20 halte ich für maximal, es sollten weniger als 10 sein. Da es in den letzten Jahren gelungen ist, komplexe Zusammenhänge in wenigen Kennzahlen darzustellen, empfehle ich den Unternehmen, bei der erstmaligen Erstellung mit 5 oder 6 aussagefähige Kriterien zu beginnen, sowie das an Zahlenmaterial zu verwenden, was schon da ist und nur einen höchsterträglichen Aufwand zu investieren. Eine Ergänzung und Verfeinerung kann bei einer nächsten Fortschreibung erfolgen.

Frage: Frau Hirschmann beschäftigt sich intensiv mit Corporate Social Responsibility (CSR). Wie weit ist das Sammeln von Daten eigentlich legitim, wenn es um so etwas Sensibles wie Mitarbeiterwissen geht?

Hirschmann: CSR und Wissensbilanzierung sind unterschiedliche Bereiche. CSR war ein Arbeitschwerpunkt der WJ im Jahr 2007. Hier geht es um das gesellschaftliche Engagement von Unternehmen. Und es bestand die Gefahr, dass eine ISO für gesellschaftliches Engagement geschaffen werden sollte. Dagegen haben die Wirtschaftsjunioren sich ausgesprochen. Man kann nicht von Bürokratieabbau sprechen und gleichzeitig neue Bürokratie aufbauen. CSR muss ein freiwilliges Thema bleiben. Ähnlich sehe ich das mit der Wissensbilanz. Gerne nehme ich den Gedanken der Wissensbilanz für mich persönlich auf und schaue, was man aus diesem Dach machen kann.

Frage: Wem gehört das Wissen im Unternehmen, und wem gehört das Wissen der Mitarbeiter? Darf der Unternehmenschef dieses Wissen einfach abgreifen? Darf er gewissermaßen verlangen, dass der Mitarbeiter sein Gehirn auf dem Schreibtisch des Firmenchefs ausbreitet?

Kriessl: Wenn er das nicht dürfte, wäre es in meinen Augen katastrophal. In unserem System werden wir ausgebildet und lassen ausbilden, damit Menschen für eine Organisation wertschöpfend tätig werden können. Der Mensch hat das Wissen, das Unternehmen die Struktur und die Beziehungen. Entscheiden ist, wofür das Wissen eingesetzt wird.

Koch: Die auch rechtliche Übereinkunft in der Wirtschaft ist, dass das, was ein Mitarbeiter an Wissen ins Unternehmen einbringt, vom Unternehmen verwertet werden darf und der Mitarbeiter dafür entlohnt wird bzw. daran partizipiert.

Frage: Verändert das Erstellen oder das Vorhandensein einer Wissensbilanz etwas an der Innensicht im Unternehmen? Fühlen sich Mitarbeiter auch besser informiert, oder fühlt sich nur das Management besser informiert?

Schütterle: Ich glaube, dass die Mitarbeiter bei der Erstellung viel mitgenommen haben, insbesondere die Sichtweise anderer Abteilungen, weil gemeinsam über Themen gesprochen wurde. Man sollte von Anfang an einen externen Moderator dabei haben, der die Emotionen rausnimmt und das Eis bricht. Und jeder der mitwirkt, muss bereit sein, sein Wissen preiszugeben.

Kriessl: Meine Meinung ist, dass die Mitarbeiter sogar sehr viel davon profitieren. Es werden Probleme und Stärken gleichermaßen transparent gemacht und man bekommt aufgrund der Offenheit, die eine Wissensbilanz mit sich bringt, ganz andere Einblicke.

Frage: Haben Sie, Herr Prof. Augenstein, auch die Erfahrung gemacht, dass die Mitarbeiter davon profitieren und das auch merken?

Augenstein: Aus meiner Sicht fördert das Thema Wissensmanagement, dass der Mitarbeiter wieder verstärkt in den Mittelpunkt unternehmerischer Betrachtung rückt. Er wird nicht mehr als Kostenfaktor im negativen Sinn sondern vor dem Hintergrund des demografischen Wandels als Humankapital im positiven Sinn verstanden. Die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber nimmt ab. Einmal Daimler, immer Daimler gilt nicht mehr. Das ist die Folge, dass die Loyalität zu einem guten Teil von den Arbeitgebern aufgekündigt wurde. Die neue ökonomische Loyalität kann man mit Berufsabschnitts- oder Karriereabschnitts-Partnerschaft umschreiben. Umso wichtiger ist CSR für die Mitarbeiterbindung. Eine Beratungsgesellschaft hat einmal gesagt: Able to leave, happy to stay.

