(PM) , 28.07.2006 - Von Philip Plickert
Bonn/München - Erdöl wird als Schmierstoff der Wirtschaft bezeichnet. Wird dieser immer teurer und knapper, knirscht es im Getriebe. Mit der Eskalation des Konflikts im Nahen Osten hat der Ölpreis jetzt neue Rekordmarken erreicht, die Ökonomen mit Sorge sehen. Zeitweilig notierte das Barrel (Fass zu 159 Litern) bei 78 US-Dollar. An den Rohstoffmärkten gibt es Stimmen, die angesichts der geopolitischen Risiken vor einer weiteren Verteuerung auf über 80 Dollar warnen. In den vergangenen Jahren hat sich der Ölpreis vervierfacht: Noch 2002 lag er bei 20 Dollar, stieg bis Mitte 2003 auf 30 Dollar, zog dann bis Ende 2004 stark an auf über 50 Dollar und überschritt im Herbst 2005 erstmals die Marke von 70 Dollar. Eine neuerliche Zuspitzung des Atomstreits mit Iran könnte einen weiteren Preisschub bedeuten.
Aktienmärkte weltweit haben auf den neuen Anstieg des Ölpreises mit Verlusten reagiert. Obwohl Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) Befürchtungen widersprach, dass die jüngste Verteuerung Deutschlands konjunkturelle Aussichten stark eintrüben werde, bleiben viele Ökonomen skeptisch. Bleibt der Preis des Rohstoffs längere Zeit auf dem gegenwärtigen hohen Niveau, wird dies das ohnehin nicht allzu kräftige deutsche Wirtschaftswachstum dämpfen, das in diesem und im kommenden Jahr nach Prognosen zwischen 1,6 und 1,8 Prozent betragen soll. Bundesbankpräsident Axel Weber hat erst kürzlich an die Faustregel erinnert, wonach das globale Wachstum für drei Jahre um je 0,1 Prozentpunkte gedrückt werde, wenn der Rohölpreis dauerhaft um zehn Dollar steigt.
Damit reicht der zu befürchtende Konjunkturrückgang bei weitem nicht an jene schweren Rezessionen heran, die es in den siebziger Jahren in der Folge der Ölpreis-Schocks gab. 1973/1974 hatte die OPEC, das arabisch dominierte Kartell der Öl exportierenden Länder, als Sanktion für die westliche Unterstützung Israels die Produktion drastisch gedrosselt und eine Vervierfachung des Ölpreises bewirkt; 1979 reagierten die Märkte auf die Revolution im Iran mit Panikkäufen und trieben so den Ölpreis in die Höhe. In beiden Fällen stürzte die Weltwirtschaft in eine Depression. Die ökonomische Erklärung ist einfach: Nach dem Öl-Schock musste die Wirtschaft ihre gesamte Produktionsstruktur verändern und den Verbrauch des verteuerten Rohstoffs reduzieren oder ihn durch andere ersetzen.
In den siebziger Jahren gelang diese angebotsseitige Anpassung nur schlecht – auch aufgrund wirtschaftspolitischer Fehlentscheidungen. So versuchte die Politik in den meisten westlichen Ländern, die durch den steigenden Ölpreis beschleunigte Inflation mit Lohn- und Preiskontrollen zu bändigen und zugleich in keynesianischer Art durch expansives „deficit spending“ die Konjunktur anzukurbeln. Beide Maßnahmen verhinderten oder verzögerten die notwendige Anpassung der Wirtschaftsstruktur und verschärften so die Probleme. Als Folge des dirigistischen Irrwegs erntete man ein Jahrzehnt der „Stagflation“ - mit einem signifikanten Anstieg der Inflation wie auch der Arbeitslosigkeit.
Seither ist aber die Abhängigkeit von importiertem Öl in den meisten westlichen Volkswirtschaften stark zurückgegangen. Die „Öl-Sucht“, von der US-Präsident George Bush jüngst sprach, haben viele europäische Staaten frühzeitig reduziert. Einige haben begonnen, eigene Ölfelder zu erschließen, etwa in der Nordsee. Zudem haben die Bemühungen zur Energieeinsparung zu einem starken Rückgang des industriellen Verbrauchs von Öl geführt. Seit 1970 hat sich so der Energiebedarf der deutschen Wirtschaft etwa halbiert, obwohl die volkswirtschaftliche Produktion sich insgesamt etwa verdoppelt hat.
