Pressemitteilung, 03.07.2006 - 12:28 Uhr
Perspektive Mittelstand
„Klopfen und Warten“: Dienstleistungsökonomie braucht bessere Konzepte - Unternehmen und Behörden sollten sich zum Service-Provider wandeln
(PM) , 03.07.2006 - Kronberg – Industriekapitäne, Verbandsfunktionäre und Politiker misstrauen immer noch dem Trend zur Dienstleistungsgesellschaft. Ihr Standardargument: „Vom Haare schneiden alleine kann eine Volkswirtschaft nicht leben“. Nach Ansicht von Michael Müller, Experte für Dienstleistungsökonomie und Geschäftsführer der a & o-Gruppe www.ao-services.de, belege die populäre Kalenderweisheit nur die Kurzsichtigkeit wichtiger Meinungsführer in Deutschland. „Diese Industrielogik erinnert ein wenig an eine Bemerkung von Adam Smith in seinem 1776 veröffentlichten Werk ‚The Wealth of Nations’: ‚Die Arbeit einiger der respektabelsten Berufsgruppen – Kirchenmänner, Anwälte, Ärzte – ist unproduktiv und ohne Wert.’ Das waren die alten Zeiten der Dampfmaschine. Ein Blick in die Statistik belegt, dass der Konsum von Dienstleistungen in Deutschland inzwischen rund 69 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Die Wertschöpfungsketten in unserem Land werden schon lange nicht mehr von der industriellen Produktion getaktet“, so Müller. Es komme darauf an, wie man Dienstleistungen definiere. „Wir betrachten die Warenwelt immer noch zu produktzentriert aus dem Blickwinkel der Massenfertigung. Das reicht nicht mehr aus. Die Produktion und der Absatz der Güter muss durch intelligente Service-Konzepte angereichert werden“, so Müller. Der Trendforscher Matthias Horx sieht das ähnlich: „Der Konsum als reiner Kaufakt wird problematisch. Früher spielte sich das in sogenannten Savannenmärkten ab. Das Ganze war geprägt von Herdenverhalten und nicht sehr artenreich. Das Kundenverhalten war berechenbar. Heute sind wir in Dschungelmärkten gelandet mit Artenvielfalt, instabilen Gleichgewichten mit Nischenmärken und Spezialisierung“, sagte Horx beim 10. Zukunftskongress seines Zukunftsinstituts www.zukunftsinstitut.de in Kronberg bei Frankfurt am Main. Die Zeiten, in denen Produkte auf den Markt geworfen wurden und eine Produktlinienerweiterung der nächsten folgte, seien definitiv vorbei. „In Zukunft geht es immer weniger um das Verkaufen von Produkten, sondern um die auf den Einzelnen ausgesteuerte Unterstützung bei komplexen Alltagsproblemen“, führte Birgit Mager, Professorin für Service Design www.service-design.de an der Fachhochschule Köln, in Kronberg aus. Die amerikanische Soziologin Shoshana Zuboff beschreibe diese Entwicklung treffend als „Support-Ökonomie“. „Diese Tendenz lässt sich mittlerweile auch an den privaten Konsumausgaben ablesen. Seit 2003 geben die Deutschen zum ersten Mal mehr Geld für Dienstleistungen als für Produkte aus. Wir abschieden uns vom Produkt-Paradigma und schwenken ein in eine Epoche, in der immaterielle Dienstleistungen die Märkte antreiben werden. Allerdings müssen Dienstleistungen in Zukunft mit der gleichen Akribie konzipiert und ‚gebaut’ werden wie die technologischen Innovationen des industriellen Zeitalter“, forderte Mager. Die Dienstleistungsökonomie könne nur mit mehr Forschung und Entwicklung vorangebracht werden. „Deutsche Unternehmen der verarbeitenden Industrie investieren pro Jahr und Mitarbeiter im Schnitt rund 3.215 Euro in Forschung und Entwicklung. Dienstleister dagegen bringen es im Vergleich dazu gerade mal auf 67 Euro“, monierte die Professorin. Wo ungenügendes Service Design hinführen könne, machte Mager an einem Erlebnis im Kölner Gesundheitsamt deutlich: „Auch die Behörden wollen sich zu bürgerfreundlichen Dienstleistern entwickeln. Das hört aber bei den Öffnungszeiten schon auf, wenn man Montags bis Donnerstags von 8,30 bis 12,30 Uhr zur amtsärztlichen Untersuchung gehen kann und am Freitag sogar nur von 8,30 bis 11,45 Uhr. Kommt man dann zur Untersuchung wird man von einem wenig freundlichen Hinweisschild begrüßt mit ‚Klopfen und Warten’. Folgt man dem behördlichen Ersuchen, öffnet sich nach längerer Zeit die Tür und man erhält wortlos einen Becher ausgehändigt. Den Rest muss man sich halt denken und den Inhalt des Bechers mit der obligatorischen Urinprobe füllen. Dieser Fall ist kein Einzelbeispiel. Zukunftsträchtige Services sehen anders aus“. Das Service-Design müsse einem Drehbuch folgen aus Sicht des Kunden. Wenn allerdings Führungskräfte im öffentlichen Dienst oder der Wirtschaft 70 Prozent ihrer Arbeitszeit mit dem Rücken zum Kunden verbrächten, sei kein Wunder, dass bei Dienstleistungen häufig der Erlebnischarakter fehle.