Fachartikel, 19.06.2015
Perspektive Mittelstand
Einkauf, Distribution & Co.
Vom Lieferant und Abnehmer zur Sourcing-Partnerschaft
Trotz aller Bemühungen um Kooperation: Die Kluft zwischen Abnehmer-Unternehmen und Lieferanten ist oft groß. Der Wettbewerbs- und Preisdruck macht den Aufbau dauerhafter Sourcing-Partnerschaften immer schwieriger. Doch es gibt Möglichkeiten, diese Kluft zu überwinden.

Die Konkurrenz ist groß, ebenso der Preisdruck. Viele Lieferanten und Zulieferer stecken in der Zwickmühle: Herausfordernde Verträge mit Preiszugeständnissen, aber begrenzter Laufzeit. Höhere Ansprüche an Qualität, Flexibilität und Service bei gleichzeitig steigenden Personal- und Materialkosten.

Besonders in der Automobilbranche ist die Abhängigkeit zwischen Hersteller und Zulieferer immens hoch, die Vernetzung weit vorangeschritten: Zulieferer übernehmen  nicht nur einen Großteil der Komponentenproduktion, sondern auch deren Entwicklung. Eine Geschäftsbeziehung, die enge Abstimmung, eine reibungslose Zusammenarbeit und  hohe Verbindlichkeit erfordert. Doch die Realität sieht anders aus! Missverständnisse in der Kommunikation sind an der Tagesordnung, die Zusammenarbeit gestaltet sich meist schwierig – nicht nur in der Automobilbranche. Weshalb? Die Unternehmenskulturen, Strukturen und Prozesse unterscheiden sich stark. Nur in den wenigsten Fällen sind technische Aufgabenstellungen das Problem, zumal diese relativ einfach mit vorhandenen Bordmitteln zu lösen sind.

Fakt ist: Für eine reibungslose Zusammenarbeit ist technisches Wissen und Erfahrung die Grundvoraussetzung – wichtiger ist aber, Verständnis für die Bedürfnisse und Arbeitsweisen des anderen aufzubringen. Denn Abnehmer-Unternehmen sind meist internationale Konzerne mit komplexen Strukturen und präzise festgelegten Abläufen; Lieferanten eher mittelständisch geprägt mit formloseren Informations- und Kommunikationsbeziehungen.

Häufige Missverständnisse in der Praxis

Ein Beispiel: Monatelang war der Lieferant eines großen Zulieferers im Rückstand. Das Unternehmen geriet unter enormen Erklärungsdruck bei dessen Hauptkunden, zwei großen deutschen Automobilkonzernen. Sofort müsse man das Unternehmen genauer kontrollieren und sicherstellen, dass alles nach Plan verlaufe. Was war passiert?
Der Lieferant war ein Weltmarktführer im Bereich Präzisionsfrästeile und normalerweise bekannt für seine hohe Qualität und Liefertreue. Allerdings hatte er eine andere Vorstellung vom geschäftlichen Umgang miteinander und fühlte sich durch die resolute Art des Kunden bevormundet; man brauche schließlich keine Anweisungen von einem gleichberechtigten Geschäftspartner anzunehmen, so die Meinung. Der Lieferant war deshalb zu keinem Zugeständnis bereit und weigerte sich, einen detaillierten schriftlichen Bericht für alle geplanten Einzelaktionen zu erstellen. Der Kunde wiederum interpretierte dieses Verhalten als Desinteresse und erhöhte den Druck. Ein Teufelskreis. Jeder misstraute jedem – eine sachorientierte, reibungslose Zusammenarbeit war schlichtweg unmöglich. Die Situation drohte zu eskalieren.

Analyse: Was war die Ursache des Problems?

In der Regel ist die Anzahl der Hierarchien in Konzernen hoch, die Projekt-Beteiligten sitzen meist räumlich voneinander getrennt; jeglicher Austausch findet über E-Mail, interne Netzwerke oder Telefon bzw. Skype statt. Dementsprechend werden Aufgaben detaillierter dokumentiert – es muss sichergestellt werden, dass Informationen nicht verwässern und einzelne Schritte sowie der Projektstatus jederzeit nachvollziehbar sind.

