(PM) , 17.07.2006 - von Erhard Glogowski
Bonn - Von klein auf wird Kindern und Jugendlichen das Sprichwort eingebleut: Müßiggang ist aller Laster Anfang. Für Müßiggang scheint in der gegenwärtigen Arbeitswelt weniger denn je Platz zu sein. Die in Wochenstunden berechneten Arbeitszeiten werden länger. Die Berufstätigen verabschieden sich stufenweise von der 35 Stundenwoche. Dass die VW- Beschäftigten eine Wochenarbeitszeit von 28,8 Stunden haben, gilt unterdessen als Anachronismus. Natürlich führt kein Weg zurück zu den Arbeitsbedingungen in der Frühphase des industriellen Zeitalters mit Kinderarbeit und einem täglichen Arbeitspensum von 12-16 Stunden. Und so beklagte der Philosoph Johann Gottlieb Fichte, der selbst anstrengende Kinderarbeit verrichtete, die allzeit vorherrschende zermürbende, den Menschen zerstörende Arbeitslast. „Der Mensch soll arbeiten; aber nicht wie ein Lasttier, das unter seiner Bürde in den Schlaf sinkt, und nach der notdürftigsten Erholung der erschöpften Kraft zum Tragen derselben Bürde wieder aufgestört wird. Er soll angstlos, mit Lust und mit Freudigkeit arbeiten und Zeit übrig behalten, seinen Geist und sein Auge zum Himmel zu erheben, zu dessen Anblick er gebildet ist".
Der Ruf nach Muße zur physischen Regeneration ist nur ein Aspekt und allzu begründet. Daneben meldeten sich Stimmen, die inmitten des Arbeitselends so weit gingen, die Arbeit ganz abzulehnen und sich von dieser Last eigenhändig zu entbinden. Diese Entpflichtung begründeten sie damit, dass sie aus besserem Menschenmaterial als der Durchschnitt geschaffen seien und ihnen deshalb eine Ausnahme zustünde. Der Überdruss, ungeliebte Arbeit zu erledigen, gipfelte bisweilen in der Forderung, man müsse ein Recht auf Faulheit anerkennen und eigentlich sei der Mensch zur Muße bestimmt. Die diese Ansicht vertretenden Denker sahen in der Arbeit den unerwünschten Bestandteil des Lebens und schwangen sich zur Duldung, wenn nicht gar zum Lobe der Faulheit auf. Paul Lafargue, ein Schwiegersohn von Karl Marx und sozialistischer Agitator, war sich nicht zu schade, eine Broschüre unter dem Titel „Das Recht auf Faulheit" zu veröffentlichen. Marx verdross freilich, dass Lafargue „von Natur nicht sonderlich arbeitsam ist".
Vermögenspolster suspendiert vom Arbeitszwang
Man kann sich in der Tat fragen, ob jemand arbeiten soll, dessen finanzielle Mittel ausreichen, ihm diese Mühsal zu ersparen. Wahrlich unabhängig ist nur, wer sich einem Brotberuf zu entziehen vermag. Der begüterte Schopenhauer hat eine Anstellung um des Verdienstes willen abgelehnt. Er war der Ansicht, er schenke der Menschheit durch seine philosophischen Einsichten so viel, dass ihm die Plage der unfreiwilligen Arbeit nicht zuzumuten sei. Er sprach sich frei „vom allgemeinen Frondienst, diesem natürlichen Lose des Erdensohnes". Schopenhauer hatte als umsichtiger Verwalter eines ererbten Vermögens gut reden. „Denn von Hause aus so viel zu besitzen, dass man, wäre es auch nur für seine Person und ohne Familie, in wahrer Unabhängigkeit, das heißt, ohne zu arbeiten bequem leben kann, ist ein unschätzbarer Vorzug". Anmaßend ist des Philosophen Verhalten nicht. Er verlangte weder staatliche Unterstützung noch ging er Dritte um Hilfe an. Er hatte mit dem genug, das ihm durch die väterliche Erbschaft zufiel. Auf seine Art war er fleißig, indem er über die Rätsel der Welt nachdachte und zur Belehrung der Nachwelt schrieb. Wer kann ihm die Scheu verdenken, sich von seiner eigentlichen Berufung ablenken zu lassen und sich die Hände mit manueller Arbeit schmutzig zu machen?
