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Umrisse einer investiven Gesellschaft - Paul Nolte und die riskante Moderne (Sommerausgabe des Magazins NeueNachricht)

(PM) , 05.07.2006 - Nach sieben Jahren rotgrüner Regierung entflieht Paul Nolte, Vordenker der deutschen Christdemokratie, der um sich greifenden kollektiven deutschen Depression und entwirft eine neue politische Wertordnung jenseits des Konsums. Zur Zeit arbeiten in Deutschland sowohl SPD und CDU an neuen Grundsatzprogrammen. Bislang fehlt diesen Programmdebatten aber noch der intellektuelle Nukleus, wie die Süddeutsche Zeitung kritisch anmerkt. Einen solchen theoretischen Überbau bietet das Werk Noltes. Seine Thesen treffen den Nerv der Zeit. Im Jahr 2005 veröffentlichte Nolte sein Werk «Generation Reform», das mittlerweile bereits in der sechsten Auflage verlegt wird und von der Bundeszentrale für politische Bildung zusätzlich in einer Sonderausgabe vertrieben wird. Jetzt legt der 43-jährige Historiker sein Buch «Riskante Moderne» nach. Auch dieses aus 18 Essays kompilierte Werk wird quer durch alle politische Lager kontrovers diskutiert. Von Linken zum «neokonservativer Vordenker» geadelt, bildet Nolte gemeinsam mit Udo di Fabio die Speerspitze einer neuen Generation christdemokratischer Vordenker. Es gibt im post-rotgrünen Deutschland eine generelle Sehnsucht, aber auch einen realpolitischen Bedarf an einer neuen christdemokratischen Programmatik. Das liegt nicht nur an den von Nolte diskutierten Themen und Politikfeldern. Nolte, im Brotberuf Historiker an der Universität Berlin und Berater der Regierung Merkel, verkörpert wie kein Zweiter seiner Generation einen epochalen Paradigmenwechsel in der metapoltischen Debatte: weg von den (dys-)utopischen Politikentwürfen der rotgrünen Ideologen hin zu einem pragmatischen und lösungsorientierten Politikverständnis. Postapokalyptischer Optimismus Was weihte man in den letzten 30 Jahren publizistisch nicht alles lustvoll dem Untergang? Zuerst postulierte der Club of Rome die Grenzen des Wachstums, dann erschütterten Waldsterben, Ozonloch und Tschernobyl das kollektive Gedächtnis. Seit damals ist die gesellschaftliche Grundstimmung gekippt und die Apokalyptiker und Untergangspropheten haben die Meinungsführerschaft übernommen. Federführend haben in der Politik speziell, wenn auch nicht ausschließlich, die Grünen diesen kulturellen Paradigemenwechsel eingeleitet. Politik wird seitdem nur allzuoft mit aufklärerischer Volkspädagogik verwechselt. Wenngleich monokausale Schuldzuweisungen sicherlich zu kurz greifen, ist eines doch augenscheinlich: Seit die Grünen in deutsche Parlamente einzogen, sinkt das Wirtschaftswachstum und gesellschaftlicher und ökonomischer Fortschritt besitzt keinen guten Namen mehr. Von der Leistungskraft der deutschen Wirtschaft zu Zeiten Ludwig Erhards ist man heute meilenweite entfernt. Stattdessen hat sich die ökologische Agenda mit einer undifferenzierten Modernekritik und einer generellen Innovationsfeindlichkeit verbündet. Große Infrastrukturprojekte können kaum mehr durchgesetzt werden, da eine «risikoaverse Aufschubsgesinnung» um sich gegriffen hat und Deutschland, ehedem bekannt für seine Ingenieurskunst, heute nur noch für seine Risikovermeidungsstrategien bekannt sei. Die Diagnose der Grenzen des Wachstums wurde so zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung, Innovations- und Wachstumsfeindlichkeit haben sich wie Mehltau über den deutschsprachigen Kulturraum ausgebreitet. Wer nichts riskiert, kann auch nicht gestalten Diese negative Grundstimmung will Paul Nolte kippen. Seine Thesen bauen auf einem christlich-humanistischen Menschenbild auf und fordern ein Ende