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Fachartikel, 24.10.2008
Organisationsentwicklung
Vom Unternehmensziel zur Rollenbeschreibung
Lernende Unternehmen brauchen Mitarbeiter und Führungskräfte mit großer Veränderungs-, Lern- und Flexibilitätsbereitschaft. Doch dies allein genügt nicht: Die Human-Ressource „Lernbereitschaft“ muss sich ganz konkret in den Strukturen, Prozessen und Abläufen des Unternehmens, der Unternehmensbereiche, der Abteilungen und auf den Schreibtischen der Mitarbeiter widerspiegeln.
Ein Beispiel verdeutlicht den Zusammenhang – nehmen wir die Stellenbeschreibungen: In manchen Unternehmen sind die Zielsetzungen, Aufgabenerfüllungen und Kontrollmechanismen derart detailliert beschrieben, dass sich die Mitarbeiter fühlen, als lägen sie in einem Prokrustes-Bett. Der mythische Prokrustes bot Reisenden ein Bett an. War der Wanderer (zu) groß, hackte er ihm die Füße ab, um ihn in ein kleines Bett legen zu können. Bei eher bescheidenen Körperausmaßen streckte er ihn und machte ihn passend.

Einengende administrativ-bürokratische Prokrustes-Stellenbeschreibungen – sie sind zuweilen das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen. Denn sie engen die Mitarbeiter und Führungskräfte unnötig ein, pressen sie in ein Schema, das Kreativität, Ideenreichtum, Innovationsbereitschaft und Creaktivität – gemeint ist die umsetzungsorientierte, auf konkrete Veränderungen angelegte Kreativität – im Keim erstickt.

Rauf auf die Schauspielbühne

Szenenwechsel, ab ins Theater: Dort füllen die Schauspieler Rollen aus, in aller Regel sind ihnen die Verhaltensweisen, der Charakter der Figur vorgegeben. Aber mit Hilfe ihrer Begabungen und ihrer Schauspielkunst malen sie die Leerstellen aus, die durch Charakterzeichnung und Drehbuch offen bleiben. Sie „interpretieren“ ihre Rolle.

Ein Lernendes Unternehmen ist darauf angewiesen, dass kreative Führungskräfte und Mitarbeiter zwar Rollenbeschreibungen als Orientierung bietendes Geländer erhalten, diese dann aber gestaltend ausfüllen können. Nur so ist es möglich, diejenige Flexibilität zu erreichen, mit der innovative Lernprozesse in Gang gesetzt und Wandel aktiv gestaltet werden kann.

Zielsetzung im „Drehbuch“ verankern

Das Beispiel verdeutlicht den untrennbaren Zusammenhang zwischen lernfähigen und lernbereiten Individuen einerseits und Unternehmensprozessen auf der anderen Seite, die ein Unternehmen zu einem lernenden machen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.

Dabei stehen jene Rollenbeschreibungen nur am Ende eines Prozesses, durch den das Gesamtunternehmen den Weg zur Lernenden Organisation beschreitet:

  • Die Unternehmensführung verankert das Ziel „Lernendes Unternehmen“ in der Unternehmensphilosophie, in den Unternehmenszielsetzungen, vielleicht gar in der Vision, in der der Entwicklungshorizont für die nächsten Jahre aufscheint.
  • Diese Verankerung bewirkt die Ausrichtung der gesamten Unternehmung auf flexible Lernprozesse – natürlich nicht von heute auf morgen, aber in einer mittel- und langfristigen Perspektive.
  • So fließt jenes Unternehmensziel quasi automatisch in die Bereichszielsetzungen ein, hinterlässt seine deutlichen Spuren in den Abteilungszielen und schließlich in den Aufgabenbeschreibungen der Menschen – eben in jenen Rollenbeschreibungen.
  • Der Kreis schließt sich: Wenn auf Führungskräfte- und Mitarbeiterebene die Zielsetzung „Lernende Organisation“ creaktiv umgesetzt, gelebt sowie zur motivierenden Richtschnur des Denkens und Handels wird, entwickelt sich eine Unternehmenskultur, dessen Herzstück das Lernen und die Gestaltung des Wandels ist.

