Pressemitteilung, 30.01.2007 - 09:40 Uhr
Perspektive Mittelstand
Medienfrust stärkt Podcasting und Blogs: Schlechte Journalisten und Redaktionen umgehen - Nur noch zwei Prozent der Bevölkerung lesen regelmäßig längere Zeitungsartikel
(PM) , 30.01.2007 - Von Gunnar SohnKöln, www.ne-na.de – Spätestens seit Bundeskanzlerin Angela Merkel sich über ihren Video-Podcast an das Volk wendet, ist das neue Medium nicht nur für Internet-Freaks ein ernstzunehmendes Thema: „Die Medienresonanz auf die digitale Kanzlerin war enorm. Wenn diese Initiative sogar von einer so gemächlichen Zeitung wie der FAZ gelobt wird, dann hat sich die relativ geringe Investition gelohnt“, sagte Wolfgang Stock von der Agentur RCC Public Affairs www.rcc-public-affairs.com beim zweiten deutschen Podcast-Kongress www.podcastclub.fresh-info.de in Köln. Sein Unternehmen hatte das Konzept für den Merkel-Podcast entwickelt und die ersten Beiträge produziert. Das Interesse am Podcasting sei groß, nicht nur weil es kultig und cool wirke, sondern weil Frust herrsche über die linearen Programme der öffentlich-rechtlichen und privaten Medienhäuser. „Mit dem neuen Format bietet sich einzigartiges in der Medienlandschaft. Man kann die Öffentlichkeit, Kunden und Meinungsbildner direkt erreichen. Der normale Weg geht über die klassischen Medien. Wenn ich an dieser Stelle insinuiere, dass es etwas besseres gibt, dann haben sie jemanden vor sich, der Nestbeschmutzer ist, denn ich bin fast 20 Jahre Journalist gewesen. Es gibt aber ein Bedürfnis bei Qualitätsinformations-Providern, schlechte Journalisten und schlecht geführte Redaktionen zu umgehen. Hier liegt eine große Chance für die Unternehmenskommunikation: Ein gutes Angebot und interessante Informationen ohne Streuverluste mit Podcasting direkt an die anspruchsvolle Kundschaft zu vermitteln“, so Stock, der unter anderem zehn Jahre als Korrespondent für die FAZ in Bonn gearbeitet hat. Ein wesentlicher Aspekt der Podcast-Erfolgsgeschichte sei die Veränderung des Nutzerverhaltens: „Nur noch zwei Prozent der Bevölkerung lesen längere Artikel regelmäßig. Magere fünf Prozent abonnieren Qualitätszeitungen und- zeitschriften. Diese Print-Titel stapeln sich nur noch als Statussymbol auf den Schreibtischen. Kaum einer will sich eingestehen, dass man die altmodische Mediennutzung nicht mehr schafft. Ich glaube an die Macht der Bilder, die über neue Formate im Internet transportiert werden kann“, erklärte Stock. In dem 1922 erschienenden Buch „Die öffentliche Meinung“ von Walter Lippmann galten noch die alten Regeln für die massenmediale Bewusstseinsindustrie. Zeitungsartikel genossen den gleichen Wert und Respekt wie Parlamentsakten. Der Leser war passiv. Er war der Empfänger ohne eine eigene Stimme. Die öffentliche Meinung wurde von den führenden Medien-Kommentatoren bestimmt, obwohl Wahlen manchmal aufdeckten, dass Wähler nicht immer die Ansichten der Meinungsführer teilten. Noch 1960 konnte die FAZ mit Inbrunst proklamieren, dass sie als Zeitung „in einer geradezu unwahrscheinlich anmutenden Gleichmäßigkeit...über ganz Deutschland verbreitet“ sei und dass sie „auch im Ausland für Deutschland spricht, lehrt die Verbreitung in allen Ländern der Welt“. Der Ehrgeiz der Redaktion bestand darin, „Maßarbeit und nicht Konfektion zu bieten“. Mit „Urteilsvermögen, Jägerinstinkt, Fingerspitzengefühl“ arbeitete man an dem Gewicht und der Wirkung einer Nachricht. Der etwas anmaßende Anspruch der Frankfurter Schützengilde erweist sich durch neue Meinungsplattformen als Rohrkrepierer. Mit der Web 2.0-Technologie bekommt die Massenkommunikation nach Ansicht