des Zauderns und Zögerns. Nolte glaubt an die Möglichkeit eines ökonomischen und gesellschaftlichen Fortschritts. Fortschritt heißt für den praktizierenden Christen, dass sich die Lebensverhältnisse aller Bürger verbessern sollen und dass jeder Bürger prinzipiell « die Chance hat, an einer besseren Welt zu arbeiten.» Berufszyniker könnten das als Naivität auslegen, für den unvoreingenommenen Leser ist diese optimistische Grundhaltung einfach erfrischend. Für Nolte, der sich selbst manchmal kokett als linker Konservativer bezeichnet, besteht die ideologische Trennlinie heute nicht mehr zwischen linken und rechten Positionen, sondern zwischen den Blöcken kulturelle Optimisten versus kulturelle Pessimisten. Er selbst zählt sich zum Modernisierungsflügel der deutschen Christdemokratie und setzt in seinem Buch zum Teil auf klassische christdemokratische Positionen: Wiederverankerung des Religiösen, Beschränkung des Hedonismus, Subsidiarität, Patriotismus sowie bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft. Dabei zeichnet er - geschickt die wichtigsten theoretischen Konfliktlinien der aktuellen wissenschaftlichen Debatten einwebend - Konturen eines christdemokratischen dritten Weges jenseits der unversöhnlichen Gegensätze Neoliberalimus und Etatismus. Speziell für eine Integrationspartie wie die ÖVP bietet sich in einer pluralistischen und multiethnischen Gesellschaft dieser Weg des Ausgleichs an. Programmatische Gegenpositionen werden abgeschliffen, das Gemeinsame wird über das Trennende gestellt. Teilhabegerechigkeit als neuer Leitwert Als zentralen neuen Wert führt er den Begriff der Teilhabegerechtigkeit ein. Darunter versteht man die Bereitstellung von grundlegenden Lebenschancen für jeden Bürger in den Bereichen Bildung, Erwerbsarbeit und Gesundheit. Teilhabegerechtigkeit zielt auf die Stärkung von Ressourcen der selbständigen Lebensführung und meint die institutionelle Bereitstellung all jener Notwendigkeiten durch den Staat, die den Anschluss und den Aufstieg innerhalb einer Gesellschaft ermöglichen. Dabei stellt Nolte Bildung in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Wenn beispielsweise Jugendliche aus Migrantenfamilien in den städtischen Ballungsräumen ohne Schulabschlüsse bleiben, büßen sie auf Jahrzehnte hinweg Entwicklungschancen ein. Mit dem wohlfahrtsstaatlichen Instrument der Notstandshilfe werden sie in die passive Rolle des Subventionsempfängers gedrängt. Besser und gerechter wäre es, die Ursachen der Erwerbslosigkeit zu bekämpfen. Die Idee der Teilhabegerechtigkeit richtet sich in erster Linie gegen das sozialdemokratische «Allheilmittel Transfermentalität», das immer neue staatliche Segnungen und Zuwendungen anstelle der privaten Übernahme von Verantwortung für der politischen Weisheit letzten Schluss hält. Nolte will weg von der alimentierenden Gesellschaft, da seines Erachtens neue Formen der Armut durch Umverteilung nicht nachhaltig bekämpft werden. Er will den Wechsel von der beaufsichtigten hin zu einer selbständigen Gesellschaft, die auf die wirksame Mobilisierung der eigenen Kräfte vertraut. Eine solche Form der Bürgergesellschaft nennt Nolte «Investive Gesellschaft»; er übernimmt ein Wort aus der Ökonomie, um bürgerlichers Engagement nicht primär auf eine reine Moraldimension zu reduzieren und Gesellschaft nicht ausschließlich außerökonomisch zu denken. Eine investive Gesellschaft rückt von den egoistischen Werten der Anspruchsberechtigung, des Einwegkonsums von Ressourcen und der Selbstverwirklichung ab. Stattdessen sind sind die zentralen Leitwerte Solidaritätsverpflichtung, Investition von Ressourcen und Selbsverantwortung. Eine investive Gesellschaft ist also keine Gesellschaft