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Kolumne
Alles was Recht ist, 18.04.2011
Reaktorkatastrophe
Produkthaftungsrisiken für Japan-Importe
Der Super-GAU in Japan zieht für Importeure weite Kreise. Während jedoch die Lieferengpässe und der Einfluss auf die Außenhandelspreise eher temporär sein dürften, gilt dies im Hinblick auf die Produkt- und Gefährdungshaftung bei Japan-Importen nicht.

Trotz aller behördlichen Kontrollen muss jeder, der nunmehr Produkte aus japanischer Produktion als Hersteller verbaut bzw. als Händler in den Verkehr bringt, aufgrund seiner ganz persönlichen Verkehrssicherungspflicht eigenverantwortlich prüfen, ob derartige Produkte nicht radioaktiv belastet sind und ein Sicherheitsrisiko für die Verwender – jedermann, der mit ihnen in Berührung kommt - darstellen. Es geht also um ganz neue und bisher ungeprobte Aspekte von Qualitätssicherung!

Hintergrund der des Haftungsrechts ist die Verpflichtung des Herstellers dafür Sorge zu tragen, dass sein Produkt keine dritte Person oder Sache schädigt. Eine solche Schädigung ist bei radioaktiver Belastung durchaus denkbar, denken wir z.B. nur an Kinderspielzeug oder Multimediatechnik.

Auch wenn das Produkt an sich völlig in Ordnung und gebrauchs- bzw. funktionsfähig ist, wir uns also nicht in den Fallbereichen der Gewährleistungshaftung wegen mangelhafter Produkte befinden, kann das Produkt durch eine ihm anhaftende Verstrahlung verschuldensunabhängige Haftungsansprüche nach dem Produkthaftungsgesetz wie auch verschuldensabhängige aus unerlaubter Handlung auslösen, weil ihm ein Mangel an Sicherheit anlastet.

Was unter „mangelnder Sicherheit“ zu verstehen ist, bedarf einer situativen, sozialadäquaten Auslegung dahingehend, welches Maß an Sicherheit die Allgemeinheit in Bezug auf das jeweilige Produkt erwarten darf. Ist radioaktive Verstrahlung ein Fehler am Produkt? Maßgeblich ist der Sicherheitsstandard, den die Verkehrsauffassung in diesem Zusammenhang für erforderlich hält. Ist die Ware für den Endverbraucher bestimmt, muss sie besonders erhöhten Sicherheitsanforderungen genügen.

Auch wenn es für den Fall Japan kaum gefestigte Verkehrsauffassungen gibt – schließlich hatten wir mit Tschernobyl eine vergleichbare Situation vor 25 Jahren - aktuell wäre es müßig nicht davon auszugehen, dass der Verwender / Nutzer einer Ware in besonderem Maße erwartet, dass ihm keine v erstrahlten Produkte angeboten werden. Insoweit kann auch davon ausgegangen werden, dass erwartet wird, dass Hersteller wie Händler sich mit besonderer Sorgfalt um dieses Thema kümmern und die Strahlenfreiheit ihrer Waren sicherstellen.

Im Rahmen der verschuldensunabhängigen Produkt- und Gefährdungshaftung haftet der Hersteller bzw. Händler gerade für Folgeschäden im Zusammenhang mit der Nutzung seiner Produkte. Die aus Japan kommende und denkbare Bedrohung bedarf nun besonderer Beobachtungs- und Organisationspflichten, um Sicherheitsrisiken durch Kontaminierung auszuschalten. Gerade bei Lebens- und Gesundheitsgefahren sind auch Maßnahmen zumutbar, selbst wenn sie ein Unternehmen finanziell hoch belasten.

Der Produkthaftung unterliegen alle Hersteller , die ein Produkt oder Teile davon hergestellt haben, alle so genannten Quasi-Hersteller, also solche, die auf dem von einem anderen Unternehmer hergestellten Produkt ihre Marke oder Warenzeichen etc. anbringen und es als ihr Produkt erscheinen lassen sowie Importeure, die das Produkt in ein EU-Mitgliedsland bzw. den Europäischen Wirtschaftsraum einführen.

Kernvorschrift des Produkthaftungsgesetzes ist sein § 1 Abs. 1 S. 1. Dort heißt es: "Wird durch den Fehler eines Produktes jemand getötet, sein Körper oder seine Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Hersteller des Produktes verpflichtet, dem Geschädigten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen". Nach § 14 ProdHaftG kann die Haftung des Herstellers nach dem Produkthaftungsgesetz im Voraus weder ausgeschlossen noch beschränkt werden. Entgegenstehende Vereinbarungen – egal ob über AGBs oder individuelle Vereinbarungen - sind nichtig.

Neben der verschuldensunabhängigen Haftung nach Produkthaftungsgesetz bleibt die Haftung aufgrund anderer Vorschriften - wie z.B. Deliktshaftung - unberührt. Insbesondere die Haftung auf Schmerzensgeldes hat ihre Grundlage im BGB: Nach §§ 823, § 253 BGB besteht der Schmerzensgeldanspruch im Falle der schuldhaften Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sowie im Falle der Freiheitsentziehung. Dies wäre dann der Fall, wenn jemand Produkte in den Verkehr bringt, obwohl er aufgrund Herkunft. Logistikwege und Herstellungsprozess davon ausgehen muss, dass eine Kontaminierungsgefahr grundsätzlich bestehen kann. Stellt er die Prüfung nicht sicher und kommt es beim Nutzer zu einer Gefährdung bzw. Schädigung absoluter Rechtsgüter, haftet er auch aus Delikt.

Jedem, der Waren aus Japan bezieht und hierzulande direkt oder indirekt in Verkehr bringt, tut derzeit gut daran, seine Verkehrssicherungspflichten und konkreten Qualitätssicherungsmaßnahmen auf den Prüfstand zu stellen. Er muss sicherstellen, dass seine Waren kontamierungsfrei sind und keine Sicherheitsgefahren für Dritte darstellen.

Dabei sollten Lieferanten und Logistikpartner zwischen Japan und Europa möglichst auf Wertschöpfungs- und Prozessstufen außerhalb Deutschlands bzw. der EU/EWR in die Pflicht genommen und überprüft werden, denn gegenüber Dritten kann er sich niemand frei zeichnen, selbst wenn er im Innenverhältnis zu den Lieferanten Regress nahmen könnte.

Hier schwebt ein Damoklesschwert, das es qualifiziert abzuwehren gilt…

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Über Prof. Dr. Christoph Schließmann
Prof. Dr. Christoph Ph. Schließmann ist Wirtschaftsanwalt und Fachanwalt Arbeitsrecht in Frankfurt am Main und berät und begleitet seit über 20 Jahren Unternehmen, Unternehmer, Aufsichtsräte, Vorstände und Geschäftsführer in Fragen der Unternehmens-, ... mehr
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