Ein zweiter Unterschied zu den siebziger Jahren fällt auf: Damals waren die Öl-Schocks angebotsseitigen Problemen geschuldet. Der in den vergangenen vier Jahren zu beobachtende Anstieg des Ölpreises jedoch, darin sind sich die Experten einig, ist zu einem großen Teil ein nachfrageseitiges Phänomen, bedingt durch den rasant wachsenden Energiebedarf der Chinesen und Inder. Diese gigantischen Volkswirtschaften sind über mehrere Jahre konstant mit acht bis neun beziehungsweise fünf bis sechs Prozent jährlich gewachsen – und stehen an der Schwelle zur vollständigen Industrialisierung. Damit treten fast zweieinhalb Milliarden zunehmend wohlhabende und kaufkräftige Menschen als neue Nachfrager von Öl auf den Markt.
Dies ist die fundamentale Ursache des steigenden Ölpreises, der durch die gegenwärtigen geopolitischen Unsicherheiten noch überzeichnet wird. Gelingt es, die Lage im Nahen Osten zu entspannen, so kann der Ölpreis zwar kurzfristig sinken. Langfristig aber deutet die kräftig steigende Nachfrage auf steigende Preise hin, zumal das Angebot absolut begrenzt ist. Die weltweiten Vorkommen werden heute auf rund 6.000 Milliarden Barrel geschätzt, wovon bislang 800 Milliarden gefördert wurden. Die derzeitige Fördertechnologie würde erlauben, durchschnittlich ein Drittel der Vorkommen auszubeuten. Experten schätzen, dass das Maximum der Förderung in den Jahren 2025 bis 2030 erreicht wird. Danach geht die Öl-Produktion langsam zurück, während die Nachfrage weiter steigen könnte.
Die Folge wäre ein Preisanstieg auf ungeahnte Höhen. Den Produzenten, besonders aber den großen Mitgliedern des OPEC-Kartells wie Saudi-Arabien, würde dies gigantische Gewinne bescheren. Die Nachfrageländer könnte es in ernste Schwierigkeiten bringen. Zwei Gründe sprechen aber gegen allzu viel Pessimismus: Zum einen macht der steigende Ölpreis die Erkundung neuer Quellen des Rohstoffs profitabel. Eine bessere Fördertechnik, etwa durch horizontale Bohrungen von bis zu 15 Kilometern Länge, ermöglicht den Zugriff auf bislang versperrte Reserven. Der Druck in den unterirdischen Kammern kann durch Erhitzung erhöht werden, was die Ausbeute verbessert. Mittels der modernen 3D-Seismik werden zudem neue Lagerstätten aufgespürt. Künftig könnte sich auch die Nutzung des kanadischen Öl-Sandes lohnen.
Diese Entwicklungen lassen es wahrscheinlich werden, dass Öl noch deutlich länger fließt, als alle Kassandren, angefangen mit dem „Club of Rome“, prophezeit haben. Dennoch wird die Suche nach Alternativen immer wichtiger. Hier kommen andere fossile Energieträger wie Kohle und Gas, auch die Kernkraft sowie erneuerbare Energien in Frage. Die weltweiten Kohlevorräte reichen noch etwa vierhundert Jahre, so sagen Experten. Kohle wird in Zukunft wieder mehr Interesse wecken, allerdings ist ihre Verbrennung zur Stromgewinnung ökologisch problematisch, solange keine leistungsfähigeren Filter bereitstehen. Derzeit werden Verfahren zur Verflüssigung erprobt, damit Autos auch mit Kohle fahren. Als politisch unkorrekte Alternative erlebt derzeit die Atomenergie in einigen Ländern eine Renaissance. Gerade baut Finnland einen neuen Reaktor, auch die britische Regierung trägt sich mit dem Gedanken.
Vieles deutet darauf hin, dass der Markt auf Preissignale reagiert und sich anpassen kann, solange er politisch nicht behindert wird. Die derzeitige Verteuerung des Öls stellt die Industrieländer somit vor Herausforderungen, die aber zu meistern sind.