Fachartikel, 17.11.2009
Perspektive Mittelstand
Krisen meistern
Krisenmanagement heißt lernen und nach vorne blicken
Unternehmer und Führungskräfte stehen vor einer gewaltigen Herausforderung: Neben dem Krisenmanagement müssen sie mit strategischem Weitblick prüfen, welche Konsequenzen sie aus der jetzigen Situation für die Zukunftsgestaltung ziehen müssen. Denn die nächste Krise kommt bestimmt.

Sie, ich, man darf wohl sagen: Wir alle stecken im Moment „voll drin“ in der Krisenbewältigung. Wahrscheinlich sind auch Sie in Ihrem Verantwortungsbereich derzeit damit beschäftigt, die Krise zu bekämpfen, die Folgen überschaubar zu halten und – vor allem – die Chancen zu nutzen, die uns die Krise zu bieten hat.

Im Übrigen: Das chinesische Schriftzeichen für „Krise“ ist aus den zwei Symbolen für „Gefahr“ und „Chance“ zusammensetzt. Und darauf kommt es jetzt an: Vorausschauend die Chancen im Wandel zu erkennen und mit den positiven Aspekten der Krise konstruktiv umzugehen.

Krisenphasen sind Lehrzeiten

Dieser konstruktive Umgang hat nach meiner Erfahrung zwei Dimensionen:

  • Zum einen bezieht sich der konstruktive Umgang natürlich auf das aktuelle Krisenmanagement, mit der Bewältigung der jetzigen Situation. Sie müssen mit pragmatisch schnellen Projekten die Veränderungen gestalten, die jetzt für Ihr Team, Ihre Abteilung, Ihr Unternehmen am wichtigsten sind. Schnelligkeit, Flexibilität und Dynamik stellen die Eigenschaften dar, die für Ihre Mitarbeiter und Sie unerlässlich sind.
  • Zum anderen sollten Sie die Krise als Lernprozess begreifen. Krisenmonate sind Lehrmonate. Krisenjahre sind Lehrjahre. Ihre Mitarbeiter und Sie befinden sich im Fitnesstraining, im Trainingscamp. Die Krise hat Sie vielleicht auf dem falschen Fuß erwischt, Sie konnten sie nicht vorhersehen und sich nicht darauf einstellen. Alles, was Sie nun lernen und erfahren, sollten Sie als Vorbereitung nutzen, um für die nächste schwierige Zeit gewappnet zu sein.

Natürlich ist es schwer, bei all der operativen Hektik, die durch das aktuelle Krisenmanagement entfacht wird, auch einmal in Ruhe zu reflektieren, welche Konsequenzen für „The day after“, für den Tag nach der Krise gezogen werden müssen. Nach der Krise ist vor der Krise – und nachdem sich die Gewitterwolken verzogen haben, wird es wieder Sonnenschein geben. Aber die nächste Gewitterfront kommt bestimmt.

Wer die jetzige Krise überleben oder sogar gestärkt aus ihr hervor gehen will, muss die Lehren aus der schwierigen Zeit ziehen. Diese Lehren werden branchenspezifisch ausfallen und von Unternehmen zu Unternehmen andere sein. Trotzdem lassen sich einige Punkte festhalten, die wohl die meisten Firmen und so gut wie alle Führungskräfte betreffen.

Konsequenz 1: Sammeln Sie alle verfügbaren Informationen


Fordern Sie alle Führungskräfte und Mitarbeiter in Ihrem Verantwortungsbereich auf, alle Informationen zur derzeitigen Krisensituation zu sammeln und Erfahrungsberichte zu verfassen. Sie interessieren nicht nur die Zahlen, Daten und Fakten, sondern das Erfahrungswissen, das sich jetzt anhäuft. Wahrscheinlich werden auch bei Ihnen Ereignisse vorkommen, Erfahrungen gemacht und Dinge erlebt – im Umgang mit Kunden, Lieferanten, aber auch mit den Mitarbeitern –, die nur in einer Krise möglich sind und zu beobachten sind.

Fordern Sie Ihre Leute auf, über diese speziellen und einmaligen Erfahrungen zu berichten – subjektiv und erlebnisorientiert. Fragen Sie sie zum Beispiel:

  • Welche spezifischen Reaktionen im Umgang mit Kunden (Lieferanten, Mitarbeitern …) erleben Sie jetzt? Welche Gespräche ergeben sich daraus?
  • Welche außergewöhnlichen Erfahrungen machen Sie?
  • Welche besonderen Lernprozesse durchleben Sie, die der Krisensituation geschuldet sind?

