Pressemitteilung, 11.06.2012 - 14:25 Uhr
Perspektive Mittelstand
Vier neue Gene für häufigste Migräneform entschlüsselt
Eine weltweite Kollaboration von Wissenschaftlern unter Beteiligung eines Forscherteams der Schmerzklinik Kiel hat vier neue Genorte entschlüsselt, deren Veränderungen das Migränerisiko signifikant erhöhen.
(PM) Kiel, 11.06.2012 - Die aktuellen Entdeckungen liefern wichtige neue Erkenntnisse zur Entstehung der häufigsten Formen der Migräne. In der weltweit größten Migränestudie wurden die Gene von über 5000 Migränepatienten untersucht und diese mit 7000 Kontrollpersonen verglichen. Die Ergebnisse werden in der aktuellen Ausgabe von Nature Genetics am 10. Juni 2012 veröffentlicht.Die Forscher untersuchten die genetischen Merkmale von mehr als 11 000 Menschen. Insgesamt fanden sie sechs Gene, die das Risiko für das Auftreten der häufigsten Migräneform, die Migräne ohne Aura, erhöhen. Vier dieser Gene waren bisher unbekannt und sind neue Entdeckungen. Bei zwei weiteren wurden frühere Befunde bestätigt.Die neu gefundenen Ergebnisse belegen die bisherigen Annahmen, dass eine Störung der Signalübertragung in Nervenzellen des Gehirns für die Entstehung der Migräne bedeutsam ist. Wenn man weiß, welche Funktionen die Gene steuern, kann man die Behandlung direkt auf diese Mechanismen ausrichten. Zwei der Gene sind für die Funktion von Arterien und Venen im Gehirn relevant. Die Befunde unterstützen die Hypothese, dass Veränderung der Blutversorgung und eine Störung der Übertragung von Nerveninformationen in der Entstehung der Migräne eine wichtige Rolle einnehmen.Die jetzige Veröffentlichung ist die dritte Publikation in Nature Genetics des gleichen Konsortiums zur Genetik der zwei häufigsten Formen der Migräne. Insgesamt wurden von den Forschern nun sieben neue Migräne-Gene entschlüsselt: Eine DNA-Variante bei Migräne-Patienten mit Aura, die zwischen den Genen PGCP und MTDH/AEG-1 lokalisiert ist; PRDM16, TRPM8 und LRP1 sind generelle Migräne-Gene. Aktuell konnten nun zudem auch die Gene MEF2D, TGFBR2, PHACTR1, und ASTN2 entschlüsselt werden, deren Varianten mit Migräne ohne Aura assoziiert sind. In der neuen Studie wurde zusätzlich auch die Verbindung von TRPM8 und LRP1 mit einem erhöhten Migränerisiko bestätigt.„Die Entdeckungen verbessern die Möglichkeit, gezielter zur Behandlung in die Entstehung der Migräne einzugreifen“ sagte Prof. Dr. Hartmut Göbel vom Migräne- und Kopfschmerzzentrum der Schmerzklinik Kiel, Mitglied des internationalen Kopfschmerz- und Genetik-Konsortiums und Co-Autor der Studie. Zur Erarbeitung der Daten wurden über mehrere Jahre klinische Daten und Blutproben von betroffenen Patientinnen und Patienten sowie deren Familienmitgliedern gesammelt, analysiert und klassifiziert. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Christian Kubisch von der Universität Köln/Ulm wurde im Rahmen der internationalen Kooperation gemeinsam mit Forschern u. a. des Wellcome Trust Sanger Institutes (Cambridge), der Ludwig-Maximilians-Universität München und des Leiden University Medical Center die Identifizierung der genetischen Risikofaktoren für Migräne ermöglicht.Um die genetischen Varianten zu entschlüsseln, die das Migränerisiko erhöhen, nutzten die Wissenschaftler eine genomweite Assoziationsstudie (GWAS). Verglichen wurde zunächst das Genom von 2000 Migräne-Patienten aus den Niederlanden und Deutschland mit dem von über 4000 gesunden Probanden. Anschließend konnte ermittelt werden, ob bestimmte genetische Varianten in einer der beiden Gruppen häufiger auftreten und folglich das Migränerisiko signifikant entweder erhöhen oder erniedrigen. Um die Ergebnisse zu bestätigen, untersuchte die Forschergruppe zusätzlich das Genom einer weiteren Gruppe, bestehend aus über 2500 Patienten und 2500 gesunden Probanden aus Finnland, Spanien, den Niederlanden und Norwegen.Die statistische Analyse, die die Datensätze aus beiden Untersuchungen kombinierte, entschlüsselte insgesamt sechs DNA-Varianten auf den Chromosomen 1, 2, 3, 6, 9 und 12, die mit einem erhöhten Risiko an Migräne ohne Aura zu erkranken, verbunden sind. Interessanterweise konnte für die Gen-Variante auf dem Chromosom 8, die durch dieselbe Forschungsgruppe bereits mit Migräne mit Aura in Verbindung gebracht wurde, keine Assoziation für Migräne ohne Aura festgestellt werden. Dies deutet darauf hin, dass den beiden Migräne-Formen unterschiedliche Entstehungsmechanismen zugrunde liegen.Die Studie wurde durch das Internationale Kopfschmerz- und Genetik-Konsortium, einer naturwissenschaftlichen Kollaboration von mehr als 40 weltweiten klinischen und genetischen Forschungszentren, durchgeführt.Details der PublikationFreilinger, T et al. (2012) Genome-wide association analysis identifies susceptibility loci for migraine without aura. Nature Genetics. Available online at doi: 10.1038/ng.2307Teilnehmende ZentrenEine vollständige Liste der teilnehmenden Zentren findet sich auf der Homepage von Nature Genetics