Frage: Muss das Wissen auch von oben nach unten zu den Mitarbeitern fließen oder nur in Richtung der Unternehmensleitung?

Hirschmann: Ganz klar muss das Wissen von oben nach unten fließen. Ansonsten fühlt sich der Mitarbeiter nicht einbezogen. Der Informationsfluss ist absolut entscheidend. Wir haben eine Hauszeitschrift, in der wichtige Themen kommuniziert werden. Wir haben verschiedene Workshops in den unterschiedlichen Bereichen. Vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels in Baden-Württemberg wird CSR immer bedeutender. Wir müssen uns um unsere Frauen mehr kümmern. Das Bild der Frau hat sich gewandelt. Die Frau von heute will Kinder und auch wieder in den Beruf zurück. Wir entwickeln derzeit mit anderen mittelständischen Unternehmen nicht nur eine reine Kinderbereuung sondern eine hoch qualifizierte Dienstleistung mit weiteren Angeboten, wie z.B. mit sportlichen Aktivitäten, musischen Aktivitäten, Sprachen und frühkindliche Förderung.

Frage: Zum Schluss noch eine Prognose von Ihnen allen, wie sich Wissensbilanzierung im Mittelstand in den nächsten drei Jahren durchsetzen wird. Bleibt sie ein Randthema, oder glauben Sie, dass sie sich etablieren wird?

Kriessl: Ich bin der Meinung, dass die Wissensbilanzierung an Bedeutung erheblich gewinnen wird. Insbesondere in den Unternehmen, in denen Know-how erforderlich und Wissen ein ganz entscheidendes Gut ist. Also somit auch bei jedem Mittelständler.

Koch: Ich wünsche der Wissensbilanz eine ähnlichen Erfolg wie der Balanced Score Card. Erfolgsfaktor zur weiteren Verbreitung ist eine wirtschaftliche Erstellung. Die Wissensbilanz hat das Potenzial, sich als integratives Tool zu entwickeln. Da die Verständlichmachung von Produkten und Verfahren immer schwieriger wird, weil die Wirtschaft sich in Bereiche verlagert, die nicht mehr so anschaulich materiell sind wie vor Jahrzehnten, könnte ein solches oder ähnliches Tool für die „neue Ökonomie“ erfolgreich werden.

Schütterle: Ich denke, dass der Anteil der Unternehmen, die mit einer Wissensbilanz arbeiten, sich erhöht, auch wenn die Unternehmen immer wieder andere Probleme zu lösen haben. Veranstaltungen wie diese werden dazu beitragen, die Wissensbilanz stärker in den Köpfen zu verankern.

Augenstein: In Politik, Wirtschaft und Wissenschaft wird gesagt, dass der Produktionsfaktor Wissen an Bedeutung zunimmt. Unternehmen, die kein Wissensmanagement betreiben, werden früher oder später nicht mehr überleben. Ich denke, dass strukturierte Verfahren, wie die Wissensbilanzierung, in der unternehmerischen Wirklichkeit stark verankert sein werden.

Hirschmann: Ich denke, die Wissensbilanz wird sich durchsetzen. Auch deshalb, weil das Thema mehr in die Öffentlichkeit kommen wird und die Banken die Wissensbilanz als Teil des Ratings ansehen werden. Die Wissensbilanzierung wird sich entwickeln, allerdings nicht so stürmisch, weil der Mittelstand sich primär mit anderen Aufgaben zu beschäftigen hat.

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Um zum ersten Teil der Dokumentation zur Podiumsdiskussion bzw. den anderen Beiträgen dieser Serie zu gelangen, klicken Sie bitte einen der nachfolgenden Hyperlinks.

Teil 1Grundlagen der Wissensbilanzierung 
Teil 2: Status Quo im Mittelstand 
Teil 3: Erstellung einer Wissensbilanz
Teil 4: Erfahrungsbericht IT-Dienstleister
Teil 5: Von der Theorie zur Praxis

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