Sie sammeln also Analysematerial, das die Grundlage dafür bildet, die Situation in Ihrem Verantwortungsbereich einschätzen zu können. Dabei sind die Gefühle und Emotionen, die eine Rolle spielen, oft aussagekräftiger als die nackten Zahlen. Diese Gefühle und Emotionen werden Sie wohl eher im persönlichen Gespräch mit Ihren Mitarbeitern und Führungskräften erspüren können. Nutzen Sie die Krisensituation, um nicht nur die fachliche, sondern vor allem die soziale und emotionale Intelligenz zu steigern.

Konsequenz 2: Richten Sie eine Projektgruppe „Krisenprävention“ ein

Ob die schwere Finanz- und Wirtschaftskrise von irgendjemandem hätte vorhergesehen werden können, ist umstritten. Trotzdem sollten Sie prüfen, ob Sie nicht eine Projektgruppe einsetzen sollten, die in Zukunft die Veränderungen in den Rahmenbebedingungen und im unternehmerischen Umfeld daraufhin abklopfen, ob sich Krisensymptome zeigen.

Stellen Sie die Arbeit des Projektteams unter die allgemeine Fragestellung: „Stimmt unsere strategische Ausrichtung noch? Ist angesichts der derzeitigen Situation eine Anpassung oder Änderung notwendig?“ Diese Fragestellung ist ein wenig von der Krisensituation abgekoppelt und macht den Blick frei für die Anpassung an Veränderungen jeglicher Art.

Konsequenz 3: Sorgen Sie für Projektmanagement-Kompetenz

„Projekt-Management“ ist der Sammelbegriff für all die Prozesse und Werkzeuge, die benötigt werden, um in einer gegebenen Zeit mit den erforderlichen Ressourcen – Menschen, Werkzeuge, Finanzen – ein Ziel zu erreichen, das quantitativ und qualitativ klar definiert ist. Oft werden dazu Menschen aus der Linie herausgezogen. Sie übernehmen dann für eine befristete Zeit eine Aufgabe innerhalb des Projektteams, um schließlich wieder in die Linie zurückzukehren.

Der eine oder andere mag sich nun fragen: Was hat das Projektmanagement mit der Krisenbewältigung zu tun? Nun – vielleicht verhält es sich bei Ihnen genauso: In den meisten Unternehmen gibt es jetzt einen Stab oder eine Projektgruppe, die sich mit der Bewältigung der Krise beschäftigt. Das ist im Prinzip richtig – es muss eine Kerngruppe geben, die sich mit diesem brennenden Problem in ganz besonderem Maße auseinander setzt.

Allerdings: In der Krise, bei der Bewältigung einer schwierigen Zeit, sollte es einen erheblichen Unterschied zum „normalen“ Projekt geben: An dem Krisen-Change-Projekt müssen alle Mitarbeiter und Führungskräfte beteiligt werden. Wenn die Krisenbewältigung an eine kleine Gruppe delegiert wird, birgt dies die Gefahr, dass die anderen Mitarbeiter und Führungskräfte die Verantwortung von sich schieben: „Die Task Force kümmert sich doch – dann muss ich selbst mich nicht engagieren.“

Darum sollten Sie viele, ja möglichst alle Menschen im Unternehmen mit einem Grundwissen im Projektmanagement ausstatten. Dieses Know-how nutzt nicht nur bei der Vertreibung der nächsten Krisen-Gewitterwolke, sondern auch, um auf den Nägeln brennende Probleme zu lösen, in Qualitätszirkel auf die Suche nach Optimierungsmöglichkeiten zu gehen oder durch Account-Teams wichtige Großkunden zu betreuen.

Konsequenz 4: Schaffen Sie die Grundlagen für Speed Management

Derzeit finden vielleicht auch Sie jeden Tag neue Verhältnisse an Ihrem Arbeitsplatz vor: Der Großkunde ist nun doch nicht abgesprungen, die politischen Rahmenbedingungen haben sich geändert, die Geschäftsführung hat das Budget gekürzt, ein Großauftrag winkt, ein Angebot muss eher gestern als heute raus. Das ist derzeit der tägliche Wahnsinn, mit dem Führungskräfte zumeist unvorbereitet konfrontiert werden.

