Das „Führen mit Zielen“, im Fachjargon „Management by Objectives“ (MbO) bezeichnet, erlebt zurzeit eine Renaissance – vor allem, weil die Unternehmen die Entwicklungskomponente bei dem Management-Klassiker neu entdecken.
Eigentlich ist das „Führen mit Zielen“ ein alter Hut. Denn bereits 1954 stellte der 2005 verstorbene Peter F. Drucker das sogenannte „management by objectives“ (MbO) vor. Trotzdem entdecken immer mehr Unternehmen das „Führen mit Zielen“ neu – auch solche, in denen es bereits seit Jahrzehnten zu den offiziellen Führungsinstrumenten zählt.
Häufig verstaubte es in ihnen jedoch nach der Einführung in der Schublade – vor allem weil in der Betriebspraxis Postulate übersehen wurden, die mit dem MbO verbunden sind. So zum Beispiel Druckers Annahme: Die mit den Mitarbeitern vereinbarten Ziele müssen aus den Zielsetzungen des Gesamtunternehmens abgeleitet werden – auch damit der Sinnzusammenhang erkennbar bleibt. Stattdessen formulierte in der Praxis häufig jeder Bereich seine eigenen Ziele. Ein Abstimmen mit der Gesamtstrategie erfolgte nicht.
Ziel: Die Mitarbeiter integrierenDrucker war zudem überzeugt: Mit dem MbO können die Mitarbeiter in die Geschäftsprozesse integriert werden. Sind sie in das Formulieren der Ziele involviert, engagieren sie sich stärker für ihr Erreichen – wenn sie die nötigen Handlungs- und Entscheidungsspielräume haben.
Auch dieses Postulat beachteten zahlreiche Führungskräfte nicht. Häufig nutzten sie ihr Wissen um die Ziele als eine Art Geheimwissen, mit dem sie ihre Position legitimierten. Und ließen sie ihre Mitarbeiter an ihrem Wissen teilhaben? Dann taten sie dies primär, um deren Leistung zu kontrollieren. Dadurch verkam das „Führen mit Zielen“ zu einem reinen Formalismus, weil ihm das partnerschaftlich-kooperative Element fehlte.
Ziel: die Entwicklung der Mitarbeiter fördern
Dieser Umgang mit dem Thema Zielvereinbarung ist falsch. Wird das „Führen mit Zielen“ als Kontrollinstrument missbraucht, wäre es sinnvoller, zum Befehl-Gehorsam-Prinzip zurückzukehren. Denn dann geht just das Positive verloren, das dieses System auszeichnet. Den Mitarbeitern wird weder deutlich, in welchem Sinnzusammenhang ihre Tätigkeit steht, noch welche Bedeutung ihr Tun für den Erfolg des Unternehmens hat. Folglich zeigen sie auch nicht das nötige Engagement für das Erreichen der Ziele. Und schon gar nicht können sie sich, wenn sie bei der Arbeit vor grundlegenden Entscheidungen stehen, allein für das richtige Handeln entscheiden, weil ihnen die nötige Orientierung fehlt.
Dies gilt insbesondere dann, wenn ein weiteres Postulat von Drucker übersehen wird – nämlich: Das „Führen mit Zielen“ soll auch der Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter dienen. Das war in vielen Zielvereinbarungsgesprächen der Fall. In ihnen wurde zwar lange über die operativen Ziele gesprochen, die es zu erreichen gilt. Doch über die Entwicklungsziele für die Mitarbeiter? Über sie wurde, wenn überhaupt, eher am Rande parliert. Und schon gar nicht wurde vereinbart, wie die Führungskraft und das Unternehmen den Mitarbeiter in seiner Entwicklung unterstützen. Deshalb sahen die Mitarbeiter in den Zielvereinbarungsgesprächen keinen individuellen, persönlichen Nutzen.
Neubesinnen auf Funktion des MbODieser Umgang mit dem „Führen mit Zielen“ ist falsch. Das wurde inzwischen vielen Unternehmensführern bewusst. Eine zentrale Ursache hierfür ist: In der von rascher Veränderung und geringer Planbarkeit geprägten VUCA-Welt stehen viele Unternehmen vor der Herausforderung, schneller und flexibler zum Beispiel auf Marktveränderungen zu reagieren. Dies gelingt ihnen nur mit selbstbewussten sowie eigenverantwortlich und -initiativ handelnden Mitarbeitern. Wenn die Unternehmen von ihren Mitarbeitern jedoch mehr Eigenverantwortung und -initiative erwarten, dann müssen sie ihnen auch mehr Entscheidungsbefugnisse übertragen.
Hinzu kommt ein zweiter Grund: In der VUCA-Welt, in der sich – um ein Schlagwort zu gebrauchen – auch die sogenannte digitale Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft vollzieht, stehen die Unternehmen vor einer Vielzahl neuer Herausforderungen, für die noch keine Lösungen haben. Diese müssen in oft bereichsübergreifender Team- und Projektarbeit von Spezialistenteams erst entwickelt werden. Also können die Vorgesetzten ihren Mitarbeitern oft auch nicht sagen: „Tut dies und das, dann habt ihr Erfolg.“ Sie können ihnen nur aufzeigen, warum bestimmte Dinge zum Erreichen der übergeordneten Ziele nötig sind. Ansonsten müssen sie weitgehend auf deren Kompetenz vertrauen und die Mitarbeiter bei deren Ausbau unterstützen.
