Fachartikel, 04.10.2013
Perspektive Mittelstand
Risikomanagement und Zukunftsvorsorge
Trends im Controlling
Nicht nur die eigenen Kennzahlen geben Auskunft über die Unternehmensentwicklung. Das interne Controlling erhält immer mehr Monitoring-Funktionen – und damit Gestaltungsmacht! Denn je stärker es Controlling und Strategischer Planung gelingt, sich von reiner Prognostik zu lösen, desto größer ist die Chance, den Markt umfassender, also angemessener zu erfassen und damit beeinflussen zu können. Das heißt: Das Unternehmen nicht nur abzusichern, sondern auch voranzubringen.
Dass die Märkte in nahezu allen Branchen „volatil“ und hoch dynamisch geworden sind, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Das Marketing vervielfacht seine Kommunikationskanäle, der Vertrieb experimentiert mit neuen Verkaufswegen, das Management wird ‚lean’ oder ‚transformatorisch’. Und das Controlling?

Aktuelle Entwicklungen


Derzeit sind zwei Trendlinien erkennbar. Die einen versuchen, über immer präzisere Datenauswertungen die Nase vorn zu behalten: Investieren in ein besseres CRM, bereiten sich auf Big Data-Analysen vor, stellen Software-Spezialisten ein. Strategische Planung meint hier „Predictive Economics“: Durch geschickte Daten-Konfiguration und -Interpretation möglichst vorherzusehen, was der Kunde als nächstes will.

Die anderen rechnen manisch weiter: Erheben noch mehr interne Kennzahlen, spielen nicht drei, sondern fünf mögliche Entwicklungskorridore durch, prognostizieren nicht das nächste Geschäftsjahr, sondern gleich die nächsten drei, lernen mehr schlecht als recht mit der Dauer-Unzufriedenheit ihrer Chefs zu leben und lesen nebenher jetzt auch noch Trend- und Branchenreports. Was bleibt ihnen auch anderes übrig: Das „interne Rechnungswesen“ gilt als das Führungsinstrument des Unternehmens; in vertriebsorientierten Kulturen oft sogar als das einzige (anerkannte).

Zukunft als Konsens-Modell und Kontrolle als Tunnelblick


Für beide Spielarten gilt: Zukunft ist hier ein Konsensmodell. Alle Beteiligten, allen voran Controller und Planer, versuchen durch das Jonglieren mit Zahlen eine konsensfähige Vorstellung über das Morgen des Unternehmens zu schaffen. Eine Vorstellung also, die auf Führungsebene mehrheitlich zustimmungsfähig ist – daran hängt ihre Daseinsberechtigung. Bewerkstelligt wird das durch die Bündelung der internen Rechenoperationen auf möglichst einen Punkt („DIE“ wahrscheinliche Zukunft) und einen selbstbewussten Tunnelblick („wir kümmern uns nur um das, was wir selber messen können“). Konkret: Kontrolle bedeutet hier,
  1. Abhängigkeit in Sachen Neuigkeiten, Informationen und Innovationen von der Mentalitätslage der Journalisten, Berater und Trend-Gurus. Jedenfalls nicht vom Wissen und der Kreativität der eigenen Organisation und Kunden.
  2. die beruhigende Gewissheit, die Interpretationshoheit über die eigenen Kennzahlen gewahrt zu haben und dadurch das Unternehmen steuern zu können. Logiker erkennen schnell: Das eine hat mit dem anderen leider nichts zu tun.
  3. Sicherheit bei der Markteinschätzung nach dem Lemminge-Prinzip (Branchentrends, Benchmarking, SWOT-Vergleich usw.) – man orientiert sich an den anderen Branchen-Mitgliedern und wähnt sich dabei höchst professionell. „Natürlich, das machen wir auch!“ Logiker erkennen auch hier: Wenn Märkte zu „Schnelldrehern“ werden und sich in kürzester Zeit weiter entwickeln, hilft Uniformität wenig. Ein eigenes Markt- und Trendverständnis – also Unterscheidbarkeit – dagegen viel.
Überholte Traditionen