Schnelligkeit und Dynamik sind in Zeiten, in denen tägliche Flexibilität und stündliches Anpassungsvermögen zur Routine werden, wichtiger als je zuvor. Überspitzt ausgedrückt: Jeder Tag muss wie ein Projekt angegangen werden. Darum sollten für die Zukunft auch Linienmanager, sollten alle Mitarbeiter, die Verantwortung tragen, wissen, wie man ein Projekt auf- und durchzieht.
Ich empfehle ein „Projektmanagement light“, also einen Schnellkurs in den vier Dimensionen des Projektmanagements:

  • die fachliche Dimension: Alle Mitarbeiter und Führungskräfte werden in einer Art Crash-Kurs mit den elementaren Begriffen, Methoden und Werkzeugen des Projektmanagements vertraut gemacht.

  • die menschliche Dimension: Projekte scheitern häufig daran, dass es „beim Menschlichen“ nicht klappt. Die Projektmitglieder müssen sich „riechen“ können und zusammenpassen, der Projektleiter sollte über außerordentliche Führungskompetenzen verfügen und einen Teamgeist im Projektteam entfachen können. Der „Faktor Mensch“ spielt bei der Projektarbeit eine große Rolle. Beide genannten Aspekte müssen zusammen kommen: Ein Projektleiter ohne Projektmanagement-Werkzeuge, aber mit viel Teamgeist und Moderationstechnik ausgestattet, wird wohl ebenso erfolglos bleiben wie ein „hard-nosed“ Projektmanager, der alle Methoden des Projektmanagements virtuos und sachlich-korrekt einsetzt, aber keine Ahnung davon hat, wie er die beteiligten Menschen führen und begeistern soll.

  • die "creaktive" Dimension: Erfolgreiches Projektmanagement benötigt kreative Methoden, um zu überraschenden Problemlösungen zu gelangen, etwa die „6-3-5-Methode“, das „laterale Denken“ oder die „morphologische Matrix“.

Die vierte Dimension schließlich betrifft das Change Management – denn ein Projekt führt immer zu Veränderungen, erst recht das der Krisenprophylaxe und -bewältigung. Ihre Aufgabe ist es, den Mitarbeitern und Führungskräften Möglichkeiten zu eröffnen, nicht nebenbei, sondern gezielt und in Ruhe Projektmanagement-Fachwissen, Führungs-Know-how, Problemlösungskompetenz und Change-Wissen aufzubauen. So kann jeder im Unternehmen bei der nächsten Krise am Projekt „Krisenbewältigung“ teilnehmen – auch diejenigen Menschen, in deren Aufgabenbereich es ansonsten nicht fällt, Projekte zu managen oder Projektarbeit zu leisten.

Konsequenz 5: Ganzheitlich denken und handeln

Die Finanz- und Wirtschaftskrise ist mit einer derartigen Überraschung und Intensität auf uns hereingebrochen, dass die meisten Unternehmen mit Sofortmaßnahmen reagieren mussten, die jedoch nicht immer gut vorbereitet waren. Jetzt haben Sie die Möglichkeit, aufgrund der beschriebenen Lernprozesse für die Zukunft besser gerüstet zu sein.

Der ganzheitliche Ansatz besagt, dass Ihre Mitarbeiter und Sie einerseits gezielt an der Einstellung feilen können, die in der Krise liegenden Chancen für das Unternehmen zu nutzen. Und zum anderen sollten Sie Tools entwickeln, die aus den jetzigen Erfahrungen abgeleitet werden können und zum Beispiel Krisenaktionspläne, Kommunikationspläne und Notfallpläne umfassen.

Fazit

Aus Fehlern werden Sie klug, vor allem aus Fehlern, die Ihnen in der Krise unterlaufen sind. Entscheidend ist, wie Sie damit umgehen und somit die Frage: Stecken Sie den Kopf in den Sand – oder begreifen Sie Ihre Erfahrungen als Lernmöglichkeiten?

ZUM AUTOR
Über Dr. Reiner Czichos
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Dr. Reiner Czichos ist Experte für professionelles Veränderungsmanagement und Projektmanagement. Er arbeitet seit über 30 Jahren als Trainer, Berater, Moderator, Organisations- und Personalentwickler. Unter dem Motto „Das einzig Stabile ist die Veränderung – und Veränderung ist Fortschritt“ wendet er sich mit den Beratungs- und Trainingsleistungen seines Unternehmens ctn (consulting & training network, München) an Unternehmen, die unter Veränderungsdruck stehen. Mit Hilfe seiner langjährigen Erfahrung zeigt er Führungskräften und Mitarbeitern, wie sie erfolgreich Changeprozesse implementieren.
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