des Glücklich-Sein-im-Hier-und-Jetzt, sondern eine Gesellschaft der größeren Entfaltungsmöglichkeiten von morgen, da Investitionen immer auch eine zeitliche Dimension beinhalten. Wer investiert, erwartet auch, dass seine Investition eines Tages Früchte trägt. Investitionen schaffen soziale Nachhaltigkeit Wer investiert, überschreitet die Gegenwart und das Heute und plant aktiv die Zukunft. Eine investive Gesellschaft ist somit per definitionem eine Gesellschaft der sozialen Nachhaltigkeit, auch und speziell in einer intergenerativen Perspektive. Eine solche Gesellschaft stellt an sich selbst den Anspruch am Ende einer Legislaturperiode mehr Ressourcen generiert als verbraucht zu haben. Wie aber soll der Wandel von einem konsumptiven zu einem investiven Staat realpolitisch umgesetzt werden? Nolte wirbt hier für einen Übergang von einem Steuersystem hin zu einem Gebührensystem. Es sei nicht länger sinnvoll, öffentliche Güter unabhängig von ihrer individuellen Inanspruchnahme aus Steuermitteln zu finanzieren und dann kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Als Beispiel für die Gebührengesellschaft nennt Nolte die Einhebung von Straßenmaut. Eine allgemeine Maut lässt im Gegensatz zur KFZ-Steuer nur jene Bürger zahlen, die tatsächlich Nutzer von Straßen sind. Eine solche Trendwende von direkten zu indirekten Steuern (= Nutzungsgebühren) unterstützt und fördert maßvollen Verbrauch. Wer konsumiert, soll zahlen. Wenn jeder Bürger mit Nutzungsgebühren anstelle von Steuern seinen materiellen Beitrag zum Gesellschaftsvertrag leistet, kann der Einzelne durch sein Konsum-, Freizeit-und Sparverhalten selbst und autonom entscheiden, welche und wie viele Steuern er zahlt. Das Faszinierende an der Idee der investiven Gesellschaft ist die Einsicht, dass nur mit Sparen allein kein Staat zu machen ist. Eine investive Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die in bürgerlicher Selbstverantwortung ebenso wie in gemeinschaftlicher Solidarität ihre Ressourcen mobilisiert. Dabei kann es sich um materielle, soziale oder moralische Ressourcen handeln. Eine investive Gesellschaft erkennt, dass sie Vorleistungen erbringen muss, um später die individuellen Chancen des einzelnen Bürgers und kollektiven Chancen des Staatsvolks zu vermehren und nachhaltig zu sichern Noltes Buch beschreibt einen möglichen Neuanfang für das durch Wiedervereinigung und Massenarbeitslosigkeit in seinem Selbstwertgefühl schwer gebeutelte Deutschland. Nun lassen sich deutsche Lebenswirklichkeiten sicher nicht eins zu eins auf das ungleich reformfreudigere Österreich übertragen. Dennoch lohnt sich die Lektüre des neuen Nolte, da politische Konzepte und Begrifflichkeiten eingeführt werden, die auch die heimische Programmdiskussion sinnvoll ergänzen und befruchten können. Über den tagespolitischen Horizont hinausdenkend fordert Nolte eine Nachdenken über die langfristig wünschenswerten Ziele der postindustriellen Dienstleistungsgesellschaften. Schließlich bildet das Buch mit seiner optimistischen Grundhaltung einen erfrischenden Kontrapunkt zur anhaltenden Krisen- und Endzeitrhetorik des publizistischen Mainstreams in Deutschland. Paul Nolte: Riskante Moderne - Die Deutschen und der neue Kapi talismus. C. H. Beck, München 312 Seiten, 19,90 Euro. Das Magazin NeueNachricht erscheint vierteljährlich. Das Einzelheft kostet 8,20 Euro. Bestellungen per Fax unter: 0228 – 620 44 75 oder E-Mail: baerbel.goddon@sohn.de. Redaktionen erhalten Besprechungsexemplare kostenlos. Redaktion medienbüro.sohn Ettighoffer Straße 26a D – 53123 Bonn FON +49 (0) 228 – 6204474 FAX +49 (0) 228 – 6204475 medienbuero@sohn.de
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