Fachartikel, 29.10.2008
Perspektive Mittelstand
TK-Markt
Preis vor Service in der Telekommunikation?
„Geiz ist geil“ gilt offenbar in Deutschland auch in der Telekommunikation. Seit der Öffnung des Marktes für die Festnetztelephonie Ende 1997 sind die Preise so stark gefallen wie in kaum einem anderen Land und in kaum einem anderen Markt. Der Preiskampf in der Telekommunikation sorgt zwar für unschlagbar niedrige Preise, hat aber selbst für den Verbraucher nicht nur Vorteile. So kann weder dem Verbraucher noch den Anbietern an einem Wettbewerb um jeden Preis gelegen sein.­
Von 30,7 Cent für die Gesprächsminute im Inland 1997 auf nur noch 1,7 Cent 2008 ist der Preis gefallen. Im DSL-Bereich werden Flatrates und Angebote für 0 € und im Mobilfunk werden Bundles von Verträgen mit Geräten für 1 € angeboten. Diese Entwicklung ist auf den ersten Blick von Vorteil für den Verbraucher. Allerdings führen die starken Preisreduktionen bei den Netzbetreibern zu erheblichen Margenrückgängen, bei einigen Unternehmen bis hin zu operativen Verlusten. So sind in den letzten Jahren eine Reihe von Telekommunikations-Anbietern vom Markt verschwunden und die verbleibenden Unternehmen müssen ihre Kosten erheblich senken. Im Sommer 2008 hat die Deutsche Telekom angekündigt, dass 36 der bisherigen 75 Call-Center zur Kundenbetreuung geschlossen werden. Unabhängig davon werden Jahr für Jahr etliche Tausend Arbeitsplätze im angestammten Bereich der Festnetztelephonie gestrichen oder verlagert.

Telekommunikation in einer Glaubwürdigkeits-Krise?

Unübersichtliche Preisstrukturen mit scheinbar kostenlosen Angeboten, die dann doch zu Rechnungen führen, Mindestnutzungs-Volumina, Mindestlaufzeiten und andere Bedingungen im „Kleingedruckten“ verunsichern und beeinträchtigen die Glaubwürdigkeit der Anbieter. In Sachen Vertrauenswürdigkeit galt in Deutschland lange die Versicherungsbranche als Schlusslicht. Die Telekommunikations-Industrie dagegen wurde als seriös und glaubwürdig angesehen. Eine im November 2007 von SKP Research durchgeführte Marktbefragung ergab auf die Frage nach der unseriösesten Branche die Telekommunikation die im Spitzenposition mit 42 %, gefolgt von der Versicherungsbranche mit „nur“ 18 % der Nennungen! Zum Zeitpunkt der Erstellung der Studie wurde der Bankensektor mit nur 8 % als unseriöseste Branche genannt, nach der Krise im Finanzsektor ist die Finanzbranche sicher ein ganzes Stück aufgerückt unter den als unseriös angesehenen Branchen. Die offensichtlichen Gründe für einen Vertrauensschwund in der Telekommunikation sind nachvollziehbar. Für viele Anbieter und Marketing-Verantwortliche gilt Preiswürdigkeit wohl mehr als Preisglaubwürdigkeit. Betrachtet man einige der in den letzten Jahren kommunizierten Preispläne, wird dies deutlich. Man findet im Markt Angebote:

  • mit undurchsichtigen Tarifmodellen und vielen Einzel-Komponenten
  • bei denen anscheinend alles verschenkt wird, die dann aber doch zu signifikanten Rechnungsbeträgen führen
  • mit Flat-Rates, die bei genauer Betrachtung gar nicht „flat“ sind
  • mit unterschiedlicher Taktung bei der Nutzung
  • mit Zusatzkosten bei Kündigung und Anbieterwechsel
  • mit fehlenden Serviceleistungen bei Problemen oder einem Anbieterwechsel
  • mit niedrigerer Sprachqualität durch alternative Übertragungstechnik
  • mit schlecht erreichbare Hotlines

Der Telekommunikationsmarkt im Umbruch

Eine Betrachtung der Marktlage und der wirtschaftlichen Situation vieler Anbieter gibt Hinweise auf die Ursachen für ein solches Markt-Schädigendes Verhalten. Nach langen Jahren steten Wachstums bei hohen Wachstumsraten ist der Gesamtmarkt in den letzten Jahren mit ca. 2 % p.a. leicht rückläufig – dies allerdings bei immer noch steigenden Nutzungszahlen. Der Preisrückgang in den letzten Jahren wirkt sich somit stärker aus als die Volumensteigerung. Im Festnetz sind selbst die Anschluss-Zahlen insgesamt rückläufig, da einige Nutzer nur noch auf Mobilfunk setzen und ganz auf einen Festnetz-Anschluss verzichten. Der Mobilfunk war der Wachstumsbereich der Telekommunikation seit Anfang der 90er Jahre mit damals verschwindend geringen Penetrationsraten und absolut gerade mal ca. 450.000 Nutzern. Mittlerweile hat die Penetration fast 120 % der Bevölkerung erreicht und die Zeit der hohen Wachstumsraten ist schon seit einigen Jahren vorbei. Alleine der Breitbandbereich wächst noch signifikant mit knapp 20 % p.a. und Deutschland hat im internationalen Bereich mit gerade mal 60 % Breitbandnutzern immer noch Nachholbedarf.

