Pressemitteilung, 08.05.2007 - 14:45 Uhr
Perspektive Mittelstand
„Wir könnten 500 Jahre pendeln“ – Kommt der Komplettumzug nach Berlin?
(PM) , 08.05.2007 - Von Ansgar Lange Bonn/Berlin - In der Literatur ist Bonn nicht immer gut weggekommen. Als die rheinische Universitätsstadt noch Sitz von Regierung und Parlament war, veröffentlichte der britische Romancier John Le Carré seinen Thriller „Eine kleine Stadt in Deutschland“. Bonn sei nur ein „nebliger, beschissener Ort“, von Verkehrslärm erfüllt, selbst im Wonnemonat Mai wochenlang von kaltem Nebel bedeckt, periodisch von Demonstrationszügen heimgesucht und durch Polizeihundertschaften nur mühsam zu sichern. In den Büchern Le Carrés wird die ehemalige Bundeshauptstand als „ein lausiges, unwirtliches Städtchen“ karikiert: „Bonn ist ein Dorf ... Es hat die Umgangsformen, die Phantasie und die Maße des Marktplatzes.“ Entweder regne es dort oder die Bahnschranken seien runter. Mittlerweile ist Berlin Hauptstadt und Bonn Bundesstadt. Doch noch immer sind einige Bundesministerien in Bonn angesiedelt. Diese Arbeitsteilung ist Grund genug für Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD), ganz schwere Geschütze aufzufahren. Die gegenwärtige Situation sei „eine einmalige Absurdität auf der Welt“ und eine „Fortsetzung der Teilung Deutschlands“. Von einem Germanisten könnte man eigentlich mehr Sprachgefühl erwarten, und von einem Politiker auf jeden Fall mehr Sachlichkeit. Die Diskussion über einen Komplettumzug nach Berlin sollte im Sinne aller Beteiligten nämlich am besten ohne Schaum vor dem Munde geführt werden. Günter Bannas hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) www.faz.net daran erinnert, dass die Aufteilung der Regierungsfunktionen zwischen der Bundeshauptstadt und der Bundesstadt eine Voraussetzung dafür war, dass im Sommer 1991 der Berlin-Auftrag im Bundestag eine knappe Mehrheit erhielt. Es war politisch gewollt, dass Bundesministerien ihren Sitz in Bonn haben und dass dort mehr Bundesbeamte arbeiten als in Berlin. Außerdem habe es sich historisch bewährt, dass Deutschland kein Zentralstaat, sondern ein Bundesstaat ist, so Bannas. Wie ist die derzeitige Situation? Ein Bericht des Bundesfinanzministeriums www.bundesfinanzministerium.de listet für 2006 insgesamt 66.000 Dienstreisen zwischen Bonn und Berlin auf. Die Bundesregierung beschäftigte an der Spree 33.750 Bedienstete, im Großraum Bonn noch 30.5000. „Das Bonn-Berlin-Gesetz sieht vor, dass sechs Politikbereiche in Bonn angesiedelt sind. Das entspricht nach dem derzeitigen Organisationsplan der Bundesregierung dem ersten Dienstsitz von sechs Ministerien: Umwelt; Bildung und Forschung; Gesundheit; Verbraucherschutz und Landwirtschaft; Verteidigung; Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Darin sind gut 9.000 Mitarbeiter beschäftigt. Diese ‚Bonn-Ministerien’ haben einen zweiten Dienstsitz in Berlin. Alle anderen Ministerien haben ihren ersten Dienstsitz in Berlin und einen zweiten in Bonn“, erläutert Monika Hörig, stellvertretende Pressesprecherin der Bundesstadt Bonn www.bonn.de. Was spricht aus Bonner Sicht für die Beibehaltung des Status Quo? Das wichtigste Argument sei die Einhaltung des Berlin-Bonn-Gesetzes, betont Hörig: „Nach unseren Erkenntnissen, die auf wiederholten Aussagen der Bundesregierung beruhen, funktioniert die Arbeitsteilung zwischen beiden Städten; in Zeiten moderner Kommunikationstechnik kann das auch kaum anders sein. Die jährlichen Reisekosten, die durch die Aufteilung der Ministerien entstehend, hat der Bundesrechnungshof mit rund zehn Millionen Euro beziffert, bei fallender Tendenz. Der Umzug der Bonner Ministerien nach Berlin wurde vor einigen Jahren vom Bundesbauministerium mit - bis heute unwidersprochenen – fünf Milliarden Euro angesetzt. Fazit: Wir könnten 500 Jahre pendeln. Allein die jährlichen Finanzierungskosten dieser Summe wäre ein Vielfaches der zehn Millionen, die tatsächlich anfallen. Die Einhaltung des Gesetzes ist somit für den Steuerzahler die bei weitem günstigste Lösung.“ Doch selbst die Kölnische Rundschau schreibt vom „Gegenwind“ für Bonn. Nur auf den ersten Blick könne die dreistündige Debatte des Haushaltsausschusses über das Bonn-Berlin-Gesetz das Rheinland beruhigen. Zwar gibt es mit Ausnahme der Linkspartei keine Fraktion, die einen – rechtlich zurzeit sowieso nicht möglichen – Komplettumzug an die Spree befürwortet. Die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag lassen sich noch nicht genau einschätzen. Doch es mehren sich die Anzeichen, dass eine Gesetzänderung immer mehr Befürworter findet. Die Abgeordneten aus NRW halten fraktionsübergreifend dagegen, dass bei einem Abzug der Ministerien 15.000 Arbeitsplätze und 220 Millionen Euro Kaufkraft verloren gingen. Auch die EU-Einrichtungen in Bonn seien dann gefährdet. Der ökonomische Erfolg Bonns (der Arbeitssamtsbezirk Bonn hatte im Jahr 2005 nach Rheine die zweitniedrigste Arbeitslosenquote in ganz NRW) ist kein Argument für einen Komplettumzug. Vielleicht haben sich die Bonner in den vergangenen Jahren einfach ein bisschen mehr angestrengt als die Berliner. Preußen reichte bekanntlich mal bis nach Koblenz. Unter dem Regierenden Bürgermeister Wowereit sind die preußischen Tugenden, insbesondere die Sparsamkeit, heute jedoch nicht mehr gefragt.