In mittelständischen Unternehmen wie dem Weltmarktführer aus dem Beispiel ist die Anzahl der Beteiligten hingegen überschaubar, in der Regel gibt es kleinere Expertenteams, die in ständigem Austausch sind, Planänderungen auf kurzem Dienstweg besprechen und sich regelmäßig persönlich bei Meetings und Besprechungen sehen. Tendenziell wird eine zu bürokratische Dokumentation als unnötig oder gar hemmend empfunden.

Arbeiten diese Unternehmen nun zusammen, kann es anfänglich zu kleineren Missverständnissen kommen, die sich aber im Lauf der Zeit zuspitzen. Der Mitarbeiter im Großbetrieb benötigt Dokumente zur breiten Verteilung an Kollegen oder als Nachweis, Mittelständler reden hingegen auf kurzem Dienstweg miteinander und verwenden die Zeit lieber auf die Problemlösung – deshalb extra Berichte für den Konzern anzufertigen bzw. auszufüllen empfinden mittelständische Mitarbeiter deshalb oft als überflüssig oder Zeitverschwendung.

So einfach die Lösung für jeden Außenstehenden klingt, es wird meist nicht versucht, sich in die Sicht- bzw. Arbeitsweise des anderen hineinzuversetzen. Weshalb? Weil die Beteiligten es nie gelernt haben. Gerade Techniker, Ingenieure und Zahlenmenschen neigen zu einer „verkopften“ Sichtweise und sind nur schwer in der Lage, sich in Kollegen aus anderen Abteilungen einzufühlen. Dementsprechend problematisch kann sich die Zusammenarbeit gestalten.

Lösungsansätze

In der Praxis hat es sich bewährt, einen Projektleiter vor Ort beim Lieferanten einzusetzen, der erstens unabhängig ist und somit als Schiedsrichter vermitteln kann. Und der sich zweitens neben allen sachlichen Angelegenheiten um die zwischenmenschlichen Schwierigkeiten kümmern kann.

Aufgabe des Projektleiters ist es außerdem, mit allen Beteiligten persönliche Gespräche zu führen, nicht nur mit den Führungskräften – dazu gehören Mitarbeiter aus der Produktion, Logistik, Vertrieb, dem Qualitätsmanagement und selbstverständlich dem Auftraggeber. Alle, die relevante Informationen zum Projekt beisteuern können. Gerade stille Mitarbeiter oder „Querulanten“ haben oftmals die besten Ideen. So wird der Grundstein gelegt, um Vertrauen aufzubauen und Zugang zu allen relevanten Informationen zu erhalten. Grundsätzlich gilt, die Mitarbeiter nicht zu sehr mit geschlossenen Fragen zu lenken, sondern zuzuhören und auf Details zu achten. Jegliche Art von Information ist entscheidend, ob über das Produkt, Prozesse, die Organisation, Atmosphäre oder die Motivation der Mitarbeiter. Dadurch fühlen sich Menschen akzeptiert und angenommen, und erzählen, was sie als Problem und dessen Ursache erleben – der erste Schritt, um Unstimmigkeiten und Vorurteile zu erkennen und zu verbessern.

Darüber hinaus ist es für den Projektleiter bzw. Vermittler erfolgsentscheidend, authentisch zu sein und sich auf Augenhöhe mit Kollegen bzw. Partnern zu begeben. Was das in der Praxis bedeutet? Sich an ungeschriebene Regeln zu halten, auch in Sachen Auftreten und Aussehen. Wer die Fertigung besucht, ist in einem einfachen Kittel, Blaumann oder aber ESD-Schutzkleidung besser aufgehoben als in einem schicken Anzug; auch kommt man mit Ingenieuren eher in legerer Kleidung wie Jeans und Hemd ins Gespräch als mit Zweireiher und Krawatte. Zeit für eine lockere Unterhaltung über das Berufliche hinaus sollte ebenso selbstverständlich sein. Aber Vorsicht: Wer sich beispielsweise nicht für Fußball interessiert, sollte es unterlassen, mit Scheinwissen zu glänzen; selbstredend, dass auch Gespräche über den neuesten Porsche, Börsen(miss)erfolge, Hochseejachten oder den letzten Golfurlaub auf Mauritius als unangebracht angesehen werden.