Führungskräfte brauchen neues SelbstverständnisVor diesem Hintergrund entdecken viele Unternehmen das MbO neu. Sie nehmen das „Führen mit Zielen“ zunehmend als ein Koordinierungs- und Entwicklungsinstrument wahr. Außerdem erkennen sie: MbO setzt eine bestimmte Unternehmens- und Führungskultur voraus. Das „Führen mit Zielen“ gelingt nur, wenn
- im Unternehmen eine Vertrauenskultur besteht, in der alle Beteiligten angstfrei miteinander kommunizieren, und
- die Führungskräfte sich auch als Lernende und Sinnvermittler sowie als Unterstützer und Befähiger ihrer Mitarbeiter verstehen.
Ein solches Rollen- und Selbstverständnis setzt voraus, dass die Führungskräfte mehr Zeit in das Gespräch mit ihren Mitarbeitern investieren. Werden die vereinbarten Ziele dann jedoch von den Mitarbeitern getragen und kontrollieren sie deren Erreichen weitgehend selbst, gewinnen auch die Führungskräfte hierdurch Freiräume.
Auch Führungskräfte brauchen UnterstützungInwieweit dies gelingt, hängt stark von den Inhalten der Zielvereinbarungsgespräche ab. In der Vergangenheit redeten die Führungskräfte in ihnen mit ihren Mitarbeitern oft mehr über Aufgaben und Maßnahmen als über Ziele – auch weil vielen der Unterschied zwischen Zielen, Maßnahmen und Aufgaben nicht bewusst war.
Entscheidender war jedoch: In den oft sehr hierarchisch strukturierten Betrieben der Vergangenheit wurden die Entscheidungs- und Handlungsspielräume der Mitarbeiter in der Regel umso kleiner, je weiter man in der Unternehmenshierarchie nach unten kam. Deshalb war es auf der operativen Ebene häufig schwierig, mit den Mitarbeitern qualitative Ziele zu vereinbaren. Deshalb wurden in den sogenannten Zielvereinbarungen oft nur Aufgaben aufgelistet.
Frage: Wo ist „Führen mit Zielen“ sinnvoll?Dies ist vielen Unternehmen speziell auf der operativen Ebene auch heute noch der Fall. Deshalb sollten Unternehmen durchaus darüber nachdenken: Ist es sinnvoll, das „Führen mit Zielen“ sozusagen flächendeckend zu praktizieren? Zuweilen empfiehlt es sich, zwar mit allen Mitarbeitern regelmäßig Mitarbeitergespräche zu führen, Zielvereinbarungsgespräche jedoch nur mit
- den Führungskräften und
- den Mitarbeitern, die im Arbeitsalltag oft vor der Herausforderung stehen, Neues zu entwickeln und eigenständig zu entscheiden, und die deshalb auch große Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume haben.
Auf alle Fälle sollten die vereinbarten Ziele jedoch auch an die Kollegen auch in den anderen Unternehmensbereichen kommuniziert werden, mit denen die Mitarbeiter im Arbeitsalltag kooperieren. Sonst ist ein Abstimmen der Ziele nicht möglich.
An dieser cross-funktionalen und horizontalen Abstimmung mangelt es in vielen Unternehmen, wie Studien zeigen. Dabei ist genau dieser Prozess extrem wichtig – nicht nur um das Silodenken zu überwinden, sondern auch um alle Beteiligten für die Schnittstellen zu sensibilisieren, an denen die meisten Fehler passieren und Konflikte entstehen.
Für ein neues Führungsverständnis werbenBeim Einführen des MbO spielen die Top-Manager eine Schlüsselrolle, doch auch danach ist ihre aktive Mitarbeit gefragt. Denn ohne ein aktives Vorleben erstarrt das System schnell in einem reinen Formalismus. Dann wird das Vereinbaren der Ziele von den Beteiligten als reine Zeitverschwendung erfahren. Denn die Führungskräfte sehen hierin kein geeignetes Instrument der Mitarbeiterführung – obwohl es hierzu, wenn die Mitarbeiter weitgehend eigenständig und -verantwortlich arbeiten sollen, eigentlich keine Alternative gibt. Und die Mitarbeiter? Sie sehen in dem MbO kein Instrument, das ihnen ein effektives (Zusammen-)Arbeiten erleichtert.
Mit diesem Problem kämpfen aktuell noch viele Unternehmen. Dieses Manko kann nur beseitigt werden, indem das Top-Management weiterhin dafür wirbt, dass sich auch die Führungskräfte im Unternehmen als Lernende begreifen (und nicht nur ihre Mitarbeiter); außerdem, indem das Unternehmen seine Führungskräfte entsprechend fördert und entwickelt.
Den nötigen Veränderungsdruck erzeugenDas Top-Management sollte jedoch auch den nötigen Veränderungsdruck erzeugen. Es muss seinen Führungs(nachwuchs)kräften klar signalisieren: „Wir wollen, dass sich außer der Zusammenarbeit auch die Führungskultur ändert.“ Ein solches Signal können die Auswahlkriterien für Führungskräfte sein. Ebenfalls ein starkes Signal „Wir wollen...“ kann das Einführen solcher Feedback-Tools wie das 360°-Feedback sein, bei dem auch die Mitarbeiter die Leistung ihrer Führungskräfte beurteilen.
Und noch stärker ist das Signal, wenn das Unternehmen die Vergütung der Führungskräfte unter anderem an dieses Feedback koppelt. Denn nach wie vor gilt: Das Vergütungssystem ist nicht nur für die Mitarbeiter, sondern auch für die Führungskräfte ein zentraler Indikator dafür, was dem Unternehmen wirklich wichtig ist.
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