Die Aufführung des Stückes „Lernendes Unternehmen“

Es ist nur zu natürlich, dass es während der Aufführung immer wieder Korrekturen geben muss – Lernprozesse sind offene Prozesse, es müssen stets Feinjustierungen vorgenommen werden. Ein Regisseur, dessen Ensemble ein und dasselbe Stück jede Woche drei- viermal auf die Bühne bringt, wird Kleinigkeiten verbessern, Fehler korrigieren, jede Aufführung als Möglichkeit interpretieren, aus dem Publikumsfeedback zu lernen und noch besser zu werden.

Übertragen wir dies wieder aufs Unternehmen: Es müssen Strukturen geschaffen werden, durch die die Form der Zusammenarbeit zwischen Bereichen, Abteilungen, Mitarbeitern, also die tatsächlichen Informationsabläufe, sichtbar gemacht werden – um aus dieser Analyse schließlich zu lernen und notwendige Veränderungsprozesse abzuleiten.

Ein komplexe Aufgabe – die mit Hilfe der folgenden Ideen angegangen werden kann:

  • Jeder Bereich, jede Abteilung erhält den Auftrag, die wichtigsten Kernprozesse zu beschreiben, also den Ist-Zustand zu bestimmen, dann ein Ideal zu definieren, mithin den Soll-Zustand zu formulieren, und die auf diese Weise entdeckten Lücken zu schließen: etwa durch interne und externe Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen.
  • Es wird eine Revision der Zielvereinbarungen vorgenommen: Inwieweit wird überhaupt mit Zielen geführt? Aufgrund des genannten Drehbuchs werden auf allen Ebenen Zielvereinbarungsgespräche anberaumt, in denen die Ausrichtung auf das Lernende Unternehmen und die eruierten Lücken bei der Bewältigung der Kernprozesse und deren Schließung zur Diskussion stehen.
  • Konkrete Folge sind etwa die genannten offenen Rollenbeschreibungen, die den Führungskräften und Mitarbeitern Entscheidungsspielräume eröffnen. Das wiederum macht es notwendig, dass weniger durch Kontrolle als vielmehr durch Vertrauen geführt wird.
  • Hierarchisierte Entscheidungswege werden abgelöst durch Kommunikationsnetzwerke, in denen sich die Menschen frei bewegen können. Das heißt: Flexible Informationsnetzwerke ersetzen die starren Berichtssysteme.
  • Das Unternehmen ist ein Netzwerk zentraler und dezentraler Einheiten, die möglichst nah (und das ist nicht nur geografisch gemeint) am Kunden arbeiten und entscheiden. Dezentralisation heißt zudem, Verantwortung zu delegieren und Entscheidungsmacht abzugeben – dazu müssen die Führungskräfte bereit sein.

Interne Drehbuchänderungen

Task Forces, Strategiegruppen oder Veränderungsteams kümmern sich „hauptberuflich“ darum, dass die Strukturen und Prozesse permanent daraufhin geprüft werden, ob sie Lernfähigkeit garantieren. Diese Institutionen fragen sich jeden Tag:

  • Wo genau stehen wir auf dem Weg zum Lernenden Unternehmen?
  • Was läuft gut, was weniger gut?
  • Welche Stolpersteine müssen auf Seite geräumt werden, welche Veränderungen sind unumgänglich und notwendig, welche zumindest wünschenswert?

Voraussetzung dafür ist eine Fehlerkultur, die Dinge, die schief laufen, zum Anlass nimmt, Verbesserungsprozesse aufzubauen – Beispiel „Beschwerdemanagement“: Folgende Einstellung ist das Ziel: Ein reklamierender Kunde räumt dem Unternehmen eine zweite Chance ein! Denn er geht nicht zur Konkurrenz, sondern will das Problem erst einmal mit den Betroffenen lösen. Die Konsequenz: Ein pro-aktives Beschwerdemanagement führt dazu, dass das Unternehmen nicht erst reagiert, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Es fordert den Kunden aktiv auf, sich zu beschweren und zu beklagenswerten Vorfällen zu äußern.

Beschwerdehotlines, Kundenbefragungen und Fragebogen, die den Produkten beiliegen oder bei Dienstleistungen dem Kunden in die Hand gedrückt werden, erhöhen die Wahrscheinlichkeit, Verbesserungspotenzialen auf die Spur zu kommen.