von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann über das Internet eine geradezu revolutionäre Dynamik. Der satirische Hitler-Film „Der Bonker“ des Karikaturenzeichners Walter Moers wurde von einem deutschen Fernsehkanal ausgestrahlt und erreichte 800.000 Zuschauer. „Aber im Internet, auf YouTube, MyVideo und anderen Plattformen lag die Zahl um ein Vielfaches über dieser Zahl. Das Internet besiegte das Fernsehen“, konstatiert Diekmann. Ähnliches spiele sich ab mit Informationen über Kochrezepte, mit der Bewertung von Autohändlern, Gaststätten oder Fluglinien. „Interessanterweise haben alle diese Plattformen eine Sache gemeinsam: eine hohe Glaubwürdigkeit. Hinter den Berichten von Medienprofis vermuten die Menschen häufig unehrliche Motive“. Die Blogwelt werde mittlerweile als das Mutterland der zuverlässigen Informationen angesehen. „Blogger warten nicht wie Journalisten auf neue Themen und Nachrichten, sie erleben Situationen“, schreibt der Dotcomtod-Experte Don Alphonso in seinem Opus „Blogs“ (Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag) www.blogbar.de. Der Mangel an Methode und Konsequenz in der Umsetzung der Themen ist nach Auffassung von Alphonso im Internet ein Vorteil. Es gebe Themen, die man mit einem einzigen Emoticon wie ;-) abhandeln kann. „Man muss online nicht jeden Gedanken zu einem Artikel auswalzen. Wenn man mehr zu sagen hat, ist der Platz im Internet unbegrenzt. Und gerade der ständige Wechsel von unterschiedlichen Texten und Textfragmenten macht das Lesen eine Blogs abwechselungsreich“, betont der Internetexperte. Der entscheidende Unterschied zum althergebrachten Journalismus sei aber nicht die Form, sondern die Einstellung der Blogs: Es gehe fast immer um die radikal subjektive Erfahrung und Weltsicht. Das in Redaktionen verpönte Wort „ich“ sei in der Blogger-Szene vollkommen normal. „Blogger berichten einseitig, parteiisch, sie kommentieren, machen sich lustig und sind mitunter grob bis beleidigend. Sie tun genau das, was man im Journalismus nicht tun darf. Blogs sind der Stoff, aus dem die Alpträume der Chefredakteure gemacht sind“, führt Alphonso aus. Befördert werde das Ganze durch Google. „Google pfeift auf den Standesdünkel der professionellen Medien. Egal ob Focus.de oder ein beliebiges Blog – vor Google sind sie erst mal alle gleich. Das Ranking wird nicht nach der Finanzkraft des Wirtschaftsunternehmens hinter der Site entschieden, sondern nach Kriterien wie der Häufigkeit der Veränderungen und der Anzahl der Links, die von anderen Seiten darauf verweisen. Und da haben die professionellen Medien ein enormes Problem. Jeder Link, der von der eigenen Seite wegführt, lenkt den Nutzer von der eigenen Site ab. Also vernetzen die Redakteure die Websites der professionellen Medien lieber intern“, schreibt „Blogs strotzen dagegen von Links. Das Zitieren und Linken von Texten, die man woanders gelesen hat, ist eine der ursprünglichsten Tätigkeiten des Bloggens. Was man selbst an Informationen nicht hat, holt man sich bei anderen – und setzt einen Link“, weiß Alphonso. Der Siegeszug neuer Kommunikationsformen im Internet erfolge in erster Linie ohne konkrete Absicht oder Planung: „Nur wenige Blogger verfolgen bewusst die Absicht einer so genannten ‚Gegenöffentlichkeit’ in der Tradition der 68er, die – meist verkrampft und dogmatisch – eine Randerscheinung geblieben ist. Es gibt keine politische oder weltanschauliche Ausrichtung, es geht nicht um das Errichten von Barrikaden und das Niederbrennen von Palästen, sonder vor allem um den Spaß am Publizieren“, resümiert Alphonso. Onlinemagazin NeueNachricht www.ne-na.de