ANSPRECHPARTNER/KONTAKT

Schmerzklinik Kiel
Herr Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Hartmut Göbel
Heikendorfer Weg 9-27
24149 Kiel
+49-431-200 99 150
contact@schmerzklinik.de
www.schmerzklinik.de/


ÜBER SCHMERZKLINIK KIEL

Die Schmerzklinik Kiel wurde als wissenschaftliches Modellprojekt 1997 gegründet und beschritt mit dem Beginn der Patientenversorgung 1998 neue Wege in der Schmerztherapie. Der Behandlungsschwerpunkt zielt auf chronische neurologische Schmerzerkrankungen, insbesondere Migräne- und chronische Kopfschmerzen. Ziel der Klinik ist, das gesamte Wissen, das für die Versorgung von chronischen Schmerzen verfügbar ist, unmittelbar zur Anwendung zu bringen und hochspezialisiert die Belange von Menschen mit chronischen Schmerzen zu berücksichtigen. Auch der Erforschung von neurologischen Schmerzerkrankungen, Migräne und anderen Kopfschmerzen gilt die zentrale Aufmerksamkeit, um die zukünftige Behandlung weiter zu verbessern. Die externe wissenschaftliche Begleitforschung der Gesellschaft für Systemberatung im Gesundheitswesen GSbG bestätigte, dass mit dieser Konzeption Schmerzen nachhaltig gelindert, soziale und berufliche Tätigkeiten wieder aufgenommen und die direkten und indirekten Kosten chronischer Schmerzerkrankungen deutlich gesenkt werden können. In den vergangenen 10 Jahren wurden über 10 000 stationäre und über 50 000 ambulante Behandlungen durchgeführt. Mehr als 70% der behandelten Patientinnen und Patienten kommen überregional aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland. Das Konzept nahm moderne Entwicklungen in der Medizin voraus, insbesondere die integrierte Versorgung. Integrierte Versorgung (IV) bedeutet, dass die Behandlung nicht durch Fachgrenzen eingeschränkt wird. Auch die Abschottung von ambulanten und stationären Versorgungsbereichen wird aufgehoben. Experten der verschiedenen medizinischen Fachgebiete wirken zusammen, um mit zeitgemäßen Methoden optimal koordiniert zu behandeln. Die ambulante und stationäre Behandlung funktioniert nicht losgelöst nebeneinander, sondern ist vernetzt und aufeinander abgestimmt. Möglich ist dadurch eine Behandlung auf neuestem Stand und ohne Schranken. Das im Jahre 2007 mit der Techniker Krankenkasse initiierte Behandlungsnetzwerk greift diese Erfahrungen für die Behandlung von Migräne und Kopfschmerzen auf und nutzt sie bundesweit. Dazu wurde erstmals ein flächendeckendes koordiniertes Versorgungsnetzwerk geschaffen, um die Behandlungsqualität überregional zu verbessern. Die Schmerzklinik Kiel übernimmt dabei die Koordination des Netzwerkes, die umfassende Information der Patienten, die Fortbildung und den Erfahrungsaustausch der Therapeuten. Mit der AOK Schleswig-Holstein wurde eine landesweite koordinierte Versorgung entwickelt. Zahlreiche weitere regionale und überregionale Krankenkassen nutzen diese innovativen Versorgungskonzepte für ihre Versicherten.