Mehr noch: Ein pro-aktives Vorgehen führt dazu, Reaktionsweisen auf Beschwerden zu erarbeiten, bevor eine entsprechende Reklamation vorliegt. Im Team werden dann mögliche Beschwerdegründe, die der Kunde noch gar nicht vorgetragen hat, vorweg genommen – und Reaktionsoptionen erarbeitet. So lernen Mitarbeiter, Führungskräfte und Unternehmen beim Regisseur „Kunde“ und nehmen gemeinsam Drehbuchänderungen vor.

Externe Drehbuchänderungen

Lernende Unternehmen brauchen creaktive Anstöße von außen. Regisseur und Schauspieler sind froh, wenn das Publikum – positive und negative – Kritik übt, der Beleuchter einen Verbesserungsvorschlag zur Bühnenausleuchtung unterbreitet und der Requisiteur mit einer tollen Idee aufwartet.

Anstöße von außen kommen vor allem von den Kunden. Aber auch Lieferanten, Spediteure, Berater, Wettbewerber, Dienstleister, kurz: alle, die mit dem Unternehmen auf irgendeine Art und Weise zu tun haben, sollten als „Angehörige des Unternehmens“ betrachtet und aktiv aufgefordert werden, Kritik zu üben und auf Verbesserungspotenziale hinzuweisen.

Denkanstöße von außen aufnehmen – das erfordert Souveränität. Souveränität, die Unternehmen, die sich das Lernen auf die Fahne geschrieben haben, durchaus aufbringen. Denn die Verantwortlichen wissen: Selbst die harscheste Kritik darf nicht persönlich genommen, sondern sollte als Anregung zur Weiterentwicklung begriffen werden.

Panta Rhei

Lernen heißt, Veränderungen vorzubereiten, einzuführen und durchzuführen. Erstrebenswert sind nicht Stabilität und Routine, sondern Change und Lernen. Globalisierung, Internationalisierung, weltweiter Wettbewerb, die Kommunikationsmöglichkeiten durch das Internet – es bleibt gar nichts anderes übrig, als sich frühzeitig fit zu machen für die Bewältigung der Herausforderung des lebenslangen Lernens – auf der Menschenebene und auf der Unternehmensebene.

„Alles fließt“ (Panta Rhei), so der Vorsokratiker Heraklit (um 540 v. Chr.). Dies trifft auf heutige Unternehmen mehr denn je zu. Wenn aber alles im Fluss ist, sollten die Verantwortlichen in den Organisationen gar nicht mehr versuchen, etwas festzuhalten oder Beständigkeit anzustreben. Sie sollten ihre Energie darauf richten, auf der Welle der permanenten Veränderungen zu gleiten – mit Creaktivität, Innovationsbereitschaft und Lernfähigkeit.

Aber: Brauchen wir im Wirbelsturm der Veränderungen nicht doch etwas, woran wir uns orientieren können, etwas Festes und Unverrückbares? Sicherlich. Dieser windstille Bereich im Wirbelsturm, das Auge im Taifun – eine auf Werten bauende Unternehmensvision könnte dies leisten.

Charakteristika einer werteorientierten Vision

  • Eine auf Werten aufbauende Vision hilft, die Black Box des Alltagsgeschäftes zu verlassen.
  • Sie befreit von den Fesseln des operativen Geschäfts und weitet den Blick und eröffnet das Panorama auf das Unternehmen, wie es in fünf oder zehn Jahren ausschauen könnte.
  • Sie bildet das „Dach“ für die konkreten Ziele einer Unternehmung und ist zugleich handlungsanleitend.
  • Eine tragfähige Vision durchzieht das gesamte Unternehmen wie ein „roter Faden“ und spiegelt sich in allen Tätigkeiten, Handlungen und Denkweisen einer Unternehmung wider.
  • Die Vision und die daraus abgeleiteten Unternehmensgrundsätze finden sich auf den Etagen des Top-Managements ebenso wieder wie an den Schreibtischen eines jeden Mitarbeiters, wo sie ihre Motivations- und Inspirationskraft entfaltet.

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ZUM AUTOR
Über Dr. Reiner Czichos
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Dr. Reiner Czichos ist Experte für professionelles Veränderungsmanagement und Projektmanagement. Er arbeitet seit über 30 Jahren als Trainer, Berater, Moderator, Organisations- und Personalentwickler. Unter dem Motto „Das einzig ...
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