Der Denkfehler, der diesem Verständnis zugrunde liegt, ist alt, hat also „Tradition“ und fällt daher kaum auf. Er besteht aus einem betriebswirtschaftlichen Glaubenssatz, auf dem viele Unternehmen einstmals aufgebaut wurden:

Unternehmerisch gilt es, attraktive Märkte zu entdecken, diese zu erschließen und sich durch geschickte Positionierung langfristige Wettbewerbsvorteile zu sichern.


Ein Risiken kalkulierendes Controlling bedeutet hiernach, genau diesen Prozess zu begleiten – durch Rechenoperationen mit Daten aus der Vergangenheit, maximal der Gegenwart. Controlling prognostiziert Daten und Annahmen – vor dem Hintergrund dessen, was war. Nur leider wird das Morgen in nahezu allen Unternehmen immer seltener so, wie das Gestern war. Ganz im Gegenteil: Das einzig Sichere ist der Wandel. Und wenn das stimmt, sind die Weltbilder von Journalisten, Zahlen von gestern und das Schielen nach rechts und links („was machen die anderen?“) eine immer unsicherer werdende Basis dafür, Risiken zu managen.

Zahlen, Daten, Fakten? Ja bitte, aber mit Urteilskompetenz!


Die Herausforderung ist heute nicht mehr, einen Wettbewerbsvorteil aufzubauen und dann möglichst lange zu verteidigen, sondern immer wieder neue, unerwartete Arten der Wertschöpfung zu finden. Das liegt einerseits an dem notorischen Wachstumszwang, dem viele Unternehmen unterliegen (oder sich selbst verordnen), andererseits aber auch an veränderten Wettbewerbsumfeldern. Wenn etwa eine Produktionsfirma für Software plötzlich Konkurrenz aus Süd-Indien bekommt, die den eigenen Preis um ein Drittel unterbietet, ist Marktbearbeitung der Sorte BWL nichts als heiße Luft. Unbrauchbar. Und dem Controller hilft auch kein noch so ausgefeiltes Big Data-Programm.

Stattdessen geht es heute darum, stets aufs Neue Werte zu schaffen. Der Konkurrenz im Grunde dauernd eine Nasenlänge voraus zu eilen (statt voraus zu sein und dort zu verharren). Das hat Konsequenzen für das Verständnis von Kontrolle, der begleitenden strategischen Planung und dem Verständnis von Risikomanagement. Jenseits von bloßen Hochrechnungen wird die Bewertungs- und Urteilskompetenz des Unternehmens, wie sich der Markt unabhängig von den hochgerechneten KPI-Korridoren entwickeln mag, nämlich plötzlich eminent wichtig: Zukunfts-Vorsorge. Nicht: Was wird passieren, sondern was könnte passieren?

Das lässt sich nicht einfach „errechnen“, aber durchaus professionell einschätzen.

Mehr Kommunikation wagen


Ein Verfahren, mit dem derzeit einige KMU höchst erfolgreich experimentieren: Weg vom strategischen Langfrist-Denken, hin zu systematisch hintereinander geschalteten, taktischen Kurzfrist-Plänen. Dabei geht es neben dem etablierten Zahlen-Controlling um den systematischen Aufbau von Zukunfts-Know-how.
  • Weitblick – jenseits der Zahlen: Sich möglichst spezifisch und unabhängig von der gängigen Meinung ein Bild machen von Nachfrage, Technologie, Verbrauchervorlieben und so weiter.
  • Einblick – in die Eigenheiten und Stärken der Organisation: Die seltenen, besonderen und wertvollen Unternehmensbereiche kennen.
  • Überblick – Markt und eigenes Unternehmen aufeinander beziehen: Ergänzungspotenzial erkennen, mit unterschiedlichen Kombinationen und Varianten spielen: Stärken und Marktchancen identifizieren.
Zukunft ist hier das Ergebnis einer Aushandlung zwischen verschiedenen Gesprächspartnern und Perspektiven. Konsens ist sie eigentlich nie – höchstens eine Option; im besten Fall eine, auf die das Unternehmen selbst einigen Einfluss nehmen kann. Aushandeln bedeutet aber Kommunikation – Hebung und Nutzung von dem, was die Organisation weiß.