Die Wettbewerbsstruktur hat sich in den letzten Jahren von einem Wachstumsmarkt zu einem Verdrängungswettbewerb verändert.  Die Branche hat sich hierauf noch nicht eingestellt und reagiert mit Preissenkungen und Sonderaktionen auf sinkende Ansatzzahlen. In einem weitgehend gesättigten Markt kann die Kaufbereitschaft durch sinkende Preise aber nur begrenzt stimuliert werden. Gesteigert wird dagegen die Wechselbereitschaft zwischen den Anbietern. Dies hat allerdings für den gesamten Markt steigende Kosten für Vertrieb und Geräte-Subventionen zur Folge. So bleibt als Auswirkung ein Rückgang der Margen und teilweise sogar der Umsätze. Sinkende Margen können betriebswirtschaftlich entweder durch Umsatz-Ausweitung mit bestehenden Kunden oder durch Kostensenkung kompensiert werden. Da eine zusätzliche Marktausweitung kaum gelingen kann und auch die Potenziale, mit Mehrwertleistungen höhere Umsätze pro Kunde zu realisieren, bislang wenig Erfolg gezeigt haben, bleibt die Kostensenkung in der Organisation als mögliche Reaktion. Selbst für die Effizienzsteigerung durch eine höhere Prozess-Automation sind bei den meisten Anbietern kaum signifikante Potenziale vorhanden, so dass als ein Ausweg Einsparungen im Kundenservice verbleiben mit sinkenden Service-Niveaus.

Wege zu steigender Glaubwürdigkeit

Für den Kunden sind die Ursachen für Einschränkungen im Service allerdings nur von untergeordneter Bedeutung. Als Ergebnisse der Erfahrungen mit schlechtem Service und undurchschaubaren Tarifen bleiben eine latente Unzufriedenheit und fehlende Glaubwürdigkeit in die Vertreter der Branche. Gleichzeitig auftretende „Affären“ bei einigen Anbietern – z.B. in Verbindung mit Siemens die Pleite von BenQ, die Affäre um die Werksschließung bei Nokia und Gerüchte zum scheinbaren Missbrauch von Kundendaten sind keine Grundlage für eine veränderte Wahrnehmung. Gerade die letztgenannte Affäre lässt bei Branchenkennern erhebliches Unbehagen aufkommen. Kundendaten und Teilnehmer-Verbindungsdaten unterliegen den höchsten Auflagen durch den Datenschutz und gelten als sakrosankt. Zwar gibt es bei allen Netzbetreiber technische Einrichtungen, die ein Abhören von Gesprächen ermöglichen („lawfull interception“), allerdings ist deren Einsatz nur bei Vorliegen einer richterlichen Entscheidung erlaubt. Die Verbindungsdaten, die jeder Netzbetreiber über einen Zeitraum von sechs Monaten speichern muss, dürfen nur zu eindeutig festgelegten Zwecken (z.B. zur Bearbeitung von Rechnungsbeschwerden) genutzt werden.
 
Es wird sich zeigen, dass Wettbewerb um jeden Preis letztlich dem gesamten Markt schadet. Vertrauen in die Anbieter setzt voraus, dass

  • der Datenschutz sicher gewahrt wird
  • nur ausgereifte Produkte nach entsprechenden Markttests eingeführt werden
  • Produktangebote transparent und verständlich kommuniziert werden
  • keine Flat-Rate Angebote angeboten werden, wenn dies unwirtschaftlich ist
  • einfache und transparente Tarifmodelle umgesetzt werden statt unverständlicher Preiskomponenten
  • eingeschränkte Qualität bei Niedrigpreisen im Vorfeld deutlich kommuniziert werden
  • ausreichende Service-Qualität bereitgestellt wird
  • kurze Vertragsbindungsfristen dem Kunden Sicherheit geben

Ein Negativbeispiel für fehlende Transparenz bzw. eine bewusste Verschleierung sind „Fair-Flat“-Angebote, die eigentlich Paketangebote sind. Verständlich und betriebswirtschaftlich nachvollziehbar ist, dass bestimmte Nutzungsprofile einzelner Zielgruppen die Wirtschaftlichkeit gefährden. Durch eindeutig beschriebene Paketangebote können die Bedürfnisse der meisten Nutzer im Durchschnitt ebenso gut befriedigt werden wie mit Flat-Angeboten, gleichzeitig werden „Extrem-Nutzer“ abgewehrt.