Abläufe sind anders organisiert

Ein weiteres Problem bei der Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Lieferant sind unterschiedliche Strukturen und Abläufe. Besonders plastisch zu sehen am Beispiel der Budgetierung: In Konzernen ist das Budget streng reglementiert, Abweichungen müssen bis ins Topmanagement kommuniziert und von dort freigegeben werden. Die Reaktionsmöglichkeiten an der Basis und somit bei den Projektbeteiligten sind nur sehr eingeschränkt. Zwar ist in mittelständischen Unternehmen die Finanzkraft unter Umständen begrenzt, der Chef jedoch näher am Geschehen und im Ernstfall schneller und flexibler in der Lage zu reagieren.

Ein Beispiel aus der Praxis

Bei einem mittelständischen Zulieferer aus Bayern sollte unterjährig, ohne vorherige Budgetierung ein zusätzliches Werkzeug eingekauft werden. Weshalb? Der Kunde, ein Konzern, hatte mehr Autos verkauft als ursprünglich geplant – per se ein Luxusproblem in der heutigen Zeit. Trotzdem versuchte der Einkäufer dem kleineren Lieferanten die gesamte Investition alleine aufzubürden. Der Konzern hatte dafür keine Mittel parat – zumindest nicht im ersten Jahr; davon wusste der Lieferant allerdings nichts. Dieser war etwas perplex und verstand das Ansinnen nicht, da er ohnehin vertragsgemäß mehrere Investitionen zu tätigen hatte. Anstatt miteinander zu reden, pochte der Lieferant auf den bestehenden Vertrag inkl. Klausel, der Konzern habe spezifische Werkzeuge selbst zu kaufen. Den Sachbearbeitern kam schlichtweg nicht in den Sinn, dass der Konzernmitarbeiter Schwierigkeiten hatte, die Investition durch die vielen Instanzen zu bringen. Nach einer Lösung, die für beide Seiten akzeptabel war, wurde nicht gesucht. Das Ergebnis: Die Beziehung zum Einkäufer war stark belastet, es bedurfte vieler Anstrengungen, um am Nachfolgeprojekt wieder zusammenarbeiten zu können.

Dieses Beispiel zeigt darüber hinaus auch: Schriftliche Vereinbarungen sind nicht immer erfolgreich. Sie gelten nur für den vorher abgesteckten Rahmen. Passiert etwas Unvorhergesehenes, haben beide Seiten in der Regel eine andere Auffassung, wie Verträge zu deuten sind – und geben dadurch mehr Raum für Streit als für Konsens. Anstatt Energie in Abwehrstrategien zu stecken, ist Hersteller und Lieferant empfohlen, diese besser in Lösungsansätze zu investieren. So steht einer erfolgreichen Zusammenarbeit nichts mehr im Weg.

ZUM AUTOR
Über Dr. Heinz-Jürgen Althoff
Althoff. Der Mitveränderer
Dr. Heinz-Jürgen Althoff übernimmt als Interim Manager komplexe Projekte und Extremsituationen weltweit. Seit über 25 Jahren ist der „Sozialarbeiter für Ingenieure“ bei internationalen Konzernen und Mittelständlern tätig und hilft, Schnittstellenproblemen mit Kunden und Lieferanten zu lösen; unter anderem unterstützt er technikorientierte Ingenieure, die zwischenmenschliche Komponente in die Zusammenarbeit mit Kollegen und externen Partnern einzubeziehen. Der promovierte Ingenieur wird eingesetzt, wenn es schnell gehen muss und technisches Verständnis absolut notwendig, aber nicht hinreichend ist. Seine Branchenschwerpunkte sind das produzierende Gewerbe und die Automobilzuliefererindustrie.
Althoff. Der Mitveränderer
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