Das ist, zugegeben, keine Stärke von Controlling- und Risikomanagement-Abteilungen. Es ist schlicht nicht ihre Tradition. Aber absehbar: Alternativlos. Zukunftsexperten nehmen dieses Wort nicht gern in den Mund, aber hier ist es einmal wirklich angebracht. Ohne die systematische Entwicklung einer internen Expertise für unternehmerisches Bewerten und Urteilen werden Macht und Einfluss des Controlling abnehmen – und zwar rapide. Nicht mangels Kompetenz, sondern wegen unangemessen gewordener, zu einseitiger, überkommener Methoden und Denkweisen.

Der vor uns liegende Weg besteht allerdings nicht aus einem entweder – oder, sondern über viele Jahre wohl aus einem sowohl – als auch. Unternehmen, die diese Entwicklung erkennen und schnell handeln, werden sich am Markt Vorteile verschaffen – und ihre Controller und Risikomanager zu Binnenunternehmern entwickeln. Aufzuhalten ist diese Entwicklung nicht. Die spannende Frage ist nur, wie aufgeschlossen sich die internen Rechnungsleger gegenüber diesem Wandel zeigen; ob sie diesen Trend beflügeln und die neuen Wege zukunftsorientierter Unternehmenstaktik mitgehen oder lieber beim guten alten Zahlenspiel bleiben. Agenturen und Berater wünschen sich letzteres – denn dafür kann man „Tools“ erfinden (und gut verkaufen). Unternehmer wünschen sich ersteres – nur muss man dann mitdenken. Anfangen, Märkte selbst zu beurteilen und aufzurollen. Und anfangen, Mathematik anders zu nutzen: Als wahlweises Mittel, aber nicht mehr als Zweck.
QUERVERWEIS
Buchtipp
No such Future: Ein Trainingslager für mittelständischen Unternehmerverstand
Wie sieht zeitgemäße, vorrausschauende Unternehmensführung aus? Wie gestalten Betriebe ihr Wachstum in immer dynamischeren Märkten? Das Buch No Such Future der Unternehmensentwicklerin Friederike Müller-Friemauth zeigt, wie auch kleine und mittelständische Unternehmen durch ein pragmatisches, machbares Zukunftsmanagement ihre Marktposition sichtbar stärken – die Großen tun das ohnehin. Wie sie Veränderungen am Markt und damit einhergehende Risiken frühzeitig erkennen und in die langfristige Planung einfließen lassen: Konkret, unterhaltsam, selbstironisch. Denn auf heutigen Märkten gilt für die Autorin: Lieber vage richtig als präzise falsch liegen!
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ZUM AUTOR
Über Dr. Friederike Müller-Friemauth
kühn denken auf vorrat
Dr. Friederike Müller-Friemauth ist Trainerin für Unternehmensentwicklung und Zukunftssicherung. Als promovierte Politikwissenschaftlerin, PR-Referentin und Business Coach ist sie seit 20 Jahren in der Zukunfts- und Trendforschung tätig – zunächst bei einem internationalen Automobilkonzern, später bei einem führenden Markt- und Sozialforschungsinstitut. Heute begleitet sie durch „Denken auf Vorrat“ die Unternehmensentwicklung speziell kleiner und mittelständischer Unternehmen, identifiziert neue Geschäftsfelder, Geschäftsmodelle und Kundenbedürfnisse.
kühn denken auf vorrat
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51519 Odenthal bei Köln

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