Der Mobilfunkmarkt trägt seinen Anteil an der Intransparenz von Tarifmodellen bei. In der ersten Hälfte der 90er Jahre wurde eine Aufteilung des vorher einzigen Tarifs in drei Tarife (für ausgeprägte Wenig- bzw. Vielnutzer) eingeführt. Die Anzahl der angebotenen Tarife ist dann aber inflationsartig angestiegen auf über 50 verschiedene Tarife. Schon für Fachleute ist kaum noch nachzuvollziehen, wann welcher Tarif für ein Nutzungsprofil optimal ist. Die Subvention der Mobilfunkgeräte in Verbindung mit Laufzeitverträgen war zur schnellen Entwicklung des Marktes sicher hilfreich, in einer Marktphase der zunehmenden Sättigung ist dieses Instrument aber eher ungeeignet. Die Umlegung der Kosten für die Geräte auf die Laufzeit erhöht die Intransparenz für den Nutzer und das Risiko für den Anbieter.

Echte Flat-Rate-Tarife geben dem Kunden Sicherheiten im Sinne der besseren Planbarkeit der eigenen Ausgaben, sie sind aber keineswegs für jeden Nutzer günstiger als herkömmliche Nutzungs-abhängige Tarife. Ähnlich wie bei Versicherungen und Strompreisen sollte der Anwender seine Kaufentscheidung nicht von plakativen Werbeaussagen abhängig machen sondern von einer nüchternen Analyse des eigenen Nutzungsverhaltens und der zu befriedigenden Bedürfnisse.

Chancen durch Marktdifferenzierung

Wie in vielen anderen Märkten ist Transparenz im Angebot ein wesentlicher Schritt in Richtung  Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Da Telekommunikation ein unverzichtbarer Teil des beruflichen und privaten Lebens geworden ist, sollte der Kunde Vertrauen in seinen ausgewählten Telekommunikationsanbieter haben. Für die Anbieter zahlt sich höheres Vertrauen normalerweise in Form einer engeren Kundenbindung aus, so dass Kunden weniger „anfällig“ für Wettbewerbsangebote sind und die Wechsler-Quote sinkt. Dies hat dann unmittelbare Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit. Es gibt für den Preis aus Sicht des Kunden Toleranzgrenzen, die nicht überschritten werden dürfen, wenn ein Kundenverlust vermieden werden soll. Die Grenzen der Toleranz sind je nach Zielgruppe unterschiedlich und können über Marktforschungsmethoden in Form von Preiselastizitätskurven ermittelt werden.

Die Reduktion des teilweise überhitzten Wettbewerbs in der Telekommunikationsbranche in Verbindung mit höherer Transparenz bei den Angeboten kann das verloren gegangene Vertrauen im Laufe der Zeit zurück gewinnen. Angebote mit niedrigerem Preis in Verbindung mit reduzierten Serviceleistungen und niedrigeren Qualitätsanforderungen haben durchaus eine Existenzberechtigung und finden interessierte Zielgruppen. Beispiele hierfür sind die „No-Frills“ Angebote einiger Discount-MVNOs im Mobilfunk. In einigen Märkten sind Telekommunikationsangebote mit Werbeeinblendung in laufende Gespräche in Nischenmärkten erfolgreich, da so sehr niedrige Preise möglich werden. In Deutschland hat dieses Modell bislang keinen Anklang gefunden. Genauso gibt es Kundensegmente, die einen besseren Kundenservice schätzen und hierfür einen höheren Preis akzeptieren.

Wichtig für alle Angebote ist, dass der Kunde im Vorfeld erfährt, welche Leistung er für welchen Preis erhält. Die stärkere Differenzierung der Angebote im Hinblick auf Leistungsumfang und Servicelevels kann bei der weiteren Entwicklung des Telekommunikationsmarktes und bei der Positionierung der Anbieter im Wettbewerb helfen. Transparenz erhöht zwar grundsätzlich die Vergleichbarkeit mit Wettbewerbsangeboten, schafft aber Klarheit bei potenziellen Kunden und ist ein Baustein hin zu mehr Vertrauen in die Telekommunikationsbranche. Es wäre wünschenswert, dass die Telekommunikationsbranche zukünftig wieder an Glaubwürdigkeit gewinnt, denn sie ermöglicht innovative Lösungen, die sowohl für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wie auch für die Entwicklung der Gesellschaft im internationalen Vergleich unerlässlich ist.

ZUM AUTOR
Über STZ-Consulting Group
STZ-Consulting Group
Kolibristr. 37
50374 Erftstadt

+02235-988776
WEITERE ARTIKEL VON STZ-CONSULTING GROUP
Über Perspektive Mittelstand

Die Perspektive Mittelstand ist eine unabhängige, branchenübergreifende Business-Plattform zur Förderung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittelständischer Unternehmen und ihrer Mitarbeiter. Ziel der Initiative ist es, über hochwertige Informations-, Kommunikations- und Dienstangebote rund um den unternehmerischen und beruflichen Alltag die Wissensbildung, Kommunikation und Interaktion von und zwischen Existenzgründern, Unternehmern, Fach- und Führungskräften und sonstigen Erwerbstätigen zu unterstützen. Weitere Informationen zur Perspektive Mittelstand unter: www.perspektive-mittelstand.de