Reduzierung der Arbeitslast
Es ist ein bezeichnender Zug der Sozialreformer und utopischen Schriftsteller, Pläne und Wirtschaftssysteme zu entwickeln, die den Menschen die Arbeit erleichtern. Die Entlastung vom Arbeitsjoch kann auf verschiedene Weise geschehen: durch eine gleichmäßigere Verteilung der Arbeitsmenge auf die Gesamtbevölkerung, Einsatz von arbeitssparenden Erfindungen und Maschinen und schließlich dadurch, dass die Bedürfnisse zurückgeschraubt werden. Eine Gesellschaft, die zum Beispiel den Luxus ablehnt und sich auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse beschränkt, kommt mit einer geringeren Güterproduktion aus und damit folglich auch mit weniger Arbeitsaufwand. Der Staat kann die Produktion und Verteilung lenken und das vermeintlich Überflüssige verbieten, wie es zum Beispiel Fichte in seinem utopischen „geschlossenen Handelsstaat" vorsieht. Ob Utopisten oder Sozialisten, eines wollen sie keineswegs, die Arbeit ganz abschaffen. Es geht ihnen vielmehr darum, sie zu minimieren, jedoch streng darauf zu achten, dass sich kein Bürger der Arbeitspflicht entzieht. Im Gegenteil, die „Bärenhäuterei", das heißt, sich dem süßen Nichtstun hinzugeben, dünkt ihnen verwerflich und wird nicht geduldet. Fichte postuliert: „Wie kein Armer, so soll auch kein Müßiggänger im Staate sein".
Kopfarbeit ist mit Handarbeit nicht vergleichbar
Im technologischen Zeitalter wird die einfache Handarbeit zunehmend seltener nachgefragt und schlechter entlohnt als der Einsatz intellektueller Fähigkeiten. Ist darum die Geistesarbeit höherwertiger als die manuelle Kraftanstrengung? Nicht unbedingt. Geistige Leistungen kommen bloß anders zustande. Erblickt eine überragende Idee oder eine Erfindung das Licht der Welt, spricht man oft von einem Geistesblitz. Dieser Geistesblitz stellt sich eben plötzlich ein, und sein Wert ist nicht daran zu messen, ob und wie viele Arbeitsstunden ihm vorausgingen. Mit anderen Worten, Inspiration bedarf nicht notwendig der Transpiration. Ohne Fleiß, doch ein Preis! Das ist sicherlich nicht alltäglich. Die Wirtschaftswissenschaften sind mittlerweile jedoch geneigt, auch einer gewissen Klasse von vermeintlichen Müßiggängern produktive Kräfte zuzuschreiben. In den Labors, Konstruktionsbüros und Testgeländen wird weiterhin der Schweiß der Edlen in Strömen fließen. Daneben wird es immer eine Gruppe von Menschen geben, die sich absondern und ihren andersgearteten Beitrag zum Sozialprodukt oder dem Wohl der Menschheit leisten.
