Einengende administrativ-bürokratische Prokrustes-Stellenbeschreibungen – sie sind zuweilen das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen. Denn sie engen die Mitarbeiter und Führungskräfte unnötig ein, pressen sie in ein Schema, das Kreativität, Ideenreichtum, Innovationsbereitschaft und Creaktivität – gemeint ist die umsetzungsorientierte, auf konkrete Veränderungen angelegte Kreativität – im Keim erstickt.
Rauf auf die Schauspielbühne
Szenenwechsel, ab ins Theater: Dort füllen die Schauspieler Rollen aus, in aller Regel sind ihnen die Verhaltensweisen, der Charakter der Figur vorgegeben. Aber mit Hilfe ihrer Begabungen und ihrer Schauspielkunst malen sie die Leerstellen aus, die durch Charakterzeichnung und Drehbuch offen bleiben. Sie „interpretieren“ ihre Rolle.
Ein Lernendes Unternehmen ist darauf angewiesen, dass kreative Führungskräfte und Mitarbeiter zwar Rollenbeschreibungen als Orientierung bietendes Geländer erhalten, diese dann aber gestaltend ausfüllen können. Nur so ist es möglich, diejenige Flexibilität zu erreichen, mit der innovative Lernprozesse in Gang gesetzt und Wandel aktiv gestaltet werden kann.
Zielsetzung im „Drehbuch“ verankern
Das Beispiel verdeutlicht den untrennbaren Zusammenhang zwischen lernfähigen und lernbereiten Individuen einerseits und Unternehmensprozessen auf der anderen Seite, die ein Unternehmen zu einem lernenden machen. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.
Dabei stehen jene Rollenbeschreibungen nur am Ende eines Prozesses, durch den das Gesamtunternehmen den Weg zur Lernenden Organisation beschreitet:
Die Aufführung des Stückes „Lernendes Unternehmen“
Es ist nur zu natürlich, dass es während der Aufführung immer wieder Korrekturen geben muss – Lernprozesse sind offene Prozesse, es müssen stets Feinjustierungen vorgenommen werden. Ein Regisseur, dessen Ensemble ein und dasselbe Stück jede Woche drei- viermal auf die Bühne bringt, wird Kleinigkeiten verbessern, Fehler korrigieren, jede Aufführung als Möglichkeit interpretieren, aus dem Publikumsfeedback zu lernen und noch besser zu werden.
Übertragen wir dies wieder aufs Unternehmen: Es müssen Strukturen geschaffen werden, durch die die Form der Zusammenarbeit zwischen Bereichen, Abteilungen, Mitarbeitern, also die tatsächlichen Informationsabläufe, sichtbar gemacht werden – um aus dieser Analyse schließlich zu lernen und notwendige Veränderungsprozesse abzuleiten.
Ein komplexe Aufgabe – die mit Hilfe der folgenden Ideen angegangen werden kann:
Interne Drehbuchänderungen
Task Forces, Strategiegruppen oder Veränderungsteams kümmern sich „hauptberuflich“ darum, dass die Strukturen und Prozesse permanent daraufhin geprüft werden, ob sie Lernfähigkeit garantieren. Diese Institutionen fragen sich jeden Tag:
Voraussetzung dafür ist eine Fehlerkultur, die Dinge, die schief laufen, zum Anlass nimmt, Verbesserungsprozesse aufzubauen – Beispiel „Beschwerdemanagement“: Folgende Einstellung ist das Ziel: Ein reklamierender Kunde räumt dem Unternehmen eine zweite Chance ein! Denn er geht nicht zur Konkurrenz, sondern will das Problem erst einmal mit den Betroffenen lösen. Die Konsequenz: Ein pro-aktives Beschwerdemanagement führt dazu, dass das Unternehmen nicht erst reagiert, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist. Es fordert den Kunden aktiv auf, sich zu beschweren und zu beklagenswerten Vorfällen zu äußern.
Beschwerdehotlines, Kundenbefragungen und Fragebogen, die den Produkten beiliegen oder bei Dienstleistungen dem Kunden in die Hand gedrückt werden, erhöhen die Wahrscheinlichkeit, Verbesserungspotenzialen auf die Spur zu kommen.
Mehr noch: Ein pro-aktives Vorgehen führt dazu, Reaktionsweisen auf Beschwerden zu erarbeiten, bevor eine entsprechende Reklamation vorliegt. Im Team werden dann mögliche Beschwerdegründe, die der Kunde noch gar nicht vorgetragen hat, vorweg genommen – und Reaktionsoptionen erarbeitet. So lernen Mitarbeiter, Führungskräfte und Unternehmen beim Regisseur „Kunde“ und nehmen gemeinsam Drehbuchänderungen vor.
Externe Drehbuchänderungen
Lernende Unternehmen brauchen creaktive Anstöße von außen. Regisseur und Schauspieler sind froh, wenn das Publikum – positive und negative – Kritik übt, der Beleuchter einen Verbesserungsvorschlag zur Bühnenausleuchtung unterbreitet und der Requisiteur mit einer tollen Idee aufwartet.
Anstöße von außen kommen vor allem von den Kunden. Aber auch Lieferanten, Spediteure, Berater, Wettbewerber, Dienstleister, kurz: alle, die mit dem Unternehmen auf irgendeine Art und Weise zu tun haben, sollten als „Angehörige des Unternehmens“ betrachtet und aktiv aufgefordert werden, Kritik zu üben und auf Verbesserungspotenziale hinzuweisen.
Denkanstöße von außen aufnehmen – das erfordert Souveränität. Souveränität, die Unternehmen, die sich das Lernen auf die Fahne geschrieben haben, durchaus aufbringen. Denn die Verantwortlichen wissen: Selbst die harscheste Kritik darf nicht persönlich genommen, sondern sollte als Anregung zur Weiterentwicklung begriffen werden.
Panta Rhei
Lernen heißt, Veränderungen vorzubereiten, einzuführen und durchzuführen. Erstrebenswert sind nicht Stabilität und Routine, sondern Change und Lernen. Globalisierung, Internationalisierung, weltweiter Wettbewerb, die Kommunikationsmöglichkeiten durch das Internet – es bleibt gar nichts anderes übrig, als sich frühzeitig fit zu machen für die Bewältigung der Herausforderung des lebenslangen Lernens – auf der Menschenebene und auf der Unternehmensebene.
„Alles fließt“ (Panta Rhei), so der Vorsokratiker Heraklit (um 540 v. Chr.). Dies trifft auf heutige Unternehmen mehr denn je zu. Wenn aber alles im Fluss ist, sollten die Verantwortlichen in den Organisationen gar nicht mehr versuchen, etwas festzuhalten oder Beständigkeit anzustreben. Sie sollten ihre Energie darauf richten, auf der Welle der permanenten Veränderungen zu gleiten – mit Creaktivität, Innovationsbereitschaft und Lernfähigkeit.
Aber: Brauchen wir im Wirbelsturm der Veränderungen nicht doch etwas, woran wir uns orientieren können, etwas Festes und Unverrückbares? Sicherlich. Dieser windstille Bereich im Wirbelsturm, das Auge im Taifun – eine auf Werten bauende Unternehmensvision könnte dies leisten.
Charakteristika einer werteorientierten Vision
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Buchtipp
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