Kolumne
Wechselbad, 22.10.2009
Perspektive Mittelstand
Unternehmensentwicklung
Die Grenzen der Mächtigen – auch beim Change
„Mit unsrer Macht ist nichts getan“ – das wusste schon Luther. Und das erfahren in diesen Tagen selbst einflussreiche Menschen wie Obama und Berlusconi, Seehofer und Gabriel – und Unternehmer, die in ihrer Firma Change-Prozesse anstoßen.

Obama kann seine Gesundheitsreform nicht durchsetzen. Westerwelle und Seehofer können ihre angekündigte Steuerreform nicht durchbringen. Barroso muss bei den Parteien im Europäischen Parlament um jede Stimme buhlen, um wiedergewählt zu werden, obwohl die Regierungschefs ihn einstimmig als Kandidaten aufgestellt haben. Das oberste italienische Gericht erklärt das Gesetz für ungültig, das Berlusconi Immunität und Schutz vor Strafverfolgung gesichert hat. Matschie will in Thüringen eine rot-schwarze Koalition durchsetzen – die Basis opponiert heftig. Gabriel wird in den SPD-Hinterzimmern zum Kandidaten für den Parteivorsitz auserkoren – im Vorstand bekommt er eine 32-%-Ablehnungs-Ohrfeige.

Menschen mit Macht und Machtmenschen müssen zurückstecken, Niederlagen hinnehmen, Rücksicht nehmen. Demokratische Spielregeln machen es möglich – oder erzwingen es. Nun sind Unternehmen nicht mit demokratischen Institutionen vergleichbar. Oft hängt es ganz allein vom Chef ab, ob es demokratische Mitbestimmung gibt oder insbesondere der Eigentümer-Unternehmer diktatorisch entscheidet, wo es langgeht.

Trotzdem: Auch quasi allmächtige Unternehmenslenker stoßen an ihre Grenzen, etwa wenn es um die Durchsetzung von Veränderungsprozessen geht. Denn Mitarbeiter verfügen über so etwas wie eine „Nicht-Ausführungs-Macht“. Diese Macht zeigt sich, wenn das Kosten sparende und effektive CRM-System eingeführt wird, die Mitarbeiter aber weiterhin ihre geliebten Excell-Sheets oder gar Karteikarten nutzen und ihre Kreativität einsetzen, um die Veränderung zu konterkarieren oder zu verhindern.

Wenn Mitarbeiter das Neue nicht wollen, verfügen sie über Mittel, es zu verhindern. Der Change funktioniert aber, wenn sie das Neue akzeptieren. Obama wird eine Gesundheitsreform und Westerwelle eine Steuersenkung bekommen. Aber: Der Berg wird kreißen – und eine Maus gebären.

Was also tun? Die Machtkeule herausholen und jetzt erst recht mit Druck den Change erzwingen? Davon ist abzuraten. Besser ist es, sich die Gründe anzuhören, warum die Mitarbeiter den Change nicht wollen. Sie argumentativ mit ins Veränderungs-Boot zu holen. Ziele nicht vorzugeben, sondern zu vereinbaren. Das Ja-Wort der Mitarbeiter zu gewinnen und sie von Beginn an in den Changeprozess einzubeziehen. Ihnen zu verdeutlichen, welche Vorteile der Change hat – auch für sie persönlich.

Hat das etwas mit Schwäche zu tun? Eher mit unternehmerischer Vernunft. Denn es sind vor allem die Mitarbeiter, die nahe dran sind an Markt und Kunden. Und vielleicht hat die Change-Ablehnung nicht nur etwas mit den konservativen Beharrungskräften der Mitarbeiter zu tun, sondern mit ihrer Fähigkeit, die Auswirkungen der Veränderung auf Markt und Kunden einzuschätzen.

Das heißt: Es lohnt sich zuweilen, die Argumente der Widerständler zu prüfen und ihre Energien und Ideen in ein fachlich und menschlich gut funktionierendes Team einzubinden, das den Change vorantreibt, aber die Widerstände der Mitarbeiter ernst nimmt.

ZUM KOLUMNIST
Über Dr. Reiner Czichos
Dr. Reiner Czichos ist Experte für professionelles Veränderungsmanagement und Projektmanagement. Er arbeitet seit über 30 Jahren als Trainer, Berater, Moderator, Organisations- und Personalentwickler sowie als Buchautor. Unter dem Motto „Das einzig Stabile ist ...
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