Zu diesen begnadeten Menschen zählte Albert Einstein. Er kannte neben hektischen Arbeitsphasen auch ausgedehnte Ruhezeiten. Seine Interessen gingen über die Naturwissenschaften hinaus. Zur Kultur und Ökonomie äußerte er sich dezidiert, und bei ihm klingt an, dass die menschliche Trägheit naturgegeben ist. Mithin ist es die animalische Not, die den Menschen zu einer die Nahrung erzeugenden Arbeit zwingt. Sobald die Notlage überwunden ist, erlahmt die Emsigkeit. „Der Mensch ist von Natur, wie alle Tiere, träge. Wenn ihn nichts zwickt, dann denkt er kaum und handelt aus Routine ähnlich wie ein Automat". Der Ansporn, sich das Lebensnotwendige zu verschaffen, ist deshalb bei den meisten Menschen der Anlass, sich anzustrengen. Die Beschaffung des Lebensunterhaltes sollte nach Einstein freilich nicht übermäßig in Anspruch nehmen, auf dass der Mensch Muße habe, sich geistig fortzuentwickeln und zu sich selbst zu finden. „Der Mensch soll zur Erlangung des Lebensnotwendigen nicht so viel arbeiten müssen, dass ihm weder Zeit noch Kraft zu privaten Beschäftigungen bleiben".
Fast nie werden die Verdienste der Personen in einflussreichen Stellungen gewürdigt, die sich entschließen, abzuwarten und vorerst nichts zu tun. Ihnen haftet leicht der Makel der Unschlüssigkeit und Arbeitsunwilligkeit an. Das hektische Treiben in der Politik und in den Unternehmen wird vielmehr per se als dynamisch und daher begrüßenswert beurteilt. Dabei ist der angerichtete Schaden durch nicht enden wollende Reformvorhaben und Umstrukturierungen unermesslich. Der Begriff „Reform" ist vielfach negativ besetzt. Er verheißt Unruhe, Schlechterstellung und Lösungsinkompetenz. In der Steuer-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik jagen sich die Modelle, Vorschläge, Gesetzesänderungen, so dass der Überblick verloren geht und die Betroffenen keine Planungssicherheit haben. Man versäumt es, die Wirkungen einer getroffenen Maßnahme abzuwarten, ehe der nächste Schritt getan wird. Wie viele Unternehmen sind nicht schon durch überstürzte Innovationen oder Nachahmereffekte untergegangen. Es ist eben nicht immer richtig, etwas Neues tun zu wollen, statt beim Bewährten zu bleiben und dieses behutsam weiter zu entwickeln.
Was zählt Marktwert oder Bemühen?
Als Gipfel der Ungerechtigkeit wird meist angesehen, dass der Müßiggänger oder wenig Arbeitende mitunter noch reichen Lohn einfährt. Was ist von dieser Entrüstung zu halten? In einer freien, dem Wettbewerb ausgesetzten Gesellschaft zählt das verwertbare Arbeitsprodukt, nicht die persönliche Anstrengung. So kann es geschehen, dass ein Erdbeerpflücker sich durch das ständige Bücken Haltungsschäden zuzieht und doch kaum über die Runden kommt, während ein Investmentbanker für eine einmalige geglückte Transaktion Millionen einstreicht und sich bester Gesundheit erfreut. Ist diese Diskrepanz in einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung aufhebbar? Alles spricht dagegen, wie der Nationalökonom Friedrich A. von Hayek belegt. „Wir können natürlich versuchen, die Entlohnung nach Verdienst anstatt nach Wert zu geben, aber wir würden damit kaum viel Erfolg haben. Wir würden bei diesem Versuch die Anreize zerstören, die es den Menschen ermöglichen, selbst zu entscheiden, was sie tun wollen. Außerdem ist es mehr als fraglich, dass selbst ein einigermaßen erfolgreicher Versuch in dieser Richtung eine anziehendere oder auch nur erträgliche Gesellschaftsordnung schaffen würde". Die Entscheidung eines Faulen, sich auszuruhen, mag mit Stirnrunzeln quittiert werden; sie ist hinzunehmen, wenn dadurch keine Forderungen gegen die Gemeinschaft erwachsen. Überdies wehrt sich die Gesellschaft gegen die Vereinnahmung von als sozial ungerecht empfundenen Höchsteinkommen. Mit Hilfe der Progressionsstufen im Steuerrecht werden hohe Einkommen beschnitten und umverteilt. Die beabsichtigte Einführung einer „Reichensteuer" ist Ausdruck dieses Denkens.
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